98,7% bei Parteitag

In der ÖVP ist jetzt die Ära Kurz angebrochen

Österreich
01.07.2017 16:20

In der ÖVP ist am Samstag offiziell die Ära Sebastian Kurz angebrochen. Der Außen- und Integrationsminister wurde am Nachmittag beim Parteitag in Linz mit 98,7 Prozent der Stimmen zum neuen Bundesparteiobmann gewählt. Mit den Worten "Ich danke euch von ganzem Herzen für diesen Vertrauensvorschuss" nahm Kurz die Wahl "sehr, sehr gerne" an. In seiner Rede vor mehr als 1000 Delegierten hatte er zuvor seine Forderungen nach einer Steuersenkung, einer raschen Schließung der Mittelmeerroute für Flüchtlinge und einem effizienteren Sozialsystem wiederholt.

Der 31-jährige Kurz ist nun der 17. Parteiobmann der ÖVP. Mit 98,7 Prozent der Delegiertenstimmen (464 von 470 abgegebenen Stimmen) erzielte er bei seiner Wahl allerdings lediglich das zweitbeste Ergebnis in der jüngeren Parteigeschichte.

Kurz wurde mit 98,7 Prozent der Delegiertenstimmen zum neuen ÖVP-Chef gewählt. (Bild: APA/HANS PUNZ)
Kurz wurde mit 98,7 Prozent der Delegiertenstimmen zum neuen ÖVP-Chef gewählt.

Den Bestwert bei der Kür zum ÖVP-Chef hatte ausgerechnet sein Vorgänger Reinhold Mitterlehner erreicht, der 2014 von 99,1 Prozent der Delegierten zum Parteichef gewählt wurde. Michael Spindelegger, unter dessen Parteiführung Kurz zum Integrationsstaatssekretär wurde, erhielt 2011 95,5 Prozent der Delegiertenstimmen.

Hohe Zustimmung auch für neue Stellvertreter
Kurz' neue Stellvertreter landeten allesamt bei ähnlich hohen Werten wie der neue Parteichef: Casinos-Vorständin Bettina Glatz-Kremsner erhielt 98,1 Prozent, die Bregenzer Stadträtin Veronika Marte 98,3 Prozent, die steirische Landesrätin Barbara Eibinger-Miedl 99,2 Prozent und der oberösterreichische Landeshauptmann Thomas Stelzer 98,9 Prozent. Der Nationalratsabgeordnete Andreas Ottenschläger wurde ebenfalls mit 98,9 Prozent zum neuen Bundesfinanzreferenten gewählt.

Neo-ÖVP-Chef Sebastian Kurz und sein neues Team am Parteitag in Linz (Bild: APA/HANS PUNZ)
Neo-ÖVP-Chef Sebastian Kurz und sein neues Team am Parteitag in Linz

Zum Auftakt im Linzer Design-Center hatte sich die Volkspartei auf die Nationalratswahl im Herbst eingeschworen und den zurückgetretenen Mitterlehner mit reichlichem Applaus verabschiedet. Er geistere wohl dem einen oder anderen noch im Kopf herum, "das ist nicht schlecht", sagte Mitterlehner in seiner Rede vor den Delegierten.

Kurz wird mächtigster ÖVP-Chef, Mitterlehner muss sich nun "resozialisieren". (Bild: APA/HANS PUNZ)
Kurz wird mächtigster ÖVP-Chef, Mitterlehner muss sich nun "resozialisieren".

Mitterlehner: "Bin dabei, mich zu resozialisieren"
"Ich bin dabei, mich zu resozialisieren", sorgte der scheidende Parteichef mit seinem trockenen Humor gleich einmal für Gelächter. Er sei etwa noch nie unter der Woche in einem Supermarkt gewesen. Mitterlehner legte auch noch einmal die Gründe für seinen Rückzug im Mai dar. "Momentan gönnt die eine Seite der anderen nicht einmal einen Beistrich", so Mitterlehner zum aktuellen Klima in der Regierung. Seiner Partei empfahl er mehr Gelassenheit im Umgang mit ihren Obleuten. Man dürfe nicht bei jedem Umfrageausschlag nach unten in Depression verfallen.

