Deutsches Wahlbeben

Merkel siegt, aber rechte AfD ist der Gewinner

Ausland
25.09.2017 06:07

Die Bundestagswahl in Deutschland hat nicht nur einen heftigen Dämpfer für Angela Merkel und die CDU/CSU gebracht, auch die SPD mit Spitzenkandidat Martin Schulz musste herbe Verluste hinnehmen. Die Sozialdemokraten fuhren das historisch schlechteste Ergebnis ein. Die Rechtsaußen-Partei Alternative für Deutschland (AfD) schaffte als drittstärkste Kraft den Einzug in den Bundestag.

Mit 33,0 Prozent hat Angela Merkel im Vergleich zur Wahl im Jahr 2013, wo die Kanzlerin noch 41,5 Prozent der Stimmen auf sich vereinigen konnte, eine massive Niederlage einstecken müssen. "Wir hatten uns ein besseres Ergebnis erhofft. Aber wir dürfen nicht vergessen, dass eine schwierige Legislaturperiode hinter uns liegt. Wir haben nun den Auftrag, eine Regierung zu bilden - gegen uns kann jedenfalls keine Regierung gebildet werden", sagte Merkel am Sonntagabend in Berlin. Es sei "nicht selbstverständlich", nach zwölf Jahren Regierungsverantwortung noch immer stärkste Kraft zu werden, so die Kanzlerin.

Neue Umfrage aus Deutschland: Die Union mit Kanzlerin Angela Merkel sackt auf 28 Prozent ab. Zweiter ist mit 18 Prozent bereits die AfD unter Parteichef Alexander Gauland. (Bild: AP, APA/AFD, stock.adobe.com, krone.at-Grafik)
Neue Umfrage aus Deutschland: Die Union mit Kanzlerin Angela Merkel sackt auf 28 Prozent ab. Zweiter ist mit 18 Prozent bereits die AfD unter Parteichef Alexander Gauland.

Merkel kündigte eine "Analyse" des Wahlergebnisses an, weil die Union die Wähler der AfD "zurückgewinnen" wolle - durch ein Ernstnehmen der Sorgen, vor allem aber "durch eine gute Politik". In Sachen Amtszeit nimmt Merkel Kurs auf den Rekord von Langzeitkanzler Helmut Kohl (CDU) mit mehr als 16 Jahren. Merkel ist seit 22. November 2005 durchgehend im Amt.

Video: Merkel: "Wir sind stärkste Kraft"

Eine herbe Wahlschlappe erlitt ihr Herausfoderer Martin Schulz, der für die SPD nur rund 20,5 Prozent holen konnte (2013: 25,7 Prozent). Damit fuhren die Sozialdemokraten ihr schlechtestes Ergebnis seit 1949 ein.

SPD will in Opposition gehen
Kurz nach Veröffentlichung der ersten Hochrechnungen gab die SPD bereits bekannt, in die Opposition gehen zu wollen. "Das werden wir tun", sagte Vizechefin Manuela Schwesig im ZDF. Laut dpa und "Focus" war dies in einer Telefonschaltkonferenz unter Leitung des Spitzenkandidaten Schulz am Sonntag beschlossen worden. Schulz will trotz der Schlappe SPD-Chef bleiben, wie er noch am Wahlabend bekannt gab.

Martin Schulz am Wahlabend nach der ersten Hochrechnung (Bild: AP)
Martin Schulz am Wahlabend nach der ersten Hochrechnung

Es sei "ein schwerer und bitterer Tag für die deutsche Sozialdemokratie", so Schulz. Er nannte den historischen Wahlerfolg der AfD "bedrückend". "Das ist eine Zäsur, und kein Demokrat kann darüber einfach hinweggehen." Zentrale Aufgabe der SPD bleibe es, den sozialen Zusammenhalt in der Gesellschaft zu organisieren. Man werde den Kampf für Demokratie, Toleranz und Respekt weiterführen. "Wir sind das Bollwerk der Demokratie in diesem Land."

AfD: "Druck auf Kanzlerin"
Die AfD konnte ihren Stimmenanteil mit 12,6 Prozent Prozent fast verdreifachen, nachdem die rechtsextreme Partei im Jahr 2013 auf 4,7 Prozent gekommen war. Sie zieht damit ebenso in den Bundestag ein wie die liberale FDP nach vier Jahren Abwesenheit mit 10,7 Prozent. AfD-Spitzenkandidat Alexander Gauland kündigte kurz nach der ersten Hochrechnung starken Druck auf die Kanzlerin an. "Wir werden Frau Merkel jagen", sagte Gauland in Berlin. Die Partei wolle sich "unser Land und unser Volk zurückholen".

Video: AfD droht: "Wir werden Frau Merkel jagen"

AfD-Chef Alexander Gauland (Bild: AP)
AfD-Chef Alexander Gauland

FPD will nicht "Ausputzer machen"
Auch Linkspartei und Grüne (9,2 Prozent bzw. 8,9) konnten die Fünf-Prozent-Hürde deutlich überspringen. Die Union der Kanzlerin hat nun wohl nur noch eine Koalitionsoption, und zwar eine "Jamaika-Koalition" mit Grünen und FDP, die in vielen Fragen - insbesondere in der Europapolitik - über Kreuz sind. Doch auch die Liberalen zieren sich: Die FDP mache nicht zwangsläufig den "Ausputzer", sagte Vizechef Wolfgang Kubicki in der ARD.

