Sebastian Kurz, jüngster Außenminister der Welt, wird am kommenden Samstag 30 und ist dabei schon seit fünf Jahren Regierungsmitglied. Deutsche Medien fragen: "Wer ist dieses politische Ausnahmetalent, das unser Personal so in den Schatten stellt?" Der Versuch einer Antwort.
Mit einem satten Klick schnappt der Karabiner im Sitzgurt ein, den der Außenminister zuvor ganz routiniert angelegt hat. Kein endloses Gewurschtel wie bei anderen. Vor ihm eine fast 100 Meter hohe Steilwand, in die er konzentriert und zügig einsteigt. Schritt für Schritt und mit sicherem Griff klettert er nach oben. Wie in seiner Karriere. Das Training für den sportlichen Aufstieg hat er sich in der Kletterhalle geholt. Im Urlaub vor zwei Wochen erklomm er sogar den Mont Blanc (4810m). Am Glockner war er ohnehin schon.
Führender in sämtlichen Beliebtheitsrankings
Auch politisch scheint er vorerst am Gipfel. Am Samstag wird er 30 und ist dann bereits seit über fünf Jahren Regierungsmitglied. Anfangs Integrationsstaatssekretär, seit drei Jahren jüngster Außenminister der Welt. Sämtliche Beliebtheitsrankings führt er haushoch an und begeistert durch sein völlig neues frisches Amtsverständnis plötzlich auch Menschen für Politik, die sich davor entweder nie dafür interessiert oder aber längst ernüchtert abgewandt haben.
Klare Sprache, stets schlüssige Argumentation, untypisch für einen Politiker. Wie sein gesamtes Selbstverständnis: Trotz seiner 1,86 Meter fliegt er mit seinem Team auch auf der Langstrecke Holzklasse, "um mit Steuermitteln sparsam umzugehen". Obwohl ihn praktisch jeder kennt, stellt er sich Gesprächspartnern immer noch höflich mit "Sebastian Kurz" vor.
Trotz abgebrochenem Studium anerkannt
Das gesamte Amt durchweht ein frischer Wind. Seine 1200 Mitarbeiter duzen ihn. Das ist deshalb bemerkenswert, weil gerade das Außenministerium früher als extrem statusbewusst galt. Ohne doppeltes Doktorrat oder Adelstitel keine Anerkennung. Mit seinem abgebrochenen Jus-Studium (es fehlen ihm zwei Prüfungen) hätte sich der Magister in spe im eigenen Haus nicht einmal für den diplomatischen Dienst bewerben können. Noch keine Woche im Amt, legte der deutsche "Spiegel" damals schon los: "Der Basti!" Unterzeile: Sein Studium ist nicht abgeschlossen, Erfahrung im Amt hat er nicht.
Nach Schließung der Balkanroute und entschlossenem Türkei-Kurs, wegen dem er seit Kurzem gegen seinen Willen sogar Polizeischutz bekommen muss, die Wende. Der "Focus" fragt jetzt: "Wer ist dieses Ausnahmetalent, das unser politisches Personal so in den Schatten stellt?" Und "Bild" titelte letzte Woche: "Kern & Kurz mischen Europa auf!"
Fast am ÖVP-Rekrutierungssystem gescheitert
Fast wäre das wohlerzogene Einzelkind aus dem Arbeiterbezirk Meidling, das dort so gar nicht hinpassen will (Vater: HTL-Ingenieur, Mama: AHS-Lehrerin) am ÖVP-internen Rekrutierungssystem gescheitert. Immer noch unterhält der privat lustig-schlagfertige Minister ganze Runden mit der Anekdote, als er mit 16 vergeblich versucht hätte, sich zu bewerben: "Man hat mir gesagt, ich sei zu jung. Gehen Sie zur jungen ÖVP in Meidling! Irgendwann hat dann dort auch wer abgehoben. Der meinte dann dasselbe. Das macht nichts, hab ich gesagt. Mein Problem wird mit jedem Tag kleiner. Sie seien aber auch sehr wenige, meinte er dann. Macht nichts, hab ich geantwortet: Ich bringe meine Freunde. Aber eigentlich würden sie sich auch nie treffen. Zahlt sich gar nicht aus. Ich ließ es dann sein und hab mich wieder auf Schule, Partys und Tennis konzentriert."
Bis ihn der damalige Vizekanzler Michael Spindelegger 2011 - Kurz war dann schon JVP-Obmann und Wiener Gemeinderat - doch noch wie ein Kaninchen aus dem Hut zauberte.
"Krone": Wie geht es Michael Spindelegger, Ihrem mutigen Entdecker? Haben Sie noch Kontakt?
Sebastian Kurz: Ja, habe ich, und es geht ihm gut. Ich glaube, er genießt es nun, mehr Zeit für die Familie zu haben.
