Zahlen steigen
Deutsche streiten um Verbot von Kinderehen
Nach der Einreise von Hunderttausenden Flüchtlingen lässt das Thema Integration Europa nicht zur Ruhe kommen. Sorgten zuletzt etwa im Sommer Verbote von Burka und Burkini für heiße Diskussionen, ist jetzt in Deutschland eine heftige Debatte über Kinderehen entbrannt. Während sich SPD und Union für ein klares Verbot einsetzen, sprechen sich Justizminister Heiko Maas und die Integrationsbeauftragte der Berliner Bundesregierung (beide SPD) gegen ein allgemeines Verbot aus.
Laut Ausländerzentralregister waren Ende Juli insgesamt 1475 in Deutschland lebende ausländische Minderjährige verheiratet. 361 von ihnen waren jünger als 14 Jahre, 120 waren 14 oder 15 Jahre alt. Die Dunkelziffer dürfte aber höher liegen. Bei den meisten Betroffenen (1152) handelt es sich um Mädchen. Sie dürften bereits in der Heimat mit einem Erwachsenen verheiratet worden sein. Die größte Gruppe der minderjährig Verheirateten stammt aus Syrien, gefolgt von Afghanistan und dem Irak. Aber auch das EU-Land Bulgarien ist mit 65 bekannten Fällen prominent vertreten.
Schwieriger Umgang mit im Ausland geschlossenen Ehen
In Deutschland dürfen Ehen grundsätzlich erst mit der Volljährigkeit geschlossen werden - nur in Ausnahmefällen schon mit 16 Jahren. Komplizierter ist die Rechtslage beim Umgang mit im Ausland geschlossenen Ehen. Bisher werden Kinderehen in Deutschland nicht anerkannt, wenn ein Partner jünger als 14 Jahre ist. Bei Ehen, die mit 14-Jährigen oder älteren Minderjährigen geschlossen wurden, haben die Gerichte einen Ermessensspielraum.
So hatte das Oberlandesgericht Bamberg im vergangenen Mai die Ehe einer Syrerin, die im Alter von 14 Jahren mit einem Cousin verheiratet worden war, als wirksam anerkannt. In Deutschland wird seitdem debattiert, ob solche Kinderehen im Widerspruch zu Grundrechten stehen. Eine eigens eingerichtete Bund-Länder-Arbeitsgruppe will noch heuer ihre Ergebnisse vorlegen.
Generelles Verbot contra "absolute Ausnahmefälle"
Sowohl SPD als auch Union wollen nun alle im Ausland geschlossenen Ehen von Unter-16-Jährigen pauschal für ungültig erklären und damit die bisherige Praxis verschärfen. Der Unionsfraktion im Bundestag geht das nicht weit genug: Sie will Ehen von Unter-18-Jährigen pauschal für nichtig erklären - auch für deutsche Jugendliche. Justizministers Heiko Maas und weitere SPD-Politiker, etwa die Integrationsbeauftragte Aydan Özoguz, wollen hingegen, dass in "absoluten Ausnahmefällen" auch Ehen, die zwischen 16 und 18 Jahren geschlossen wurden, genehmigt werden können.
"Ein pauschales Verbot von Ehen von Minderjährigen ist zwar vielleicht gut gemeint, kann aber im Einzelfall junge Frauen ins soziale Abseits drängen", sprach sich Özoguz gegen ein allgemeines Verbot aus. Eine Rechtsverschärfung könnte für betroffene Frauen unbeabsichtigte Folgen haben, sagte die SPD-Politikerin: "Werden ihre Ehen aberkannt, verlieren sie unter anderem Unterhalts- und Erbansprüche, ihre Kinder wären unehelich, für viele würde das sogar eine Rückkehr in ihre Heimatländer unmöglich machen."
Experte: "Verbot setzt Schutz der betroffenen Frauen außer Kraft"
Als "genau richtig" bezeichnete auch der Erziehungswissenschaftler Ahmet Toprak die Richtung von Justizminister Maas. Unter dem brisanten Titel "Was für die Kinderehe spricht" erklärte Toprak in einem Gastkommentar in der "Zeit" mit nüchternen Worten, dass eine pauschale Aberkennung solcher Ehen aus unserer mitteleuropäischen Sicht zwar konsequent sei und die Meinung des Mainstream treffe, aber der Schutz der Frauen damit außer Kraft gesetzt werde.
"Die Ehe, die das Mädchen in ihrem eigenen Herkunftsland geschlossen hat, fand unter anderen sozialen und rechtlichen Bedingungen statt. Deshalb müssen diese Ehen im Einzelfall gründlich geprüft werden. Und das nicht, um den Frauen zu schaden, sondern um sie zu schützen", betonte Toprak, der sich als Forscher mit Rollenbildern in muslimischen Milieus beschäftigt.
Frauenrechtlerinnen halten nichts von Ausnahme-Plänen
Kritik am SPD-Lager um Maas und Özoguz kommt indes nicht nur aus der Union, auch Frauenrechtlerinnen halten die Argumente der SPD-Politiker für ungültig. "Das Sorgerecht für die Kinder wird in dem Land verhandelt, in dem das Kind lebt. Und in Deutschland wird nach dem Wohle des Kindes und nicht nach den Gepflogenheiten des Herkunftslandes entschieden", sagte die Anwältin Seyran Ates gegenüber "Spiegel Online".
Einer ausländischen Minderjährigen würden außerdem dieselben Leistungen der Jugendhilfe wie einer Deutschen zustehen. "Dass ein Mann, der als Flüchtling nach Deutschland kommt, dem Mädchen Unterhalt zahlen kann, ist ziemlich illusorisch", sagte Myria Böhmecke vom Verein Terres des Femmes. "Wenn sie es denn wirklich wollen, haben die Jugendlichen, deren Ehe für ungültig erklärt wurde, ja die Möglichkeit, sich mit 18 für die Ehe mit dem Mann zu entscheiden", so Böhmecke weiter. "Dann hätte sich auch die Sorge erledigt, dass sie Erbansprüche verlieren würden."
In Österreich liegt das Mindestalter für die Ehefähigkeit ebenfalls bei 18 Jahren. Heiraten können allerdings bereits 16-Jährige, wenn der Ehepartner volljährig ist und die Person für diese Ehe reif erscheint. Bei Minderjährigen muss ein Obsorgeberechtigter in die Ehe einwilligen. Ausländische Staatsangehörige müssen für eine Heirat in Österreich ein Ehefähigkeitszeugnis ihres jeweiligen Heimatlandes vorlegen.
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