Angriff im Irak

Bisher geheimes Video zeigt Blutbad der US-Armee

Ausland
06.04.2010 12:49
"Selber schuld, wenn sie ihre Kinder mit in den Kampf nehmen!" Solche und ähnliche Sager aus zwei Kampfhubschraubern der US-Armee kann man sich seit Montag auf der Website Wikileaks anhören. Unter dem Titel "Collateral murder" wurde dort eine bisher unter Verschluss gehaltene Videoaufnahme der US-Armee aus dem Irakkrieg gepostet, die zeigt, wie ein Kommando der Army das Feuer auf eine Gruppe angeblicher Aufständischer eröffnet. Im Kugelhagel sterben zwei Mitarbeiter der Nachrichtenagentur Reuters, zwei Kleinkinder werden schwer verletzt.

Wikileaks, eine sogenannte "Whistleblower-Website", die Mitarbeiter großer Konzerne und staatlicher Einrichtungen dazu aufruft, brisantes Material zu veröffentlichen, hat die bisher unter Verschluss gehaltenen Aufnahmen am Montag in Form von YouTube-Videos online gestellt. Dienstag früh wurde aus Militärkreisen inoffiziell die Echtheit des Materials bestätigt. Hinweis: krone.tv zeigt im Video oben die kürzere, 17-minütige und von Wikileaks-Mitarbeitern kommentierte Version der Aufnahmen.

Zu dem Vorfall, der sich am 12. Juli 2007 im Osten Bagdads ereignet hatte, gab es bisher nur die Sicht des Pentagons. Demnach wurde bei dem Einsatz auf kämpfende Aufständische geschossen. Dass auch zwei Reporter dabei gewesen waren, habe man nicht gewusst, so die US-Armee damals, die den Tod des Fotografen bedauerte. 

Die Nachrichtenagentur Reuters hatte wiederholt die Freigabe der Videoaufzeichnung aus den Helikoptern gefordert. Die jetzt aufgetauchte Aufnahme zeigt ein ganz anderes Bild der Geschehnisse, wie sie das Pentagon vor drei Jahren schilderte. "Collateral murder" nennt Wikileaks den Angriff - Mord als Kollateralschaden. Neben der Tatsache, dass die angegriffene Gruppe in dem Video keineswegs wie eine Horde schießwütiger Söldner aussieht, verstört auch die "Arbeitsweise" der US-Soldaten, deren Dialoge sich anhören, als hätte man Teenager bei einem Computerspiel-Abend gefilmt. 

"Da kriecht noch einer"
Das Video beginnt mit Funksprüchen der Hubschrauber-Besatzungen zum Kommando. Ein paar in Zivil gekleidete Männer wurden von den Soldaten als sich versammelnde Aufständische ausgemacht. Die Besatzung hatte die Aufgabe nach Kämpfern zu suchen, die zuvor Einheiten der US-Armee angegriffen hatten. "Der hat eine Waffe", sagt einer der Soldaten. Die Besatzung meldet schließlich mehrere Männer mit AK-47-Gewehren. Kommando gibt zurück: "Wir haben keine Leute in der Nähe, greift an." Die Kamera des 22-jährigen Reuters-Fotografen Namir Noor-Eldeen mit dem aufgesetztem Tele-Objektiv wird von den Soldaten als Panzerfaust identifiziert. Bei zumindest einer der angeblichen AK-47 dürfte es sich um ein Kamera-Stativ gehandelt haben.

Wenige Sekunden später rattert eine Bordkanone; eine Staubwolke, Männer gehen zu Boden bzw. fliehen. "Schieß weiter, schieß weiter", lautet die Instruktion an den Schützen. Die Staubwolke lichtet sich etwas. "He, da rennt noch einer." Eine weitere Salve. Als die Soldaten wieder klare Sicht haben, melden sie an den Stab: "Ja, hier liegt ein Haufen Leichen. Wir haben so acht erwischt [...] Da kriecht noch einer. [...] Suchen jetzt weiter nach dem Rest. Wir werden wohl noch etwas weiterschießen müssen."

"Oh ja, schau runter auf die toten Bastarde. Gut geschossen", lobt sich eine Apache-Besatzung kurze Zeit später. Man habe wohl alle erwischt. Das Feuer werde nun eingestellt, bis die Bodentruppen eingetroffen sind. Als der Hubschrauber über dem schwer verletzten Reuters-Mitarbeiter Saeed Chmagh kreist, der gerade versucht, sich von der Straße auf den Gehsteig zu ziehen, sagt einer der Soldaten zu der kriechenden Gestalt: "Komm schon... Du musst jetzt nur eine Waffe in die Hand nehmen." Dann würde er auch ihm den Rest geben können. Noch bevor die Bodentrupps eintreffen, kommt ein kleiner Lieferwagen vorgefahren. Die Soldaten sind sich sicher: Weitere Aufständische, die die Leichen und die Waffen wegbringen wollen. Sie erbitten Feuerbefehl. Tatsächlich handelte es sich bei dem Fahrer um einen Iraker, der dem verletzten Journalisten vermutlich nur helfen wollte. Im Auto sitzen zwei kleine Kinder, die durch die Schüsse aus dem Hubschrauber schwer verletzt werden. Saeed Chmagh, verheiratet und Vater von vier Kindern, wird getötet.

Als die Bodentruppen mit ihren Panzern eintreffen, erheitert sich eine Hubschrauber-Besatzung noch daran, dass eines der Gefährte die Leiche Namir Noor-Eldeens überrollt. "Yeah!", quittiert ein Soldat das Ereignis. Als ihnen die Bodentruppen mitteilen, dass im Auto zwei Kinder verletzt wurden, meint einer der Soldaten: "Selber schuld, wenn sie ihre Kinder mit in den Kampf nehmen!" 

Wikileaks: "Sie wollten nur töten"
Julian Assange, Mitarbeiter von Wikileaks, wirft der US-Armee vor, einen Skandal zu vertuscht haben. "Entweder wurden hier die Angriffsregeln verletzt - oder diese sind generell einfach falsch", so Assange. "Diese Soldaten wollten einfach nur töten. Ihnen ging es, wie bei einem Computerspiel, einzig um den Highscore." Assange kündigte für die nächste Zeit vergleichbare Videos von anderen Kriegsschauplätzen der USA (u.a. Afghanistan) an.

Vonseiten des Pentagons gab es am Dienstag kein offizielles Statement. Man werde die Videoaufnahmen prüfen und den Vorfall noch einmal evaluieren. Reuters hielt sich mit Kritik an der Armee zurück. "Dieses Video ist Beweis dafür, welchen unglaublichen Gefahren Kriegsberichterstatter ausgesetzt sind und dass solche Tragödien geschehen können", hieß es.

Loading...
00:00 / 00:00
Abspielen
Schließen
Aufklappen
Loading...
Vorige 10 Sekunden
Zum Vorigen Wechseln
Abspielen
Zum Nächsten Wechseln
Nächste 10 Sekunden
00:00
00:00
1.0x Geschwindigkeit
Loading
Kommentare

Da dieser Artikel älter als 18 Monate ist, ist zum jetzigen Zeitpunkt kein Kommentieren mehr möglich.

Wir laden Sie ein, bei einer aktuelleren themenrelevanten Story mitzudiskutieren: Themenübersicht.

Bei Fragen können Sie sich gern an das Community-Team per Mail an forum@krone.at wenden.

Kostenlose Spiele
Vorteilswelt