"Krone": Waren Sie 2011 überrascht, als er Sie praktisch aus dem Nichts zum Integrations-Staatssekretär gemacht hat?
Kurz: Mehr als überrascht! Ich war regelrecht schockiert und habe im Reflex sofort geantwortet, dass mich sein Angebot zwar sehr ehrt, wir es aber nicht tun sollten, weil sowohl Öffentlichkeit als auch Medien nicht verzeihen würden, wenn ein 25-Jähriger ein so wichtiges Amt bekleidet. Am nächsten Tag war ich Staatssekretär. Und dann ging es los.
"Krone": Was ging los? Wie haben Sie das erlebt?
Kurz: Das war schon ein sehr eisiger Gegenwind von gewaltigem Ausmaß. Jeder Tag ein Kampf, mich doppelt beweisen zu müssen. Ich habe es anfangs sogar bereut, das Amt angenommen zu haben. Ich wurde kritisiert für etwas, für das ich gar nichts konnte. Nicht für einen Fehler, sondern für mein Alter. Das kann man bekanntlich nicht so leicht ändern. In dieser sehr harten Zeit habe ich etwas sehr Wichtiges gelernt, das später noch sehr hilfreich werden sollte: mich nicht von Lob abhängig machen zu lassen, sondern entschlossen für meine Ideen zu kämpfen und sie gegen Widerstände zu verteidigen.
"Krone": Der nächste Eissturm kam dann vor einem Jahr mit Beginn der Flüchtlingskrise, als Sie mitten in der "Welcome Refugees"-Euphorie vor den Gefahren ungebremster Aufnahme gewarnt haben und sofort ins rechte Eck gesteckt wurden.
Kurz: Stimmt, da bin ich massiv kritisiert worden. Aber ich war gestärkt durch meine Anfangszeit. Nach und nach haben mir die Ereignisse dann Recht gegeben, und einige mussten ihren Kurs korrigieren, weil sie einsehen mussten, dass sie anfangs aus falsch verstandener Menschlichkeit genau gegenteilige Entscheidungen getroffen hatten. Geglückte Integration hängt nämlich auch massiv von der Anzahl der zu integrierenden Menschen ab. Da müssen wir aufpassen, dass wir das System nicht überfordern. Asyl soll nur noch von Asylzentren außerhalb der EU beantragt werden können. So bekommen die Ärmsten Schutz und nicht mehr jene, die einen Schlepper bezahlen. Man erspart ihnen auch die lebensgefährliche Überfahrt. In Afrika warten mehrere Millionen Menschen auf die Flucht. Es wäre eine große Herausforderung, wenn sich die alle tatsächlich auf den Weg machen würden, weil wir ihnen keine Perspektive geben können.
"Krone": Was wird passieren, wenn wir demnächst die berühmte Obergrenze erreicht haben?
Kurz: Wenn es uns bis dahin nicht gelingt, die Menschen an der EU-Außengrenze zu stoppen, werden wir sie an der österreichischen Grenze zurückweisen müssen. In unseren Nachbarstaaten wird niemand verfolgt. Es ist zwar menschlich nachvollziehbar, dass alle nach Österreich, Schweden oder Deutschland wollen, aber das können wir nicht bieten.
"Krone": Ihre Eltern haben in der Bosnien-Krise Flüchtlinge aufgenommen. Hat Sie das geprägt?
Kurz: Ich war damals noch zu klein. Meine Eltern haben zwei bosnische Familien im Haus meiner Mutter betreut. Das kann man aber nicht mit der heutigen Situation vergleichen: Damals waren es unsere direkten Nachbarn. Hauptsächlich Frauen und Kinder. Das ist jetzt anders.
"Krone": Sie gehören zu jener Generation, die schon mit massiver Zuwanderung aufgewachsen ist. In Ihrer Schulklasse hatten Sie einen Migranten-Anteil von 50%, nicht nur ein "Gastarbeiterkind" in der Parallelklasse.
Kurz: Ich habe so sehr früh erlebt, wie Integration funktioniert und wie nicht. Ich hatte dadurch immer einen sehr natürlichen realitätsnahen Zugang statt eines romantischen. Aber nie einen ablehnenden!
"Krone": Was unterscheidet Sie als Politiker Ihrer Generation von älteren?
Kurz: Dass meine Entscheidungen Auswirkungen auf meine eigene Generation haben werden und nicht erst auf eine Folge-Generation. Daraus resultiert vermutlich ein noch viel entschlossenerer Einsatz für die Sache.
"Krone": Wie erleben Ihre Eltern Ihre Karriere? Sind sie stolz oder leiden sie, wenn Sie attackiert werden?
Kurz: Meine Eltern haben mich immer ich glaub, jetzt sind sie schon etwas stolz.
"Krone": Haben Sie manchmal den Gedanken, Ihre Jugend versäumt zu haben?