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Kubicki kritisierte vor allem die Entscheidung der SPD, in die Opposition zu gehen. Seine Partei stehe deshalb nicht automatisch für eine Koalition zur Verfügung. Auch FDP-Generalsekretärin Nicola Beer ließ eine Regierungsbeteiligung ihrer Partei offen. "Wir werden jetzt erst einmal abwarten", sagt sie im ZDF. Wenn die Kanzlerin bei der FDP anrufe und zu einer Regierungsbeteiligung einlade, werde man darüber sprechen. "Gedanken muss sich jetzt die Kanzlerin machen", sagte Beer.

Linke-Chefin: "Vielleicht Probleme ausgeklammert"
Die Linke hätte sich nach Ansicht von Spitzenkandidatin Sahra Wagenknecht im Wahlkampf mehr der Flüchtlingsthematik widmen müssen. Man habe "dort auch vielleicht bestimmte Probleme ausgeklammert, in der Sorge, dass man damit Ressentiments schürt".

Sarah Wagenknecht, Spitzenkandidaten der Linken, am Wahlabend (Bild: AFP)
Sarah Wagenknecht, Spitzenkandidaten der Linken, am Wahlabend

"Am Ende hat man dann der AfD überlassen, bestimmte Dinge anzusprechen, von denen die Menschen einfach erleben, dass sie so sind", sagte Wagenknecht, die sich schon seit geraumer Zeit für einen Kurswechsel in der Flüchtlingspolitik der Linken ausspricht. Zugleich gab sie der großen Koalition die Hauptschuld am Wahlerfolg der AfD. Die Linke sei mit dem Ergebnis zufrieden: "Wir haben das zweitbeste Ergebnis unserer Parteiengeschichte."

Deutschlands Präsident Frank-Walter Steinmeier bei der Stimmabgabe (Bild: AP)
Deutschlands Präsident Frank-Walter Steinmeier bei der Stimmabgabe

Die Sitzverteilung sieht nach Angaben des Bundeswahlleiters damit so aus: CDU/CSU: 246 Mandate, SPD: 153, AfD: 94, FDP: 80, Linke: 69, Grüne: 67.

Historisches Debakel für CSU in Bayern
Die CSU hat in Bayern so schwach abgeschnitten wie seit 1949 nicht mehr. Auf die Schwesterpartei der CDU, die mit dem bayrischen Innenminister Joachim Herrmann als Spitzenkandidat angetreten war, entfielen nur noch 39 Prozent der abgegebenen Stimmen.

Lange Gesichter bei den Anhängern der CSU in Berlin (Bild: AFP)
Lange Gesichter bei den Anhängern der CSU in Berlin

Die CSU liegt damit noch unter den 42,5 Prozent von 2009, ihrem bisher zweitschlechtesten Ergebnis. Vor vier Jahren war die Christlich-Soziale Union noch auf 49,3 Prozent gekommen. Unerwartet stark schnitt in Bayern die AfD mit gut zwölf Prozent ab (2013: 4,3).

Seehofer: "Harter Kurs in Flüchtlingsfrage"
CSU-Vorsitzender Horst Seehofer erklärte nach der Bekanntgabe der ersten Hochrechnungen, man wolle künftig mit einem harten Kurs in der Flüchtlingsfrage der AfD den Wind aus den Segeln nehmen. "Wir hatten eine Flanke auf der rechten Seite, eine offene Flanke", sagte der bayrische Ministerpräsident am Sonntag in München. Diese Flanke gelte es nun zu schließen, "mit klarer Kante und klaren politischen Positionen".

Angela Merkel bei der Stimmabgabe in Berlin (Bild: AFP)
Angela Merkel bei der Stimmabgabe in Berlin
Martin Schulz (SPD) und seine Gattin bei der Stimmabgabe (Bild: AP)
Martin Schulz (SPD) und seine Gattin bei der Stimmabgabe

In Köln gingen die Stimmzettel aus
Der jahrelange Abwärtstrend bei der Wahlbeteiligung in Deutschland ist offenbar gebrochen. Sie lag am Sonntag bei 76,2 Prozent, 2013 hatten nur 71,5 der Wahlberechtigten abgestimmt. In Köln gingen sogar in einigen Wahllokalen die Stimmzettel aus. 200 der insgesamt 800 Wahlbüros in der Domstadt forderten Nachschub an, wie der "Kölner Stadt-Anzeiger" unter Berufung auf die Stadtverwaltung mitteilte. Die städtische Wahlleitung habe daraufhin Taxis mit neuen Stimmzetteln zu den betroffenen Wahllokalen geschickt.

Mit der Beteiligung aufwärts ging es Wahlforschern zufolge meist dort, wo die AfD erstmals zur Wahl stand. Die Partei konnte schon mehrfach viele ehemalige Nichtwähler für sich mobilisieren. Experten gehen aber auch davon aus, dass das Erstarken von Rechtspopulisten wieder mehr Anhänger traditioneller Parteien in die Wahllokale zieht.

(Bild: AP)
(Bild: AFP)

Proteste gegen AfD-Wahlparty
In Berlin kam es zu Protesten gegen die Wahlparty der AfD. Etwa 300 Menschen versammelten sich am Sonntagabend vor einem Hochhaus am Alexanderplatz, wo die AfD in einem der unteren Geschoße ihren Einzug in den Bundestag feierte. Viele Demonstranten pfiffen, riefen Parolen wie "Haut ab, haut ab" und "AfD-Rassistenpack" oder machten Lärm mit verschiedenen Instrumenten.

Unter den Teilnehmern waren auch Vertreter linksradikaler Gruppen wie der Antifa. Auf einem Transparent stand "Rassismus ist keineten und filmten vom Balkon aus. Die Polizei war mit einem größeren Aufgebot vertreten. Auch in Frankfurt kam es zu einer Kundgebung.

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Protest gegen die AfD in Frankfurt (Bild: AP)
Protest gegen die AfD in Frankfurt
(Bild: AP)
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