Streit mit Polen
EU will “Diktatur” keine Finanzmittel geben
Polen ist wegen einer geplanten Justizreform ins Visier der Hüter der EU-Verträge geraten. Justizkommissarin Vera Jourova droht sogar offen mit dem Entzug von Fördergeldern. "Ich kann mir nicht vorstellen, dass etwa deutsche oder schwedische Steuerzahler für die Errichtung einer Art von Diktatur in einem anderen EU-Land bezahlen wollen", so Jourova in einem Interview. Streitpunkt ist eine verstärkte Kontrolle der Besetzung von Richterstellen bzw. auch die Tatsache, dass Richter des Obersten Gerichtshofs vom Justizminister in den Ruhestand gezwungen werden können.
Jourova kritisierte die Maßnahmen der rechtsnationalistischen Regierung in Warschau im Justizbereich scharf: "Wir sehen eine systematische Abschaffung der Rechtsstaatlichkeit in Polen, weil das Machtgleichgewicht zwischen Judikative und Exekutive zerstört wird."
Kommissarin: "Müssen über harte Schritte nachdenken"
Zur Sprache kommen müsse nun die "Einhaltung von Grundrechten und rechtsstaatlichen Prinzipien als Bedingungen dafür, dass ein EU-Staat Geld vom europäischen Steuerzahler bekommt", sagte die tschechische Kommissarin. Es gehe dabei nicht um laufende Gelder, sondern erst um die Mittel der nächsten Förderperiode, die im Jahr 2021 beginnt.
Da das von der EU-Kommission eingeleitete Rechtsstaatsverfahren voraussichtlich keine Sanktionen haben werde, müssten neue Druckmittel erwogen werden: "Der Entzug von Fördergeldern ist ein harter Schritt, aber wir müssen über harte Schritte nachdenken", sagte Jourova.
Polen könnte Stimmrechte in EU-Gremien verlieren
Vize-Kommissionspräsident Frans Timmermans gab bekannt, dass eine Entscheidung, ob "der Artikel 7 ausgelöst" werden soll, in der nächsten Woche erfolgen werde. Artikel 7 sieht bei "schwerwiegender und anhaltender Verletzung" der im Vertrag verankerten Werte als schwerste Sanktion eine Aussetzung der Stimmrechte des Mitgliedsstaats vor. Timmermans betonte, die Unabhängigkeit des polnischen Justizwesens werde "deutlich untergraben".
Präsident Duda fordert Änderungen und droht mit Veto
Nach tagelanger harscher Kritik aus dem Ausland hat sich nun auch der polnische Präsident Andrzej Duda eingeschaltet. Er droht mit einem Veto, sollte die Vorlage nicht geändert werden. Nachdem das Gesetzespaket in erster Lesung im Parlament abgesegnet worden war, ist eine Debatte vor der zweiten und entscheidenden Lesung in der Nacht auf Mittwoch abgebrochen worden. Zuvor war es zu einem heftigen Streit zwischen Oppositionsabgeordneten und dem Chef der regierenden PiS gekommen. Jaroslaw Kaczynski geriet außer sich, als sich Abgeordnete bei ihrer Kritik an der geplanten Justizreform auf seinen Zwillingsbruder, den bei einem Flugzeugabsturz getöteten damaligen Präsidenten Lech Kaczynski, beriefen.
Kaczynski an Opposition: "Ihr habt meinen Bruder ermordet"
"Wischen Sie sich nicht Ihre Verrätermäuler am Namen meines in heiliger Erinnerung bleibenden Bruders ab", rief der PiS-Chef in der Nacht auf Mittwoch. "Sie haben ihn zerstört, ermordet. Sie sind Schurken", beschimpfte er die Opposition. Als eine Abgeordnete darauf antworten wollte, brachte Kaczynski sie mit den Worten "Hau ab!" zum Schweigen. Wenige Minuten später verkündete der Vizepräsident des Abgeordnetenhauses, dass die Debatte unterbrochen und am Mittwoch fortgesetzt werde.
In mehreren polnischen Städten gingen am Dienstagabend erneut Tausende Menschen auf die Straßen, um gegen das Vorhaben zu demonstrieren.
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