Kurz: Nein! Ich habe immer ein sehr intensives Leben geführt. Ich hatte eine sehr schöne und lustige Schulzeit. Und eine Studienzeit, in der ich zwar immer nebenbei gearbeitet, aber auch ausreichend Party und Sport gemacht habe. Meine Freunde schlafen auch nicht bis Mittag und hängen herum. Sondern arbeiten alle hart und tragen Verantwortung für Mitarbeiter und Familie.
"Krone": Stichwort Familie. Denkt man mit 30 auch selbst darüber nach? Heirat? Kinder? Sie sind seit über zehn Jahren mit Ihrer Lebensgefährtin zusammen. Planen Sie einen nächsten Schritt?
Kurz: Generell ja, aber jetzt noch nicht. Es passt für uns so, wie es ist. Über Privates spreche ich nicht. Ich bin kein Showstar, der das muss. Und meine Familie will auch nicht in die Öffentlichkeit.
"Krone": Wie sehr haben Sie die letzten Jahre verändert? Als Jungpolitiker fielen Sie eher durch das schräge "Geil-o-mobil" auf oder durch knackige Slogans, wie "24 Std. Verkehr für Wien" als Werbung für die Nacht-U-Bahnen. Heute wirken Sie betont straight und seriös. Bereuen Sie diese Anfangsaktionen, die Ihnen lang vorgehalten wurden?
Kurz (amüsiert): Nein, es ist niemand dabei ums Leben gekommen. Als Jungpolitiker hatte ich eine andere Aufgabe als nun in einem Regierungsamt. Damals musste ich auffallen, laut und schrill sein. Ich kann es auch heute noch lustig haben.
"Krone": Sie wirken aber extrem erwachsen und ehrgeizig…
Kurz: Ich nehme meine Aufgabe ernst. Aber das ist ja auch das Mindeste, wenn man eine derart verantwortungsvolle Funktion von der Republik übertragen bekommen hat und vom Steuerzahler bezahlt wird.
"Krone": Sie fliegen immer noch Eco, auch auf der Langstrecke. Denken Sie mit Ihren 1,86 m nicht manchmal, dass es anders doch komfortabler wäre und Ihnen zustünde?
Kurz: Nein, wir wollen im Außenministerium sparsam mit Steuermitteln umgehen. Und bei 1200 Mitarbeitern ist das ein massiver Kostenfaktor.
"Krone": Aber unausgeschlafen ankommen auch…
Kurz: Ich schlafe zwar nie viel, dafür aber gut. Ich komme meist zwischen Mitternacht und 1 Uhr heim und habe um 7 Uhr wieder den ersten Termin.
"Krone": Die "Bild"-Zeitung lobte zuletzt den "K & K-Kurs" in der Türkei-Frage und schrieb: "Kern & Kurz mischen Europa auf!" Arbeiten Sie mit Kern besser zusammen als mit Vorgänger Faymann?
Kurz: Ich hatte immer eine professionelle Zusammenarbeit mit den handelnden Personen. Probleme habe ich nie mit einer Person, nur mit unserem System. Es ärgert mich, wenn Politik mit Ideologie gemacht wird ohne auf Fakten Rücksicht zu nehmen. Auch, wenn es nicht mehr erlaubt ist, Wahrheiten zu thematisieren.
"Krone": Wie ist Jean-Claude Juncker eigentlich privat? Wurden Sie auch schon von ihm geküsst?
Kurz: Nein. Unser Verhältnis ist ein sehr formelles. Er ist ein Freund Österreichs, weil er seit Jahren seinen Urlaub in Tirol beim Stang'lwirt verbringt. In der Flüchtlingsfrage brauchen wir von ihm Lösungen, keine Durchhalteparolen.
"Krone": Werden Sie Ihr Jusstudium noch abschließen?
Kurz: Ja, ich hoffe, es kommt noch Zeit dafür. Nicht erst in der Pension.
"Krone": Wo sehen Sie sich in 10 Jahren? Tatsächlich bei einer NGO oder in der Privatwirtschaft, wie Sie bei unserem letzten Gespräch noch meinten? Oder vielleicht doch als Kanzler?
Kurz: Ich hab irgendwann aufgehört, Pläne zu machen. Leben, das ist, was rauskommt, während man etwas anderes plant. Als Student vor 10 Jahren hätte ich auch nie damit gerechnet, je Außenminister zu werden.
"Krone": Wie feiern Sie den 30er am Samstag? Und was wünschen Sie sich?
Kurz: Zum Feiern braucht es keine Geburtstage. Ich werde mit meiner Familie in Niederösterreich sein. Meinen Wunsch habe ich mir schon erfüllt. Ich hab in meinem Urlaub den Mont Blanc bestiegen.
Von diesem Erlebnis hat er nur ein Gipfel-Selfie im Schnee und ein selbst gedrehtes Video am iPhone. Er ist eben kein Showstar. Und auch kein typischer Politiker.
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