Europa soll zahlen
Der Russland-Türkei-Iran-Plan: Syrien “filetieren”
Während die überraschend ausgehandelte Waffenruhe für Syrien in den ersten Stunden seit Inkrafttreten um Mitternacht weitgehend hält, denken die im Bürgerkrieg mitmischenden Großmächte Russland, Türkei und Iran einen Schritt weiter: Sie wollen sich nachhaltig Einfluss im Nahost-Schlüsselstaat sichern - und gehen dabei ein Bündnis ein, das über die Zerwürfnisse der Vergangenheit großzügig hinwegsieht. Nicht im Plan des potenten Trios vorgesehen: Europa, das lediglich als Geldgeber für den Wiederaufbau des zerbombten Landes herhalten soll.
Der Syrien-Friedensplan Russlands, der Türkei und des Iran sieht Insidern zufolge eine Aufteilung des Bürgerkriegslandes in informelle Einflusszonen der drei beteiligten Mächte vor. Syrien wird also "filetiert" und die drei Schutzherren sichern ihre Machtpositionen ab, die sie teils seit Jahrzehnten innehaben, teils im fast sechs Jahre währenden Bürgerkrieg auf- bzw. ausbauen konnten. Ein verbindendes Element ist ausgerechnet "Kriegsherr" Bashar al-Assad: Er soll dem Plan zufolge zumindest noch für einige Jahre als syrischer Präsident im Amt blieben, hieß es diese Woche in Kreisen, die mit der russischen Position vertraut sind.
Die syrischen Regionen sollten eine Autonomie innerhalb einer föderalen Struktur unter Kontrolle von Assads Alawiten bekommen. Der Plan stecke freilich noch in den Kinderschuhen, hieß es. Er müsste sowohl von Assad und den Rebellen als auch letztlich von den Golfstaaten und den USA gebilligt werden.
Russland: "Bewegung in die Positionen gekommen"
"Eine abschließende Einigung wird schwer, aber es ist Bewegung in die Positionen gekommen", sagte der Generaldirektor des Russischen Rats für Internationale Angelegenheiten, Andrej Kortunow, am Mittwoch. Das Institut steht dem russischen Außenministerium nahe.
Assads Macht würde dem Plan der drei Länder zufolge beschnitten, hieß es. Russland und die Türkei seien damit einverstanden, dass Assad bis zur nächsten Präsidentenwahl im Amt bleibe und dann von einem weniger polarisierenden Politiker aus seiner alawitischen Bevölkerungsgruppe abgelöst werde. Noch müsse allerdings der Iran von einer solchen Regelung überzeugt werden.
Geht es nach Russlands Willen, finden Mitte Jänner Friedensgespräche zwischen der syrischen Regierung und der Opposition in der kasachischen Hauptstadt Astana statt. Zu einem späteren Zeitpunkt sollen die Golfstaaten hinzugezogen werden, dann die USA und erst ganz zum Schluss die Europäische Union. Diese könnte sich zusammen mit den Golfstaaten an den Kosten für den Wiederaufbau beteiligen.
Türkei gibt nach: Assad kann bleiben
Russland, die Türkei und der Iran bilden auf den ersten Blick ein sonderbares Gespann. Der Iran ist der stärkste Unterstützer Assads und kämpft mit Milizionären an seiner Seite. Russland fliegt mit seiner Luftwaffe Angriffe auf Rebellen, die Türkei dagegen unterstützt Assad-feindliche Aufständische. Nun ist es Russland offenbar gelungen, den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan dazu zu bringen, auf seine Forderung nach einem sofortigen Abtritt Assads zu verzichten.
"Unsere Priorität ist nicht, dass Assad geht, sondern dass der Terrorismus besiegt wird", sagte ein hochrangiger türkischer Regierungsvertreter. Sobald die Extremistenmiliz IS besiegt sei, könnte Russland die Türkei dabei unterstützen, die kurdische PKK zu vernichten. Die Türkei habe in Syrien "das Thema Machtwechsel vollständig aufgegeben", sagte der Chef des türkisch-russischen Studienzentrums, Aydin Sezer.
Jeder will ein Stück vom Kuchen
Der Wandel in den Positionen der Türkei und Russlands ist ein Zeichen zunehmender Realpolitik. Russland ist nicht bereit, sich in einen langen Krieg hineinziehen zu lassen. Gleichzeitig will es Syrien als Staat und als Verbündeten erhalten. Die Türkei wiederum will informell einen Großteil Nordsyriens kontrollieren. Dieser soll als Sicherheitszone für Flüchtlinge und als Pufferzone gegen den kurdischen Einfluss genutzt werden.
Die Interessen des Iran sind schwerer zu erkennen. Durch ihre Unterstützung Assads sichert sich die Islamische Republik eine Landverbindung zur libanesischen Hauptstadt Beirut. Auf diesem Weg kann die Regierung in Teheran weiter Waffen an die dortige Hisbollah-Miliz liefern. Russischen und westlichen Diplomatenkreisen zufolge dürfte der Iran auf diesem Korridor bestehen. Der Iran will Assad zunächst im Amt halten und im Fall des Falles nur durch einen anderen Alawiten ersetzt sehen. Assads Volksgruppe steht den Schiiten nahe, die im Iran die überwiegende Bevölkerungsmehrheit stellen.
In den USA stößt der Vorstoß auf Skepsis. Selbst nach der vollständigen Rückeroberung Aleppos durch Regierungstruppen bezweifle er, dass die Initiative den Krieg beenden werde, sagte Dennis Ross vom Insitute for Near East Policy in Washington. "Assads weitere Präsenz wird eine Quelle des Konflikts mit der Opposition bleiben."
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