"Es schmerzt"

Grubenunglück in Lassing jährte sich zum 10. Mal

Steiermark
18.07.2008 13:51
Am Donnerstag hat sich das Grubenunglück von Lassing zum zehnten Mal gejährt. Am 17. Juli 1998 waren bei der größten Bergbautragödie der Zweiten Republik in der Obersteiermark zehn Männer ums Leben gekommen, ein Kumpel konnte wie durch ein Wunder nach neuneinhalb Tagen geborgen werden. In den letzten Tagen war das Interesse an dem kleinen steirischen Ort wieder aufgeflammt, doch die Bewohner wollen den Opfern des Unglücks in Ruhe gedenken. „Es schmerzt. Jede Frage danach zwingt uns, alle emotionalen Belastungen wieder zu erleiden“, heißt es in einem gemeinsamen Statement, in dem die Angehörigen und Freunde der Opfer um stille Anteilnahme bitten.

Der 17. Juli 1998 begann für die Lassinger zunächst wie jeder andere Tag. Die Bergbauleute begannen früh morgens mit der Arbeit, gegen Mittag geschah es dann: Bei einem Schlammeinbruch im Talk-Bergwerk wurde ein Bergmann - der damals 24-jährige Georg Hainzl - in 60 Metern Tiefe eingeschlossen. Nach kurzer Zeit riss der Telefonkontakt ab, es bildete sich ein riesiger Krater über dem Stollen, in den Straßenteile und sogar Häuser hineinrutschten. 

Als eine zehnköpfige Rettungsgruppe - neun Bergleute und ein Geologe - gegen 22.00 Uhr zu Sicherungsarbeiten einfuhr, kam es zur Katastrophe: Tausende Tonnen Schlamm und Wasser brachen in die Grube. Nach - teilweise chaotischen - Rettungsbemühungen passierte am 26. Juli um 20.30 Uhr das „Wunder von Lassing“: die Bergung von Georg Hainzl. Dadurch genährte Hoffnungen für die anderen zehn Verschütteten erfüllten sich nicht - am 17. August wurde der Rettungseinsatz eingestellt.

Als Folge von Lassing sind die Berghauptmannschaften aufgelöst und das Krisenmanagement verbessert worden. Der Werksleiter und der Berghauptmann wurden verurteilt, weil die Sicherungstruppe noch einfahren durfte und zuvor zu dicht an die Oberfläche herangearbeitet worden war. Der rein finanzielle Schaden des Grubenunglücks, den der Eigentümer der Naintsch Mineralwerke Rio Tinto begleichen musste, belief sich auf rund 30 Millionen Euro. 2002 wurde auf dem aufgefüllten Krater eine Gedenkstätte (siehe aktuelles Foto oben) errichtet.

Sie leben „in unseren Herzen und in unseren Kindern weiter“
Zum zehnten Jahrestag haben die Angehörigen eine Erklärung veröffentlicht, in der um Verständnis für ihre Zurückhaltung gegenüber der Öffentlichkeit geworben und gleichzeitig Dank für die vielfältig erfahrene Hilfe ausgesprochen wird. Hier der Wortlaut:

„Zehn Jahre nach dem Grubenunglück von Lassing verstehen wir Angehörigen das öffentliche Interesse, aber verstehen bitte auch Sie unsere Situation als Hinterbliebene: Jede Erörterung der damaligen Geschehnisse und ihrer bis heute und in alle Zukunft wirkenden Folgen ruft bei uns auch den Schmerz wieder hervor. Jede Frage danach zwingt uns, alle emotionalen Belastungen wieder zu erleiden. 

Deshalb haben wir beschlossen, uns dem öffentlichen Interesse nur mit dieser Erklärung zu stellen. Wir nehmen den Jahrestag zum Anlass, nochmals für die enorme persönliche und aufrichtige Hilfe und Anteilnahme von so vielen Menschen zu danken. Dieser Dank gilt insbesondere allen, die sich zum Teil unter Einsatz ihrer Gesundheit und ihres Lebens bemüht haben, unsere Hoffnung am Leben zu erhalten. Es ist schwer, dafür die angemessenen Worte zu finden.