ÖVP-Chef Sebastian Kurz (Bild: APA/HANS PUNZ)
ÖVP-Chef Sebastian Kurz

Am Höhepunkt des Parteitags trat dann Kurz selbst unter großem Applaus durch die auf der Bühne aufgebauten türkisen Container vor die Delegierten und hielt seine mit Spannung erwartete Rede. Er erinnerte dabei an seine Anfänge als Integrationsstaatssekretär, als ihm als 24-Jährigem eine "Welle der Kritik" entgegengeschwappt sei. "Sepp Pröll hat mir gesagt, mach alles, was der Spindelegger fragt, aber nicht die Integration. Und so wurde ich Staatssekretär für Integration", scherzte Kurz und erntete dafür lautstarke Lacher im Saal.

Seltenes Bild in der Öffentlichkeit: Kurz mit Freundin Susanne Thier (Bild: APA/HANS PUNZ)
Seltenes Bild in der Öffentlichkeit: Kurz mit Freundin Susanne Thier

Die Medien hätten sich damals mit negativen Schlagzeilen überschlagen. Wenn er in Wien auf der Straße gegangen sei, sei die freundlichste Reaktion gewesen, "wenn die Menschen mich einfach ignoriert oder die Seite gewechselt haben, wenn sie mich gesehen haben". Es sei eine "extrem schwierige Zeit" gewesen, aber was er auch erlebt habe, sei "ein unglaublicher Zusammenhalt" gewesen.

Sebastian Kurz, ÖVP (Bild: APA/Hans Punz)
Sebastian Kurz, ÖVP

"Hören wir bitte auf, die Dinge schönzureden"
"Tun, was richtig ist, das ist nicht immer das Leichteste" - es erfordere vor allem Mut, Dinge auszusprechen, ging Kurz dann über zu einer Analyse der aktuellen Situation im Lande. "Wir sind ein Stück weit Weltmeister im Weiterwursteln geworden. Hören wir bitte auf, die Dinge schönzureden", forderte er.

"Wenn wir dieses Land wirklich lieben und es gut mit ihm meinen, dann sollten wir nicht zufrieden sein damit, wie wir dastehen", so der Befund des Ministers. Beim Sozialsystem stiegen ständig die Ausgaben, die Qualität aber nicht. "Es reicht nicht, zu sagen, wir sind besser durch die Krise gekommen als andere", obwohl man von anderen überholt werde. "Und es reicht nicht, die Willkommenskultur zu beschwören, ohne daran zu denken, wie das mit der Integration in den Jahren danach funktionieren soll", konzentrierte sich Kurz mit seinen Botschaften einmal mehr auf die Themen Soziales, Wirtschaft und Flüchtlinge.

Kurz will Österreich "zurück an die Spitze führen"
Man sei beim Wirtschaftswachstum zurückgefallen und bei der Arbeitslosigkeit abgerutscht, kritisierte er. "Eines sollte uns klar sein: Wer einmal ins Mittelmaß zurückfällt, der ist schnell einmal weg vom Fenster." Er habe den Anspruch, Österreich "zurück an die Spitze zu führen, und zwar nicht für irgendein Ranking, sondern für uns alle". Der Staat müsse wieder mehr Gestaltungsräume ermöglichen, "indem wir Steuern, Abgaben und Gebühren wieder senken", bekräftigte Kurz. "Manche sagen, eine (Steuer-)Quote von 40 Prozent ist total ambitioniert, aber ich bin fest davon überzeugt, das ist machbar."

Küsschen für Freundin Susanne Thier (Bild: APA/HANS PUNZ)
Küsschen für Freundin Susanne Thier

Nur ein Land, das wirtschaftlich erfolgreich sei, könne auch die soziale Absicherung garantieren. Hier habe man aber Systeme geschaffen, "die sehr stark damit beschäftigt sind, sich selbst zu erhalten", kritisierte Kurz. Bei der Finanzierung des Sozialsystems gebe es mittlerweile so viele Töpfe, dass sich kein Mensch mehr auskenne. Vor allem sollte man diejenigen unterstützen, "die in den eigenen vier Wänden besonders Großes leisten", lobte Kurz pflegende Angehörige - man müsse sicherstellen, dass diese "nicht Bittsteller in unserem System sind, sondern einfach die Unterstützung bekommen, die sie brauchen".

