Erdogan bei Großdemo
Massenhysterie und Jubelschreie für Todesstrafe
Bei einer Großkundgebung in Istanbul mit rund drei Millionen Teilnehmern hat sich der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdogan am Sonntag von der Bevölkerung Rückendeckung geben lassen und der EU die kalte Schulter gezeigt. Bei der Demonstration drei Wochen nach dem gescheiterten Putsch stellte Erdogan unter dem Jubel seiner Anhänger erneut die Einführung der Todesstrafe in Aussicht. Außerdem übte er Kritik an den deutschen Behörden.
"Wenn das Volk die Todesstrafe will, werden die Parteien seinem Willen folgen", sagte Erdogan auf dem Istanbuler Yenikapi-Platz, den die Demonstranten in ein Meer türkischer Flaggen verwandelt hatten. Wenn das Parlament eine entsprechende Entscheidung treffe, werde er dieser "zustimmen". Erdogan ging mit seiner Äußerung offenbar auf die Rufe von Demonstrationsteilnehmern ein, die lauthals "Todesstrafe" skandierten.
"Die meisten Länder wenden die Todesstrafe an"
Der Staatschef führte in seiner Rede aus: "Offensichtlich gibt es keine Todesstrafe in Europa, aber sie haben sie in den USA, in Japan, in China. Die meisten Länder wenden sie an." Auch in der Türkei sei die Verhängung der Todesstrafe noch bis 2004 möglich gewesen - auch wenn die letzte Hinrichtung im Land bereits 1984 stattgefunden habe. Die Europäische Union hatte wiederholt davor gewarnt, dass die Wiedereinführung der Todesstrafe in der Türkei ein Ende der Beitrittsverhandlungen bedeuten würde.
Erdogan in Richtung EU: "Wir sind aufrichtig"
Die Türkei warte bei den Beitrittsverhandlungen seit 53 Jahren auf Fortschritte, so Erdogan. "Wir sind aufrichtig, dasselbe erwarten wir von der EU." Mit scharfen Tönen kritisierte er auch einmal mehr die Entscheidung der deutschen Behörden, ihn Ende Juli nicht per Videoschaltung zu seinen Anhängern bei einer Großdemonstration in Köln sprechen haben zu lassen. "Wo ist die Demokratie?", fragte Erdogan. Kämpfern der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) sei hingegen schon einmal eine Videoschaltung in Deutschland erlaubt worden. "Lasst sie diese Terroristen füttern, sie werden sie auch treffen", kommentierte Erdogan.
"Historisches" Treffen mit "Freund Wladimir"
Unterdessen will Erdogan bei seinem Treffen mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin am Dienstag in St. Petersburg den schweren bilateralen Streit zwischen den beiden Ländern endgültig beilegen. "Es wird ein historischer Besuch, ein Neuanfang. Bei den Gesprächen mit meinem Freund Wladimir wird eine neue Seite in den beiderseitigen Beziehungen aufgeschlagen", sagte Erdogan.
Die Veranstaltung auf dem Yenikapi-Platz am Sonntag war schon Stunden vor dem offiziellen Beginn der Demonstration in einem Meer aus Türkei-Flaggen versunken. An der Kundgebung nahmen laut türkischen Medien rund drei Millionen Menschen teil, Regierungskreise sprachen von fünf Millionen. Ministerpräsident Binali Yildirim hatte dazu aufgerufen, bei der "überparteilichen" Demonstration nur die Landesflaggen und keine Parteiflaggen zu zeigen. Rund 15.000 Polizisten waren in der Bosporus-Metropole im Einsatz, um die Kundgebung abzusichern. Die Veranstaltung wurde im Fernsehen und landesweit auf Großleinwänden übertragen.
Oppositionsparteien nahmen an Kundgebung teil
Vor Erdogans Rede sprachen auch Generalstabschef Hulusi Akar sowie die beteiligten Oppositionsführer zu der Menge. Der Chef der nationalistischen MHP, Devlet Bahceli, lobte, die Türken seien während des Putschversuchs trotz Schüssen auf die Straße gegangen, "als ob sie in einen Rosengarten gingen". Kemal Kilicdaroglu, Chef der Republikanische Volkspartei, übte allerdings auch indirekte Kritik an Erdogans Reaktion auf den Putschversuch - aus dem Umsturzversuch müsse die Lehre gezogen werden, Politik "aus Moscheen, Kasernen, Gerichten" herauszuhalten. Außerdem müsse das parlamentarische System gestärkt werden, fügte Kilicdaroglu als Kritik an Erdogans Hinarbeiten auf ein Präsidialsystem hinzu.
Bei dem gescheiterten Putsch am 15. Juli waren mindestens 273 Menschen getötet worden, darunter nach Darstellung der Regierung 239 "Märtyrer", also Zivilisten und regierungstreue Sicherheitskräfte. Erdogan macht den im US-Exil lebenden islamischen Prediger Fethullah Gülen für den Umsturzversuch verantwortlich. Der Staatschef verhängte den Ausnahmezustand, mehr als 60.000 Menschen wurden verhaftet oder entlassen, darunter Richter, Staatsanwälte und Journalisten. International stößt das Vorgehen der türkischen Regierung auf scharfe Kritik, Erdogan wird vorgeworfen, er strebe eine autoritäre Alleinherrschaft an.
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