Der ist nämlich genau genommen einer der teuersten Schals der Welt; exakt 117.839,52 Euro kostet der elegant schwarze Testwagen mit dem angenehm warmen Luft-Schal, der Schultern und Nacken umspielt. Da kommt kein Kaschmir mit, keine Seide. Reine Luft, erwärmt in einem großen zweisitzigen Cabrio, das ist wahrer Luxus.
Ist es zu kalt, bist du zu schwach
Elektrisch öffnet sich das Blechfaltdach in etwa 20 Sekunden (nur im Stand, also bitte nicht erst gegen Ende der Rotphase öffnen, sonst wird es peinlich), und das sollte man jedes Mal nutzen, wenn es nicht regnet oder schneit, denn hier wird nicht (oder kaum) gefroren. Man klappe das Windschott hoch, lasse die (nicht sehr gut abzulesende) Zweizonen-Klimaanlage für gesunde Grundwärme sorgen, schalte die Sitzheizung ein und drücke das Knöpfchen der Winter-Cabrio-Freude: Airscarf, am besten auf höchster Stufe, denn die Gefahr, dass sich hitzebedingt die Haare kräuseln, besteht in keinem Fall.
So lässt sich Offenfahren auch bei knapp über Null Grad genießen, auch wenn der Luftschal im SLK besser wirkt. Es ist ein ungewöhnliches Gefühl, mit geöffnetem Verdeck über Land zu fahren und in den Dörfern, die man streift, die Menschen in Mäntel und Wollschals gehüllt am Straßenrand frieren zu sehen. Im Auto friert man nicht. Gut, eine Kappe sollte man aufsetzen, damit der Kopf warm bleibt, und empfindliche Naturen brauchen etwas an den Ohren. Das sollte aber nicht zu dick sein, damit man auch etwas vom Motorsound hat. Vor allem das automatische Zwischengas beim manuellen Zurückschalten der 7G-TRONIC ist hörenswert.
Trotz "Sportmotor" kein Sportler
Dem „Sportmotor“ genannten 3,5-Liter-V6 des SL 350 hört man seine Kraft auf unaufdringliche Weise an. Er schiebt schon ab 2.000 Touren (hier 350 Nm, Maximum 360 Nm bei 4.900/min.) kräftig an, seine wahre Lust sind aber die hohen Drehzahlen. Man glaubt, er hört gar nicht mehr auf zu drehen, und tatsächlich ist erst bei 7.200/min. Schluss, wobei die Maximalleistung von 316 PS auf der 6.500er-Marke zurückgelassen wird. Der Normverbrauch liegt übrigens bei 11,9 Litern, die aber eher theoretisch sind.
Schade, dass es hier keine Schaltpaddles gibt, damit wäre der Spaß noch größer. Aber in Wahrheit ist der SL 350 ja gar kein Sportwagen, Schaltpaddles wären also irgendwie deplatziert, auch wenn er den Standardsprint in 6,2 Sekunden absolviert und die Automatik erbarmungslos perfekt die richtige Stufe zur rechten Zeit parat hat. Der SL ist ein Cruiser, kein Racer. Fahrwerk und Lenkung lassen Raum zur Interpretation, die Dämpfung ist beinahe weich, auf Unebenheiten mag man sich überlegen, wie sich wohl ein amerikanisches Auto anfühlen würde, aber letztlich liegt der 1,8-Tonner besser, als man annimmt.
Kollektives Kopfschütteln
Man kann also zu jeder Zeit ganz entspannt dreinschauen, was auch wichtig ist, denn wer bei kühler Witterung in einem offenen Mercedes fährt, zieht (insgeheim neidvolle, aber nach außen hin) zutiefst kritische Blicke auf sich. Da sollte man sich trotz entblößten Hauptes keine Blöße geben und in der warmen Luft des Airscarfs cool wirken.
Man kann drauf wetten, dass an der Ampel irgendwer den Kopf schüttelt, während man bei 3 Grad plus das Dach öffnet. Im Kofferraum muss natürlich die (erstaunlich windige) Klappe unten sein, sonst rührt sich gar nichts. Der Kofferraum fasst dann übrigens nur noch 235 Liter, die konzeptionsbedingt nicht leicht zu erreichen sind. Wer mit geschlossenem Verdeck Richtung Urlaub unterwegs ist, bringt 339 Liter unter. Natürlich auch, wenn das Ziel Golf- oder wie in meinem Fall Arbeitsplatz heißt.
Dort angekommen steige ich aus, drücke das Knöpfchen am Zündschlüssel und schaue zu, wie si das Dach schließt. Elegant sieht er aus, der SL 350, viel eleganter als früher. Auch schnittiger. Und moderner, als er von innen wirkt.
Ach ja, ich gehe schnell arbeiten, mir wird nämlich kalt. Vielleicht schenkt mir ja wenigstens jemand einen Kaschmir-Schal, wenn schon keinen Airscarf mit SL…
Stephan Schätzl
Warum?
Warum nicht?
Oder vielleicht …
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