Smartphone, Tablet und soziale Netze haben unser Leben in den letzten Jahren revolutioniert. Geht es nach der US-Psychologin Jean Twenge, hat diese IT-Revolution aber nicht nur Gutes gebracht. Jugendliche, die eine Welt ohne allgegenwärtiges mobiles Internet gar nicht mehr kennen, führen ein ganz anderes Leben als ihre Eltern. Sie sind unglücklicher, unselbstständiger und einsamer. Eine "zerstörte Generation"?
Die technologische Revolution der letzten Jahre habe die Jugend in einem Ausmaß verändert, wie man es selten zuvor in der Geschichte gesehen hat, schreibt Twenge in einem Essay für die Zeitung "The Atlantic". Waren früher Selbstbestimmung und Unabhängigkeit zentrale Ziele heranwachsender Menschen, sei seit etwa 2012 eine Umkehrung dessen zu beobachten, was Jugendliche früherer Jahrzehnte als erstrebenswert betrachteten.
Jugendliche treffen sich immer seltener mit Freunden
Twenge untermauert ihre Diagnose mit aktuellen Statistiken aus den USA. So habe sich etwa die Zahl der wöchentlichen Treffen mit Freunden seit dem Start des ersten iPhones im Jahr 2007 deutlich reduziert - bei 17- bis 18-Jährigen von 2,9 auf 2,3 Treffen pro Woche, bei jüngeren Schülern von etwa 2,5 auf 1,9 Treffen pro Woche. Der Grund: Weil Jugendliche heute nonstop über Snapchat, Facebook und andere soziale Medien miteinander verbunden sind, legen sie nicht mehr so viel Wert auf persönliche Treffen.
Entsteht gerade eine Generation von Nesthockern?
Laut der Psychologin erzeugt die Smartphone-Ära eine Generation von Nesthockern. Die Jugend von heute hat es nicht eilig, "Hotel Mama" zu verlassen und bleibt tendenziell länger zu Hause als frühere Generationen. Das erkenne man auch am Drang der Jugendlichen, den Führerschein zu machen. War es früher in den USA üblich, den Führerschein so schnell wie möglich mit 16 in der Tasche zu haben, lassen sich die Jugendlichen heute mehr Zeit.
Insgesamt entspreche der Entwicklungsstand eines heute 18-Jährigen dem eines 15-Jährigen vor 20 Jahren. Und ein heute 15-Jähriger lebt eher das Leben eines 13-Jährigen früherer Jahrzehnte. Wozu auch mit dem Erwachsenwerden beeilen, wenn man die Freunde ohnedies im Kinderzimmer liegend am Smartphone erreicht und sich nicht in der echten Welt trifft?
Zwischenmenschliches leidet unter Flucht ins Virtuelle
Die Entwicklung hin zur Smartphone-Lethargie sei Gift für die Beziehungen und das psychische Wohlbefinden der Jugendlichen. Obwohl sie länger bei ihren Eltern wohnen, entfremden sie sich nach Auffassung der Psychologin von diesen. Statt mit der Familie zu reden, stecken viele Jugendliche die Nase in ihr Smartphone. Und statt sich - ihrem Alter angemessen - zu Verabredungen zu treffen, chatten Jugendliche mit ihrem Schwarm am Smartphone.
Auch diese Beobachtung untermauert die Psychologin mit Zahlen: Gingen in den Achtzigern und Neunzigern noch rund 95 Prozent der Jugendlichen auf Dates, sind es heute bei den 17- und 18-Jährigen nur mehr rund 55 Prozent. Bei noch jüngeren Jugendlichen sind es 40 bis 50 Prozent. Die Folge: Junge Menschen in den USA haben ihr "Erstes Mal" heute messbar später als frühere Generationen.
Total vernetzt, aber auch total vereinsamt
Eine interessante Erkenntnis: Obwohl heutige Jugendliche online so stark vernetzt sind wie keine Generation vor ihnen, leiden sie doch häufiger unter Einsamkeit. Fühlten sich in Umfragen vor der Einführung des iPhones rund 20 Prozent der Jugendlichen einsam, sind es heute 32 Prozent. Und fühlte sich 2006 noch rund jeder vierte Jugendliche sozial isoliert, ist es nun jeder dritte.
