Zum Zeitpunkt der Tat, die der Angeklagte bestreite, war er zurechnungsfähig, so Psychiater Werner Brosch, demzufolge der 24-Jährige aber an einer Persönlichkeitsstörung und an einer schweren Sexualpathologie leide. Das wäre eine schwere Störung, womit wegen höhergradiger seelischer und geistiger Abnormität die Voraussetzungen für eine Einweisung in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher erfüllt wäre. Die Staatsanwaltschaft wird in dem auf zwei Tage anberaumten Verfahren genau dies beantragen.
"Es geht nur um sexuellen Missbrauch"
Unter dem Vorsitz von Richter Gernot Braitenberg trug Staatsanwältin Martina Weiser am Donnerstagvormittag zunächst die - in ihren Details grauenhafte - Anklage in kurzer Form vor. Sie sprach von einem "tragischen Vorfall", den wohl alle aus den Medien kennen, stellte zugleich aber klar, dass es in diesem Prozess nicht um Kindesmisshandlung, sondern um sexuellen Missbrauch gehe: Alles, was (an Verletzungen) vor dem 1. November 2007 stattgefunden habe, sei nicht Gegenstand der Verhandlung.
Der Angeklagte aus dem Bezirk Wien-Umgebung bekannte sich zu Beginn des Prozesses nicht schuldig. "Ich liebe Kinder über alles", wies er von sich, dem Kleinkind etwas angetan zu haben. Die beiden kleinen Buben seiner Freundin (Jahrgang 2003 und Luca, 2006) habe er geliebt, als ob sie seine eigenen gewesen wären.
Staatsanwältin spricht von "eindeutigen Beweisen"
Anders sieht das die Staatsanwältin: Der Mann habe dem Kleinkind an jenem Tag in seinem Haus durch Analverkehr ein Schütteltrauma zugefügt, das zu einer Hirnschwellung führte. Zwei Tage später war der kleine Luca tot. Weiser verwies darauf, dass der Beschuldigte in den Verhören vier verschiedene Versionen des Geschehens erzählte. Für die Tat gebe es aber eindeutige Beweise, so Weiser.
Dem widersprach Ingrid Weber, die Verteidigerin des 24-Jährigen. Eine DNA-Spur sei einzig am Strampelanzug und an der Strumpfhose des Opfers gefunden worden, wohin sie auch beim Wickeln gekommen sein könnte. Das Alter der Spuren war nicht zu bestimmen. Der Analabstrich zeigte zwar männliche Spuren, aber nicht zuordenbar. Ihr Mandant, gelernter Tischler, sei unbescholten und ein fleißiger Bursche, der viel gearbeitet habe. Die schreckliche Tat, die ihm angelastet werde, mache ihm schwer zu schaffen. Die Anwältin sah auch kein Motiv: Es ergebe keinen Sinn für eine derartige Vorgangsweise in einem Haus, in dem sich zu diesem Zeitpunkt mehrere Menschen befunden hatten.
Angeklagter erzählt seine Version
Den Geschworenen erzählte der Angeklagte seine Version der Geschehnisse: In der Nacht auf den 1. November hatte der damals 23-Jährige gemeinsam mit seiner Freundin - im Nebenjob für seinen Vater - Zeitungen ausgeführt, während die Kinder in der Obhut seines Vaters und dessen Partnerin waren, und sich dann schlafen gelegt. Als er zu Mittag aufstand, habe ihm Luca von seinem Gitterbett aus die Arme entgegengestreckt, worauf er den Buben hinauf ins Wohnzimmer trug und gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin wickelte. Weil der Kleine "einen blauen Popo" hatte, schmierte ihn die junge Frau mit einer Salbe ein, ehe sie ihn anzog, während er ein Fläschchen zubereitete.
Weil Luca "müde wirkte", habe er ihn dann nochmals ins Bettchen niedergelegt, sagte der Beschuldigte. Beim "Vorbeigehen" sah er dann, dass dem Buben "Blut aus dem Mundwinkel rann. Im nächsten Moment verdrehte er die Augen und begann zu krampfen, wurde steif ..." - worauf er das Kind, ohne es zu schütteln, sofort hinauf zu seiner Lebensgefährtin getragen habe. Die Tirolerin schüttete Luca kaltes Wasser ins Gesicht, er kam aber nicht zu sich. Während sie nach ihrer jüngeren Schwester rief, die die Rettung verständigte, habe er mit der Mund-zu-Mund-Beatmung begonnen.
"Die heutige Darstellung ist die ursprüngliche Variante?", wollte der Richter die plötzlichen Änderungen in den Aussagen ergründen. Er habe seine damals ebenfalls festgenommene Freundin, die er über alles liebe, entlasten wollen, sagte der 24-Jährige. Auch habe er die Polizei, die ihm nicht geglaubt habe, so verstanden, dass Strafmilderung möglich sei, wenn er zugäbe, dass das Kind hinuntergefallen sei. Bereits eine Stunde nach Prozessbeginn war die Befragung des Beschuldigten abgeschlossen. Danach wurden als erste Zeugen Freunde des jungen Mannes aufgerufen und schließlich noch vor der Mittagspause die Mutter von Luca.