Danke auch für die Hilfe in anderer Form: von der kleinsten Anteilnahme bis hin zu jeglicher Unterstützung. Wir alle haben in unseren Familien und bei unseren Freunden Halt, Gespräch und Umarmung gefunden. Das hat geholfen, nicht zu verzweifeln und weiterzuleben, auch für die Zukunft unserer Kinder. Wir sehen das als ermutigendes Beispiel für alle Menschen, die je so großem Leid ausgesetzt sind. Bestimmt war und ist das ganz im Sinne aller verunglückten Männer, die jeden einzelnen Tag in unserem Leben fehlen, in unserem Herzen und in unseren Kindern weiterleben.“

Unglück nicht „im Kastl des Vergessens“
„Für die Einheimischen ist das Unglück noch immer gegenwärtig, nur reden sie halt nicht darüber“, sagt eine ältere Frau, die am Vorplatz zur Kirche in Lassing tratscht. In dem kleinen obersteirischen Ort deutet nichts darauf hin, dass sich eines der schwersten und mit Sicherheit das aufsehenerregendste Bergwerksunglück Österreichs zum zehnten Mal jährt. Dennoch ist bei näherem Hinschauen das Geschehene nicht „im Kastl des Vergessens“ weggesperrt. 

Vor dem Kaufhaus, das mit öffentlicher Hilfe wiederbelebt wurde und nun auch das geschlossene Ortswirtshaus ersetzt, sieht ein Einheimischer die Katastrophe vom Juli 1998 als „abgeschlossen“ an. „Das ist mehr auswärts ein Thema - so gesehen ist Lassing bekannter als Liezen (die Bezirkshauptstadt, Anm.).“ Prompt hakt ein Tischnachbar, unschwer als Mountainbiker zu erkennen, im Wiener Akzent nach: „Das war ja doch hier in der Nähe, das Grubenunglück, oder?“ Der Einheimische deutet mit der halbvollen Bierflasche nach Nordwesten: „Einen Kilometer da draußen.“

Draußen, beim Gasthof Rohrleitner, wo vor zehn Jahren das Heerlager der Übertragungswagen stand, ist es ruhig. Gerade ein Gast sitzt im Gastgarten. „Ausgekocht wird nimmer, da wären zu große Investitionen notwendig gewesen, die sich nicht rechnen“, erklärt der offenbar mit dem Betrieb vertraute Besucher aus der Nachbarschaft. Die Wirtin selbst winkt ab, wenn man sie auf die Ereignisse anspricht, die vor ihrer Haustür passiert sind.

„Wenn alle Themen erledigt sind, ist es plötzlich da“
„Im öffentlichen Leben merkt man es nicht mehr, das ist nach zehn Jahren abgeebbt“, zieht Bürgermeister Fritz Stangl Bilanz, um einzuschränken: „Es wird aber immer als Letztes hervorgekramt, wenn alle Themen erledigt sind, ist es plötzlich da. Dann merkt man: Es ist nicht im Kastl des Vergessens eingesperrt.“ Der Bürgermeister, im Brotberuf Kfz-Sachverständiger und damals "Vize", war auch persönlich sehr betroffen: „Auf einen Schlag war ein Viertel von meinem Stammtisch weg - das wird man nicht mehr los.“

Das Gemeindeamt ist gepflegt, die Amtsräume hell und transparent, der Sitzungssaal präsentiert sich ziemlich neu holzvertäfelt. „Einheit von Land, Mensch und Natur“ prangt als Leitspruch am Eingang. Als er nach der Katastrophe 2000 das Bürgermeisteramt übernommen habe, sei es seine Hauptaufgabe gewesen, vom Thema wegzukommen: „Es hat ja keinen Sinn, sich nur zu beweinen und nicht mehr vom Fleck zu kommen.“ Man entwickelte Infrastrukturprojekte, richtete einen Badesee ein und hoffte auf eine EU-Akademie als „Entschädigungsprojekt“, das allerdings noch heute als Rohkonzept im Schreibtisch schlummert.

Lassing – Ursprungsgemeinde und „Vorzeigeprojekt“
Das Lassinger Hochtal liegt etwas abseits zwischen Enns- und Paltental. Der Tourismus ist laut Gemeindechef eine „Langfristchance“, nach wie vor lebe die 1.852-Seelen-Gemeinde von der Urproduktion: Land- und Forstwirtschaft, Bergbau. Mit der für einen eigenen Gewerbepark gedachten Wirtschaftsförderung hat man sich am Gewerbepark Liezen beteiligt - und nascht so dort an der Kommunalsteuer mit. 

„Ein Vorzeigeprojekt zwischen einer Bezirkshauptstadt und einer Landgemeinde“, ist Stangl zufrieden. Auch in Lassing kämpft man mit Abwanderung. Wenngleich die herumtollenden Knirpse im Kindergarten am Ortseingang ein anderes Bild vermitteln. Von den Angehörigen der verunglückten Grubenarbeiter sei übrigens niemand weggezogen, versichert der Bürgermeister.

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