Als Ursache identifiziert Twenge auch hier das Smartphone - und die sozialen Netzwerke, die darauf laufen. Einerseits sorgen die Geräte dafür, dass sich Jugendliche zunehmend selbst isolieren, andererseits wird ihnen diese Isolation durch die Social-Media-Postings Anderer aber auch in einem bisher ungekannten Maß vor Augen geführt. Vor allem Mädchen leiden unter diesem Gefühl der Isolation. Die Folge: Immer mehr Jugendliche leiden unter Depressionen, die Selbstmordrate in den USA ist auf dem höchsten Niveau seit Jahrzehnten.
Generation Smartphone leidet unter Schlafmangel
Neben psychischen Problemen kann das Smartphone auch körperliche Beschwerden verursachen, weiß die Psychologin - nämlich dann, wenn es zu Schlafstörungen führt. Jugendliche, die das Gerät mit ins Bett nehmen und womöglich sogar daneben schlafen, leiden heute tendenziell weit öfter unter Schlafmangel als frühere Generationen. Seit 2006 hat sich die Zahl der Jugendlichen mit Schlafmangel von etwa einem Drittel auf rund 40 Prozent erhöht, zitiert die Psychologin aus einschlägigen Untersuchungen. Zum Vergleich: 1991 litt nur jeder vierte Jugendliche unter Schlafmangel.
Die Ursachen für diese Entwicklung könnten einerseits die Smartphones selbst sein, deren bläuliches Licht die Ausschüttung von Schlafhormonen hemmt, andererseits aber auch der bereits angesprochene emotionale Stress, den die Generation Smartphone - Twenge spricht von der "iGen" - durch ihre ständige Verfügbarkeit in sozialen Netzwerken erlebt.
Das beste Gegenmittel: Smartphone abschalten!
Depression, Unselbstständigkeit, Lethargie, Schlafmangel, wenig Interesse am anderen Geschlecht oder an gemeinsamen Aktivitäten - für Twenge sind die Veränderungen an der Jugend, die in den letzten fünf Jahren, in denen sich das Smartphone bei der breiten Masse etabliert hat, mit der Zerstörung einer ganzen Generation vergleichbar. Doch die Psychologin kennt auch ein Gegenmittel: das Smartphone einfach mal wegzulegen.
Psychologische Untersuchungen in den USA legen eindeutig nahe, dass die Gefahr, unglücklich zu sein, mit steigender Smartphone-Nutzung zunimmt. Im Umkehrschluss erwiesen sich in Studien jene Jugendlichen als glücklicher und zufriedener, die ihr Smartphone weniger nutzen und vermehrt Aktivitäten außerhalb der virtuellen Welt nachgehen.
Auch Jugendliche merken, dass etwas nicht passt
Tatsächlich scheinen auch die Vertreter der "zerstörten Generation" langsam hinter dieses Geheimnis zu kommen. Ein Mädchen, das sich der Psychologin anvertraut hat, berichtet über Gespräche mit einer Freundin: "Ich habe versucht, mit ihr zu reden, aber sie hat mir gar nicht ins Gesicht geschaut." Stattdessen habe sie nur ihr Smartphone im Blick gehabt. "Das tut irgendwie weh. Ich könnte über etwas Superwichtiges mit ihr reden und sie würde mir überhaupt nicht zuhören."
Das Mädchen holte ihre Freundin zurück in die Realität: "Ich habe ihr das Smartphone aus der Hand gerissen und gegen die Wand geschmissen!" Es besteht also durchaus Hoffnung, dass die "zerstörte" Generation Smartphone doch noch aus ihrer selbstgewählten IT-Lethargie erwacht.
Kommentare
Da dieser Artikel älter als 18 Monate ist, ist zum jetzigen Zeitpunkt kein Kommentieren mehr möglich.
Wir laden Sie ein, bei einer aktuelleren themenrelevanten Story mitzudiskutieren: Themenübersicht.
Bei Fragen können Sie sich gern an das Community-Team per Mail an forum@krone.at wenden.