Mittels Verknüpfung von Daten aus Online-Plattformen lässt sich einiges über die musikalischen Vorlieben von Personen und sogar ganzen Ländern erfahren. Diese neuen Datenpools nutzen Linzer Computerwissenschaftler, um Systeme zu gestalten, die Hörern gezieltere Vorschläge machen. Auf dem Weg dorthin zeigen sie aber etwa auch, wie sich "Freiheit" im Musikverhalten abbildet.
In den USA wird ungefähr doppelt so viel Rap und Hip-Hop wie Rock gehört, in Finnland regiert der Heavy Metal, Jamaika ist noch immer die Reggae-Hochburg, Japan und China sind kaum mit dem "internationalen Mainstream" vergleichbar und Österreichern und Deutschen merkt man auch bei ihren Streifzügen auf Online-Musikplattformen die gemeinsame Sprache an. Das eine oder andere fast überkommen geglaubte musikalische Klischee findet sich laut Markus Schedl vom Institut für Computational Perception an der Universität Linz auch im Web wieder.
Plattform-User geben tiefe Einblicke
In einem vom Wissenschaftsfonds FWF geförderten Projekt analysiert er das Verhalten auf der Musikstreaming-Plattform Last.fm und dem Social-Media-Kanal Twitter und bringt das dann mit sozio-kulturellen Informationen eines Landes und Persönlichkeitsmerkmalen von Nutzern in Verbindung. Die Last.fm-Daten erlauben einen recht genauen Einblick darin, was wo auf der Welt zu welchem Zeitpunkt gehört wird, in Tweets geben User preis, mit welchen Musikstücken sie sich gerade beschäftigen.
Schedl und sein Team haben zum Beispiel Verfahren entwickelt, mit dem mit GPS-Daten versehene Tweets zu "Musikhörevents" automatisch identifiziert werden können. Aus diesen Information kann wiederum einiges über die Persönlichkeit von Hörern in Erfahrung gebracht werden. Das Web 2.0 und seine Spielarten dient den Forschern also gewissermaßen als Messgerät für das erweiterte Musikverhalten.
Was hört ein Land?
Die Frage, wie sich ganze Länder in ihrem Hörverhalten unterscheiden, sei erst seit kurzem in den Fokus gerückt, sagte Schedl. Dazu erstellen die Computerwissenschaftler einerseits Modelle der Hörer, im Sinne eines Profils der beliebtesten Musikgenres pro Land, und andererseits "gibt es eine Vielzahl an offen zugänglichen Daten, die bestimmte Eigenschaften der Länder beschreiben".
Darunter etwa Informationen über kulturelle Bedingungen und Vorlieben, Wirtschaftsdaten oder Statistiken zur ethnischen oder religiösen Zusammensetzung eines Landes. "Zwischen all dem versuchen wir Beziehungen herzustellen, um besser zu verstehen, welche Arten von Musik in welchen Kulturkreisen gehört werden", sagte Schedl.
Hierzulande könne man zwar auf eher wenige Daten zurückgreifen, es zeige sich aber, dass - "nicht sehr verwunderlich - Österreich vom Musikgeschmack relativ nahe bei Deutschland liegt".
Interessant sei aber auch, dass der große Anteil von Schlager und volkstümlicher Musik in den Charts in beiden Ländern in den sozialen Medien nicht so stark herauskomme. Ein ähnlicher Effekt zeige sich weltweit für die klassische Musik: Einem relativ hohen Anteil am Gesamtkuchen von ungefähr fünf Prozent standen nur 0,3 Prozent einschlägige Tweets gegenüber.
Andere Länder, andere Musik-Sitten
Mit Methoden des maschinellen Lernens gruppierten die Wissenschaftler dann die analysierten Länder. Eindeutige Geschmacks-Cluster bildeten etwa die USA, Großbritannien und Australien, die baltischen Länder oder Russland, Ukraine und Weißrussland. "Man findet aber auch Ausreißer, die sich von allen anderen deutlich unterscheiden, wie zum Beispiel Japan und China", so Schedl.