Mittelmeerroute "besser heute als morgen" schließen
Weiterer Schwerpunkt seiner Rede war das Thema Migration, bei dem man "schnell einmal in ein rechtes Eck gedrängt wird", wenn man die Wahrheit anspreche, beklagte Kurz. Er sei scharf kritisiert worden für den Vorstoß, die Westbalkanroute schließen zu wollen, die nunmehrige Diskussion über die Mittelmeerroute erinnere ihn daran. Man müsse die Mittelmeerroute schließen, "und das besser heute als morgen", forderte der Minister einmal mehr.

(Bild: APA/HANS PUNZ)

Jeder müsse in der Gesellschaft einen Beitrag leisten, beschwor Kurz Zusammenhalt - "wenn wir in einem Land zusammenstehen wie in einer Familie, dann ist das meine Vision von einem erfolgreichen Österreich". Auch brauche es gemeinsame Grundwerte: "Gerade wenn unsere Gesellschaft durch Migration immer vielfältiger wird, muss uns allen und sogar den stärksten Multikulti-Fans klar sein: Genauso wie es in einer Familie eine gemeinsame Basis gibt, kann auch eine Gesellschaft nur funktionieren, wenn es gemeinsame Grundwerte gibt."

Es brauche "wieder mehr Mut", um zu sagen, dass man sich in Österreich für Erfolg anstrengen müsse, "dass bei uns die Gleichstellung von Mann und Frau gilt" und dass es "null Toleranz für Islamismus und Extremismus" gebe - das werde "auch so bleiben", bekräftigte Kurz seine Botschaften.

Kraftvoller Händedruck zwischen Kurz und Ex-Boxer Vitali Klitschko (Bild: APA/HANS PUNZ)
Kraftvoller Händedruck zwischen Kurz und Ex-Boxer Vitali Klitschko

Kurz darf mit eigener Liste kandidieren
Die einstimmig beschlossenen Statutenänderungen bescheren Kurz unter anderem folgenden Machtzuwachs: Der Bundesparteiobmann kann künftig mit eigener Liste kandidieren, die von der Volkspartei unterstützt wird und für andere Personen, die nicht Parteimitglieder sind, offen ist. Zugleich erhält der ÖVP-Chef ein Durchgriffsrecht auf die Listen. Kurz bekommt die Kompetenz zur Erstellung der Bundesliste für die Nationalratswahl und die EU-Wahl. Die Erstellung der Landes- und Regionallisten muss im Einvernehmen mit dem Bundesparteiobmann erfolgen, dem im Zweifelsfall ein Vetorecht zukommt.

Kurz mit Freundin Susanne Thier und seinen Eltern Elisabeth und Josef (Bild: APA/HANS PUNZ)
Kurz mit Freundin Susanne Thier und seinen Eltern Elisabeth und Josef

Die Entscheidungskompetenz für die Bestellung des ÖVP-Regierungsteams sowie der Generalsekretäre bzw. Geschäftsführer liegt nach der Statutenreform ebenso beim Bundesparteiobmann wie inhaltliche Vorgaben zur Positionierung der Volkspartei. Auf allenvorsieht. Über das tatsächliche Abschneiden entscheiden dann aber die Wähler mittels Vorzugsstimmensystem: Wer mehr Stimmen erreicht, wird vorgereiht. Das Vorzugsstimmenmodell wird allerdings nicht statutarisch festgelegt.

Startschuss für neue Bewegung
Für die feierliche Kür zum ÖVP-Chef hatten sich auch zahlreiche prominente Gäste aus Sport und Gesellschaft angekündigt. So saß unter anderem der ukrainische Box-Champion Vitali Klitschko im Publikum. Viele internationale Journalisten verfolgten ebenfalls die Veranstaltung. Den Abschluss des Parteitags bildete ein Sommerfest der "Liste Sebastian Kurz" mit rund 5000 Unterstützern.

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