Eine Forschergruppe um Prof. Hans-Joachim Wagner vom Anatomischen Institut der Universität Tübingen hat den neuen Augentyp während einer Fahrt mit dem deutschen Forschungsschiff "Sonne" bei einem Gespensterfisch (Dolichopteryx longipes) entdeckt.
Augen erreichen eine maximale Empfindlichkeit, wenn sie eine möglichst große Eingangsöffnung (Pupille) besitzen. Dies ist vor allem bei sehr großen Augen der Fall, wie sie zum Beispiel bei nachtaktiven Eulen zu finden sind. Für große Augen wird auch ein großer Kopf gebraucht - was aber für die Hydrodynamik zu Nachteilen führt: Ein kleiner Fisch mit einem großen Kopf verdrängt viel Wasser und muss beim Schwimmen hohe Widerstände überwinden. Als Kompromiss haben viele Tiefseefische sogenannte Röhrenaugen ausgebildet, die einen zylindrischen Ausschnitt aus den üblichen eher kugelförmigen Kameraaugen darstellen und damit weniger Raum benötigen. Solche Röhrenaugen, die fälschlich oft auch als Teleskopaugen bezeichnet werden, haben jedoch einen wichtigen Nachteil: Sie engen das Gesichtsfeld kritisch ein. In vielen Fällen können diese Tiere nur nach vorn beziehungsweise oben schauen. Gegenüber den beiden seitlich liegenden "Normalaugen" mit einem Rundumblick ist das eine schwerwiegende Einschränkung.
Fisch sieht auch, was unter ihm vorgeht
Die von der Forschergruppe beschriebene Gespensterfischart Dolichpteryx longipes verfügt auch über ein solches nach oben ausgerichtetes Röhrenauge mit der üblichen Linsenoptik. Zusätzlich haben die Wissenschaftler jedoch noch eine seitliche Aussackung des Röhrenauges gefunden, die nach unten eine durchsichtige "Hornhaut" besitzt. In mikroskopischen Serienschnitten konnten sie an deren Innenwand eine sphärische Spiegelstruktur beobachten und gegenüber an der Außenwand eine Netzhaut (Retina). Die Spiegelstruktur enthält präzise angeordnete Kristalle aus Guanin. Modellrechnungen der Wissenschaftler haben ergeben, dass dieser Spiegel Lichtstrahlen exakt auf der Fotorezeptorebene der Retina abbildet. Dieses Spiegelauge erlaubt der Fischart daher, auch zu sehen, was unter ihr vorgeht, ob zum Beispiel ein Raubfisch in der Nähe ist.
Spiegel-Auge ist lichtstärker
Abbildende Spiegelkonstruktionen haben gegenüber Linsensystemen in Augen den wichtigen Vorteil, dass sie mit größeren Eingangsöffnungen "arbeiten" und damit lichtstärker, also empfindlicher sind. Sie werden daher auch in technischen Systemen wie Teleskopen eingesetzt. In der Biologie finden sich abbildende Spiegel-Augen bei einer Reihe von wirbellosen Tieren - in Kameraaugen von zum Beispiel Jakobsmuscheln und Muschelkrebsen und in Facettenaugen wie zum Beispiel bei Hummern. Im Gegensatz dazu war bei Wirbeltieren bisher als einziger Augentyp das Kameraauge mit Linse bekannt. Die Wissenschaftler schließen aus ihrer Beobachtung, dass die Evolution von Augensystemen bei Wirbeltieren weniger konservativ verlaufen ist als bisher angenommen.
Foto: T. Frank/Current Biology
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