Illustriert wird das etwa durch den äußerst gewöhnungsbedürftigen sogenannten "J-Pop", der es kaum über die Grenzen Japans hinaus schafft. In Finnland finden sich fünf bis sechs Spielarten des Heavy Metal unter den Top-10 - sehr erstaunlich, angesichts etwa 2.000 berücksichtigter Genres insgesamt. Anders als in Nordamerika dominiere in Südamerika stärker die Rockmusik, so eine weitere Erkenntnis.
Umgekehrt stellten sich die Forscher die Frage, ob hinsichtlich kultureller, ethnischer und sozioökonomischer Kennzahlen ähnliche Länder einander auch musikalisch ähnlich sind. Schedl: "Es hat sich gezeigt, dass der Grad der ethnischen Durchmischung einen Einfluss hat. Länder, die sehr durchmischt sind, haben auch einen gemischteren Musikgeschmack."
Ziehe man etwa den Index für Pressefreiheit oder das Vertrauen ins Parlament in einem Staat als Hinweis auf das Ausmaß an Freiheit heran, zeige sich ähnliches: In tendenziell "freieren" Ländern ist auch der Musikgeschmack diverser. Über die Ursachen dafür könne man aufgrund der Daten allerdings nur mutmaßen, wie der Forscher betonte, der die Auflösung der Verfahren zukünftig erhöhen möchte, um etwa auch Stadt-Land-Unterschiede innerhalb von Staaten analysieren zu können.
Automatisch zur Musik-Persönlichkeit
Wie einzelne Persönlichkeitsmerkmale mit dem Musikgeschmack zusammenhängen, untersuchen die Wissenschaftler ebenfalls. Dem nähert sich die Wissenschaft klassisch über einschlägige Fragebögen an. "Wir wollen natürlich nicht, dass der Benutzer 44 Fragen ausfüllt, sondern wir wollen die Persönlichkeit automatisch aus Daten aus Sozialen Medien lernen", sagte Schedl. Auch in dem Zusammenhang seien Twitter- und Instagram-Daten sehr aufschlussreich. Rein aus schriftlich ausgedrückten Gefühlen lasse sich auf vieles rückschließen, was mitunter auch sehr "spooky" sei, so der Forscher.
Im Zuge der Analysen habe man etwa herausgefunden, dass die meisten Hörer, wenn sie sich in negativer Stimmung befinden, positiv gestimmte Musik bevorzugen. Aber eben nicht alle: "Neurotiker wollen eher noch in der melancholischen Schiene bleiben", so eine der Erkenntnisse.
Forschung für bessere und unterschiedlichere Empfehlungen
Insgesamt geht es den Linzern darum, "Musikempfehlungssysteme zu verbessern". Bisher machen einschlägige Plattformen ihre Vorschläge nämlich auf Basis des bisherigen Klick-Verhaltens des Users und von Leuten, die als "ähnlich" angesehen werden. Auf die musikalischen Inhalte werde noch nicht geschaut. Daher sei die Treffsicherheit der Systeme auch eingeschränkt, so der Wissenschaftler.
Nutzt man all diese Informationen, um Online-Musikangebote personalisiert abzustimmen, laufe man natürlich Gefahr, dass Filterblasen entstehen - im Sinne dessen, dass bestimmte Personengruppen nur noch jenen Ausschnitt der Klangwelt angeboten bekommen, den ihnen ein datengetriebenes System zutraut. Das müsse aber nicht sein, meint Schedl: So habe man in Studien gezeigt, dass Ansätze, die quasi immer das empfehlen, was in etwa gerade in den Charts ist, in Kombination mit inhaltsbasierten Ansätzen, wie etwa denen des Linzer Forschers, "die empfohlene Musik sehr viel diverser ist. So kann man dem Problem der Filterblase ein wenig entgegenwirken", sagte Schedl.
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