Vor Referendum
Erdogan droht: “Europa wird bald türkisch sein”
Zwei Tage vor dem Referendum über die Einführung eines Präsidialsystems in der Türkei ist der Wahlkampf in den Endspurt gegangen - mit einem Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan, der auch die allerletzten Hemmungen abgelegt hat. Bei einem seiner wohl letzten Wahlkampfauftritte polterte er am Donnerstag voll Hass gegen Europa wild drauf los und drohte sogar mit einer Türkisierung des Kontinents. Der Ausgang des Referendums scheint trotz der Kampfrhetorik des "Sultans" aber weiter offen.
"Das Make-up im Gesicht Europas zerfließt", sagte Erdogan am Donnerstag bei einer Wahlkampfveranstaltung in der Schwarzmeerstadt Giresun. "Das darunterliegende faschistische, rassistische, fremdenfeindliche, islamfeindliche Gesicht hat angefangen, sich zu zeigen. Sie haben nun angefangen zu zeigen, dass sie islamfeindlich sind. Sie können Muslime nicht ertragen."
Europa ist aus Sicht Erdogans allerdings trotz dieser von ihm unterstellten Haltung auf die in Europa lebenden Türken angewiesen. "Was sie auch tun, es ist vergeblich. Die Zukunft Europas werden unsere fünf Millionen Brüder formen, die sich aus der Türkei dort angesiedelt haben", sagte der Staatschef. "Für Europa, dessen Bevölkerung altert, dessen Wirtschaft erlahmt und dessen Kraft versiegt, gibt es keinen anderen Ausweg."
Erdogan warf Österreich, Deutschland, Frankreich, den Niederlanden, der Schweiz, Belgien "und vielen weiteren europäischen Ländern" vor, sich an die Seite seiner Gegner gestellt zu haben. "Seht her, heute greifen sie in allen europäischen Zeitschriften und Zeitungen diesen euren Bruder an. Was habe ich ihnen denn getan? Was haben sie gegen mich?" Erdogan hatte im Wahlkampf zum Referendum besonders Deutschland und den Niederlanden "Nazi-Methoden" vorgeworfen und damit scharfe Kritik in beiden Ländern ausgelöst.
Ausgang des Referendums weiter offen
Doch obwohl Erdogan bei seinen Auftritten wie ein Star gefeiert wird und der Nein-Kampagne eine klare Führungsfigur fehlt, deuten alle Umfragen auf einen knappen Ausgang des Referendums hin. Eine neue Umfrage der Konda-Gruppe sieht das Ja bei 51,5 Prozent, während eine Umfrage der Sonar-Gruppe 51,2 Prozent für das Nein-Lager erwartet. Der Vorsitzende der oppositionellen CHP, Kemal Kilicdaroglu, rief erneut zum Nein auf, die Folgen des von Erdogan angestrebten Präsidialsystems für die Türkei seien nicht absehbar.
Die Abstimmung am Sonntag findet unter scharfen Sicherheitsvorkehrungen statt. Die Dschihadisten des IS hatten in der letzten Ausgabe ihrer Zeitschrift "Al-Naba" zu Angriffen auf Wahllokale aufgerufen. Die Polizei nahm am Freitag fünf mutmaßliche IS-Anhänger in Istanbul fest, die einen "spektakulären Anschlag" am Referendumstag geplant haben sollen, wie die Nachrichtenagentur Anadolu meldete.
Sultans "Krönung" - Abschied von Europa
Fest steht, dass das Referendum nicht allein über die Einführung eines Präsidialsystems entscheiden wird, sondern auch mit über die künftige Ausrichtung des Landes und sein Verhältnis zum Westen. Wenn Erdogan eine Mehrheit für die angestrebte Verfassungsänderung erhält, droht das Land sich noch weiter von demokratischen Standards zu entfernen und Europa ganz den Rücken zu kehren.
Der Wahlkampf hat zu einer schweren Krise mit Europa geführt. Sollte Erdogan am Sonntag seinen Willen bekommen, könnte er das Verhältnis zur EU grundlegend zur Debatte stellen. Aber auch die EU müsste sich überlegen, wie sie mit einer zunehmend autoritären Türkei umgeht.
Kronen Zeitung, krone.at
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