Kriselnde Nachbarn

EU, Russland, China, Türkei rittern um den Balkan

Ausland
08.04.2017 09:34

Seit Jahrzehnten gilt die Balkanregion als natürliches Einflussgebiet der EU. Doch dieses System bricht jetzt zusammen. Was planen die neuen Konkurrenten?

Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini musste bei ihrer Balkan-Tour schmerzlich erfahren, wie wenig Brüssel inzwischen in Südosteuropa ernst genommen wird. In Mazedonien ließ sie der Staatspräsident mit ihren Vorstellungen zur Krisenlösung abblitzen. In Serbien ging ihre Rede im Parlament in Buhrufen unter. Im Kosovo verschärften sich die Konflikte sofort nach ihrer Abreise, wo sie doch Ruhe und Lösungen bringen wollte. In Bosnien waren die tief zerstrittenen drei Staatspräsidenten nur bereit, den EU-Gast zu einem nichtssagenden protokollarischen Termin zu treffen.

Mogherini blitzte beim mazedonischen Präsidenten Gjorge Ivanov ab. (Bild: ASSOCIATED PRESS)
Mogherini blitzte beim mazedonischen Präsidenten Gjorge Ivanov ab.

Der Schwund des EU-Einflusses befeuert das massive Engagement Russlands, der Türkei und Chinas. Moskau versucht mit einer massiven Propagandaoffensive, die Herzen der Menschen in den Balkanländern zu gewinnen. "Der Balkan hört nicht mehr auf Brüssel", trompetete die staatliche Agentur Sputnik.

(Bild: krone.at-Grafik)

Aber auch die Türkei hat bereits einen Fuß in der Tür. Ihre Basis ist die muslimische Bevölkerung. In Bosnien-Herzegowina hat sie sich durch den Aufbau Dutzender kriegszerstörter Moscheen einen Namen gemacht. In Südserbien sind türkische Firmen bejubelte Investoren vor allem im Textilsektor.

China baut Eisenbahn Belgrad-Budapest
Newcomer China baut auf dem Balkan an der Wiederauferstehung der alten Seidenstraße mit Großinvestitionen in Autobahnen und Eisenbahnstrecken - etwa zwischen Belgrad und Budapest. Seit Kurzem mischen auch arabische Länder mit: Sie kaufen in großem Stil Grundstücke in Bosnien, bauen ein ganzes Stadtviertel in Belgrad oder haben das Sagen bei der serbischen Fluggesellschaft.

Großer Bahnhof für Chinas Staatschef Xi Jinping im vergangenen Sommer in Belgrad (Bild: HO/SERBIAN PRESIDENTIAL PRESS SERVICE/AFP)
Großer Bahnhof für Chinas Staatschef Xi Jinping im vergangenen Sommer in Belgrad

Die mit Abstand Aktivsten sind aber die Russen. Seit Tagen steht ihre staatliche Sberbank beim jüngsten EU-Mitglied Kroatien im Zentrum des Wirtschaftskrimis um den überschuldeten größten Lebensmittel- und Handelskonzern Agrokor. Die Bank ist der größte Gläubiger und verfolgt neben wirtschaftlichen Interessen an diesem für die gesamte Balkanregion wichtigen Schlüsselunternehmen auch "geostrategische Ziele", meint die kroatische Zeitung "Vecernji list".

Russen stoßen in EU-Vakuum
Russland stößt mit seiner immer heftigeren Propaganda in den Staaten der Region offensichtlich in ein immer größeres Vakuum, das Brüssel hinterlässt. Da die EU mit sich selbst beschäftigt ist, wird allem Anschein nach der Balkan links liegen gelassen. "Es bleiben der bittere Eindruck und die Furcht, dass sich die EU und der Westen langsam von der Region wegdrehen, wenigstens solange sie nicht explodiert", schreibt das Belgrader "Novi Magazin" in seiner jüngsten Ausgabe.

Das Machtvakuum könnte noch größer werden durch einen möglichen Rückzug der USA unter ihrem neuen Präsidenten Donald Trump. Die meisten Kommentatoren in der Region erwarten, dass das amerikanische Interesse dramatisch nachlassen wird.

Schon jetzt schafft es der Kreml, die Balkan-Politiker auch für seine globalen Interessen einzuspannen. So titelte in der Vorwoche die Agentur Sputnik auf Deutsch: "Die Krim-Frage 'ist entschieden'. - Warum? Das erläutert der Präsident der Republika Srpska" (das ist der serbische Teil Bosniens, den dessen Häuptling Milorad Dodik vom Gesamtstaat abspalten will und der heftig mit Moskau turtelt).

Die Krisenbombe in unserer Nachbarschaft
Schon in den Jugoslawienkriegen ab 1991 hatte Europa versagt. Der letzte Krieg musste von den USA beendet werden. Auch danach hat sich Europa nicht wirklich um diese Region gekümmert und übersehen, dass hier neue Konfliktherde heranwachsen, die noch böse Überraschungen liefern könnten.

  • Bosnien: Der Gesamtstaat in seiner "Dayton"-Struktur hat sich als nicht lebensfähig erwiesen. Der Vertrag von Dayton war auch nur gedacht, um den Krieg zu beenden, nicht um Frieden zu schaffen. Bosniens Serben wollen sich abspalten, Kroaten räsonieren, Muslime zeigen fundamentalistische Tendenzen. Die internationale Gemeinschaft wird erst aufwachen, wenn der erste Schuss fällt.
  • Mazedonien: Der Konflikt mit der etwa 25 Prozent großen albanischen Volksgruppe treibt dem Höhepunkt zu. Aber auch unter den 1,3 Millionen Mazedoniern brodeln die Spannungen immer gefährlicher.
  • Kosovo: ein Dunstkreis politischer und krimineller Mafias.
  • Montenegro (demnächst bei der NATO): siehe Kosovo.
  • Albanien: siehe Montenegro und Kosovo.
  • Bulgarien: siehe Montenegro, Kosovo und Albanien.
  • Serbien: kommt einem geordneten Staatsgefüge à la Balkan noch am nächsten. Die Wirtschaft hat Tritt gefasst. Der Machtmensch und frühere Haudegen von Kriegstreiber Slobodan Milosevic, Präsident Aleksandar Vucic, ist der neue starke Mann auf dem Balkan, mit autoritären Neigungen. Serbiens Herz schlägt für den Osten, der Kopf aber richtet sich nach Westen. Denn es ist allemal besser, im Dunstkreis der EU zu leben, als in der Peripherie Russlands.

Kurt Seinitz, Kronen Zeitung

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