Lucas Mutter: "Ich war sehr verliebt"
"Ich wünsche das niemandem." Tränenerstickt erzählte die als Zeugin geladene Kindsmutter, wie schlecht es ihr nach dem Tod ihres Sohnes gegangen war. Die Blicke des damaligen Paares trafen sich nicht, als die junge Frau für ihre Aussage Platz nahm. Auf ihren Wunsch hin wurde der 24-Jährige dann aus dem Saal geführt. Auf die Frage, ob sie ihm die Tat zutraue, meinte sie: "Dazu will ich nichts sagen." "Ich zeige Ihnen keine Fotos, Sie brauchen sich nicht fürchten", meinte Richter Braitenberg eingangs. Sie sei sehr verliebt gewesen, es war eine gute Beziehung. "Schattenseiten" fielen der Tirolerin auf Frage des Richters nicht ein.
Details zum 1. November 2007 wusste die Frau am Donnerstag nicht mehr. Der 24-Jährige sei nach dem Wickeln fünf bis 15 Minuten mit Luca in den Wohnräumen im Keller gewesen, ehe er ihr den reglosen Buben in die Arme legte und erzählte, dass Luca "plötzlich die Augen verdreht" habe. Empört zeigte sich die Zeugin auf die Frage des Privatbeteiligtenvertreters, ob sie neben dem 24-Jährigen noch einen anderen Freund gehabt hätte.
Mutter des Angeklagten: "Sie war keine liebevolle Mutter"
"Sie war keine liebevolle Mutter" und "sie hat zwei Gesichter", sagte dann die Mutter des Angeklagten über dessen Freundin. Nach Lucas Einlieferung ins Wiener SMZ Ost hätte die Familie sie überreden müssen, im Spital bei ihrem Kind zu bleiben. Der Vater des Beschuldigten schilderte, dass Luca nach Darstellung der Tirolerin ein ungewolltes, trotz Pille empfangenes Kind gewesen sei.
Als die Rettungskräfte am 1. November "aus und ein" gingen, fragte er Lucas im Wohnzimmer stehende Mutter, was passiert sei. "Ich habe ihn geschüttelt", habe sie geantwortet. Der Bub sei an jenem Tag sehr schläfrig gewesen, meinte seine Lebensgefährtin. Der Partner der Mutter des Angeklagten gab an, die Tirolerin hätte ihm im Krankenhaus gesagt, es sei nicht ihr Freund, sondern dessen Vater gewesen. Luca sei reglos in den Armen seiner Mutter gelegen, erzählte die Schwester des 24-Jährigen. Dann habe ihr Bruder mit Erste-Hilfe-Maßnahmen begonnen. "Er war ein richtiger Freund", ein korrekter Mensch. Er könne nichts Negatives über ihn sagen, sagte dann später ein Jugendfreund über den Angeklagten.
Sachverständigenberichte: Extreme Verletzungen
Durch die Sachverständigenberichte wurde am Nachmittag dann die Zahl und Intensität der Verletzungen deutlich, die Luca erlitten hatte. Dem gerichtsmedizinischen Gutachten zufolge wies das Kleinkind frische Hämatome und zahlreiche Einblutungen u.a. am Kiefer und an den Netzhäuten auf. Letztlich führten die Hirnverletzungen, die laut neuropathologischer Expertise durch Gewalteinwirkung entstanden sein müssen, zum Tod.
Nach der Einlieferung des tief bewusstlosen 17 Monate alten Buben am Nachmittag des 1. November 2007 zeigte sich bei zwei folgenden Computertomographien eine drastische Verschlechterung der wässrigen Hirnschwellung. Das Gehirn war großteils bereits abgestorben, sein Zustand hoffnungslos und irreversibel - am 3. November um 10.00 Uhr war Luca tot. Der Bub wies einen Einriss der Schleimhaut und eine massive Überdehnung des Afters auf - laut Sachverständigen durch Penetration entstanden. Das beim Analabstrich gefundene Prostatasekret ohne Spermien war jedoch nicht zuordenbar. Ein Sturz über die Kellertreppe würde die dokumentierten Verletzungen und Hämatome nicht erklären, hieß es.
Im psychologischen Testverfahren beschrieb sich der 24-Jährige selbst als ehrlich, hilfsbereit, romantisch und liebevoll. Von der sexuellen Orientierung her sei er ein zärtlicher Typ, er habe keine homosexuellen Erfahrungen und finde Analverkehrönlichkeitsstörung, aber auffällige Antworten bei den Offenheitsfaktoren: Entweder sei der Angeklagte hier besonders vorsichtig gewesen oder habe bewusst verschleiert.
Leiblicher Vater: Der Bub "schien ihr im Weg zu sein"
Zuvor hatte Lucas leiblicher Vater ausgesagt, die Kindesmutter hätte sich seit ihrer Trennung von ihm "sehr verändert", der Bub "schien ihr im Weg zu sein". Sie verliere schnell die Nerven, Tätlichkeiten gegenüber seinem Kind habe er aber selbst keine beobachtet. Den 24-Jährigen habe er niemals kennen gelernt. Er selbst hatte sein Kind "ab und zu" bei sich, Luca hätte immer einen Ausschlag am Hintern und auch Hämatome gehabt.
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