Rathaus evakuiert
Bombenalarm: Streit mit Erdogan-Minister eskaliert
Im Rathaus von Gaggenau im deutschen Bundesland Baden-Württemberg ist am Freitag eine Bombendrohung eingegangen. Der Anrufer begründete die Drohung mit der Absage eines Auftritts des türkischen Justizministers Bekir Bozdag in der Stadt, wie der Leiter des Bürgerservices, Dieter Spannagel, sagte. Das Gebäude wurde vorsorglich geräumt und von der Polizei durchsucht. Zu Mittag gab die Polizei wieder Entwarnung.
"Nach umfassenden Abklärungen konnte in dem Gebäude nichts Verdächtiges festgestellt werden", teilten die Beamten mit. Alle Absperrungen seien gegen 11.35 Uhr aufgehoben worden, das Rathaus sei wieder zugänglich.
"Deutschland muss lernen, sich zu benehmen"
Nach dem geplatzten Auftritt Bozdags hat der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu Deutschland Doppelmoral vorgeworfen. Die Türkei könne die Geschehnisse in Gaggenau nicht hinnehmen, sagte Cavusoglu am Freitag in Ankara. Wenn Deutschland die Beziehungen zur Türkei aufrechterhalten wolle, müsse es "lernen, sich zu benehmen".
"So kann es nicht weitergehen", sagte Cavusoglu laut Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu. "Wenn sie mit uns arbeiten wollen, müssen sie lernen, wie sie sich uns gegenüber zu verhalten haben." Die Türkei werde die Behandlung ansonsten "ohne Zögern mit allen Mitteln" erwidern. "Dann müssen sie an die Folgen denken." Welche Folgen das sein könnten, sagte er nicht.
Das türkische Volk sei einem "systematischen Druck" durch Deutschland ausgesetzt, werde sich aber nicht einschüchtern lassen, so der Minister. Er forderte eine Behandlung seines Landes auf Augenhöhe. "Sie müssen uns als ebenbürtigen Partner betrachten", sagte er. "Die Türkei untersteht ihnen nicht. Sie sind nicht der Chef der Türkei. Sie sind nicht erste Klasse und die Türkei zweite Klasse."
Deutsch-türkischer Streit eskaliert
In Gaggenau war am Donnerstag eine geplante Veranstaltung mit dem türkischen Justizminister Bozdag kurz vor Beginn untersagt worden. Die Stadtverwaltung machte Sicherheitsbedenken geltend. Bozdag wollte bei seinen in Deutschland lebenden Landsleuten für die geplante Verfassungsreform in der Türkei werben. Die Wahlkampfauftritte türkischer Regierungsmitglieder in Deutschland stoßen parteiübergreifend auf Kritik. Seit der Inhaftierung des deutsch-türkischen Korrespondenten Deniz Yücel hat sich das Verhältnis zwischen beiden Regierungen weiter verschlechtert.
Neben Bekir plant für Sonntagabend in Köln auch der türkische Wirtschaftsminister Nihat Zeybekci einen Wahlkampfauftritt. Der Saal, in dem Zeybekci reden will, steht laut Auskunft der Domstadt aber offenbar nicht zur Verfügung. "Der Auftritt kann und wird dort nicht stattfinden", sagte eine Sprecherin der Stadt. Unklar ist, ob Zeybekci in andere Räumlichkeiten ausweichen kann.
Auftritt des Wirtschaftsministers in Leverkusen findet statt
Nach der Absage der Veranstaltung mit Zeybekci in Köln bleibt es bei einem weiteren geplanten Auftritt des Politikers in Leverkusen. "Die Veranstaltung wird stattfinden, wir werden sie nicht absagen", sagte ein Sprecherin der nordrhein-westfälischen Stadt am Freitag. Zeybekci wird dort am Sonntag bei einer Kulturveranstaltung eines türkischen Vereins zu Ehren eines verstorbenen türkischen Musikers erwartet und soll ein Grußwort sprechen.
Die Veranstaltung in einer städtischen Einrichtung war laut Angaben der Sprecherin schon länger geplant, der Vertrag über die Raumnutzung wurde am 23. Februar geschlossen. Es gebe daher auch keinen Grund zur Absage. "Wir haben einen Vertrag, den wir auch einhalten müssen." Die Stadt habe die Veranstalter allerdings noch einmal "deutlich" darauf hingewiesen, dass der angekündigte "kulturelle Charakter" der Veranstaltung erkennbar bleiben solle.
Empörte Reaktionen aus der Türkei
Die Auftrittsverbote stießen in der Türkei auf einhellige Empörung. Selbst die größte türkische Oppositionspartei, die kemalistische CHP, übte Kritik. "Das ist ganz und gar nicht in Ordnung", sagte CHP-Chef und Oppositionsführer Kemal Kilicdaroglu laut Angaben der Nachrichtenagentur DHA am Freitag. An die Adresse Deutschlands fügte er hinzu: "Einerseits belehrt ihr die Welt über Demokratie, andererseits wollen zwei Minister einer Partei sprechen, aber aus diesem oder jenem Grund verbietet ihr diese Rede. Das finden wir keineswegs richtig."
Die Absage der Wahlkampfauftritte stieß auch in der regierungsnahen türkischen Presse auf ein verheerendes Echo. "Deutschland ist verrückt geworden", diagnostizierte die Zeitung "Yeni Safak" am Freitag. Das Blatt sprach von einer "Schande". Die Zeitung "Star" verknüpft die Absage mit der Inhaftierung des "Welt"-Korrespondenten Yücel. "Nachdem der 'Welt'-Reporter wegen Terrorpropaganda verhaftet wurde, hat Berlin eine unvergleichliche Frechheit begangen und zweien unserer Minister keine Versammlungserlaubnis erteilt."
Die Zeitung "Posta" spricht von einem "Skandal" und bemängelt, die Auftritte seien mit "aberwitzigen Begründungen verhindert" worden. Auch die "Hürriyet", die nicht immer auf Regierungslinie liegt und auch kritische Stimmen zu Wort kommen lässt, schrieb von einem "diplomatischen Skandal" und einem "Sprechverbot".
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