„Krone“-Interview

Muss sich der ORF ändern, Herr Blümel?

Nachrichten
22.12.2017 05:55

Gernot Blümel (36), der neue Kanzleramtsminister für EU, Medien, Kunst und Kultur, spricht mit Conny Bischofberger über sein heikles Ressort, das schwierige Verhältnis des Koalitionspartners FPÖ zu ORF und zu Künstlern und seine Liebe zur Philosophie.

Das Metternich-Zimmer am Ballhausplatz 2, in dem noch vor Kurzem Christian Kern sein Büro hatte und davor alle Bundeskanzler seit Wolfgang Schüssel, ist jetzt seins. „Das hat sich so ergeben, weil Sebastian Kurz sich entschieden hat, an die Tradition vieler Kanzler bis Viktor Klima anzuknüpfen und ins Kreisky-Zimmer zu gehen“, sagt Gernot Blümel und nimmt am Besprechungstisch Platz, der früher bei den zwei großen Spiegeln stand. Am Boden warten Umzugskisten, die Wände sind noch leer. Welche Künstler einmal hier hängen werden, das will der Kunstminister im Dialog mit Experten erarbeiten. Man werde das BKA für österreichische Künstlerinnen und Künstler öffnen, kündigt Blümel an. Der ÖVP-Kanzleramtsminister ist gekleidet, als gäbe es einen Kurz-Dresscode. Dunkelblaues Sakko, Hemd mit Haifischkragen, keine Krawatte.

Krone: Wie fühlt sich das an, plötzlich im Kanzlerzimmer zu sitzen?
 
Gernot Blümel: Um ehrlich zu sein, habe ich es noch gar nicht richtig realisiert. Es waren turbulente Zeiten. Wir hatten einen intensiven Wahlkampf, dann Koalitionsverhandlungen, bei denen ich in der Steuerungsgruppe sitzen durfte. Das waren sehr, sehr viele Sitzungen, die ich mitgemacht habe. In der Endphase sind die Tage immer länger und die Nächte immer kürzer geworden. Aber was ich bis jetzt sagen kann, es fühlt sich gut an!

Sie werden, mit 36, für drei heikle Bereiche der türkis-blauen Regierung zuständig sein: EU, Medien, Kunst und Kultur. Vor welchem haben Sie am meisten Respekt?
 
Vor der Themenfülle habe ich sicher den meisten Respekt. Worauf ich mich am meisten freue, das ist zweifellos der Bereich der Kunst und Kultur, ich erachte das als großes Privileg. Die EU-Agenden finde ich deswegen sehr spannend, weil ich das als überzeugter Europäer von der Stunde Null an miterlebt habe. Ich habe internationale Jugendpolitik gemacht, ich war Vizepräsident der jungen europäischen Volkspartei, ich habe fünf Jahre lang im Außenministerium gearbeitet. Ich freue mich, da mitgestalten zu können, vor allem weil Österreich in der zweiten Hälfte des kommenden Jahres den Ratsvorsitz hat. Medienpolitik ist wahrscheinlich der Bereich, der mir am vertrautesten ist.

(Bild: Peter Tomschi)

Das Thema Europa konnte und wollte der neue Kanzler nicht den Freiheitlichen überlassen. Sind Sie somit auch ein halber Außenminister?
 
Also, ich sehe mich eindeutig als EU-Minister - und zwar in einer sehr klaren Abgrenzung zur Europaministerin. Karin Kneissl ist Ministerin für europäische Angelegenheiten, Integration und Äußeres, also die klassische Außenministerin. Die Angelegenheiten der EU als Organisation sind aber in fast allen europäischen Ländern direkt beim Staats- oder Regierungschef angesiedelt. Also: nein.

Kann die FPÖ in Brüssel weiterhin mit Nationalisten wie Le Pen und Wilders im gleichen Klub sitzen?
 
Wir haben bei den Koalitionsverhandlungen von Beginn an klargemacht, dass ein proeuropäischer Kurs für uns eine rote Linie ist. Das ist die österreichische außenpolitische Position. Die FPÖ sagt ja selbst, dass sie nicht mit allen Positionen der anderen Parteien, die in dieser Fraktion vertreten sind, einer Meinung ist.

Also können sie sitzen bleiben?
 
Das ist eine Entscheidung, die die FPÖ zu treffen hat.

Vielleicht werden sie ja wegen ihres proeuropäischen Kurses irgendwann ausgeschlossen.
Gernot Blümel lacht.

Als Medienminister sind Sie auch für den ORF zuständig. Die FPÖ unter Strache steht mit dem ORF - Stichwort „Rotfunk“ - seit vielen Jahren auf Kriegsfuß. Verstehen Sie seine Argumente?
 
Prinzipiell halte ich nichts davon, wenn Politiker sich über Berichterstattung aufregen. Die Aufgabe von Journalisten ist es, kritisch, aber auch neutral zu sein. Da hat der ORF eine besondere Sorgfaltspflicht, weil er mit sehr viel Steuer- und Gebührengeld finanziert wird. Das heißt, dort müssen sich die Akteure bewusst sein, dass sie eine besondere Verantwortung haben. Die kann man sehr wohl regelmäßig einfordern.

Muss der ORF sich ändern?
 
Natürlich, wenn man Gutes erhalten will, muss man vieles verändern. Die ursprüngliche Aufgabe, die der öffentlich-rechtliche Rundfunk in den 70er-Jahren gehabt hat, nämlich möglichst alle Menschen mit Information zu versorgen, das kann nicht mehr der Auftrag sein. Weil dafür habe ich jetzt mein Smartphone und kann jede Info der Welt abrufen. Jetzt geht es darum, mit möglichst hoher Qualität möglichste viele Menschen zu erreichen.

Herbert Kickl, jetzt Innenminister, forderte eine Twitter-Schulung für Armin Wolf, weil er nicht genug Distanz wahre gegenüber manchen politischen Parteien.
 
In der Opposition formuliert man zugespitzter, als wenn man in der Regierung sitzt. Wir müssen uns alle an neue Rollen gewöhnen. Man muss ORF-Journalisten nicht den Umgang mit sozialen Medien verbieten, aber man kann schon appellieren, dass Journalisten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks eine besondere Neutralitätsstellung einzunehmen haben.

Könnte es sein, dass Armin Wolf unter Türkis-Blau weggelobt wird?
 
Armin Wolf macht seine Sache ausgezeichnet.

Und Alexander Wrabetz, der ja Kandidat der SPÖ ist, wird er ORF-Chef bleiben?
 
Der ORF ist der größte Medienkonzern Österreichs, da muss die Bundesregierung eine gewisse Sensibilität an den Tag legen. Deshalb wollen wir einen medienpolitischen Diskurs in Österreich beginnen. Es wird im kommenden Frühjahr eine Medien-Enquete geben, die sich mit den Fragen beschäftigen wird, was die großen medienpolitischen Herausforderungen sein werden, wie sich der öffentlich-rechtliche Auftrag weiterentwickeln soll, wie das Verhältnis zwischen ORF und Privatsendern sein soll usw. Mit daraus gewonnenen Leitlinien werden wir ein neues ORF-Gesetz machen. Da geht es nicht in erster Linie um Personal.

Im Regierungsprogramm wird eine „Austrifizierung“ des ORF gefordert.
 
Genau so ist es. In zehn Jahren muss es auch im digitalen Raum noch österreichische Identität geben. Das muss eine Aufgabe des ORF werden, hier ein Partner für Private zu sein.

(Bild: Peter Tomschi)

Werden wir weiterhin ORF-Gebühren zahlen müssen?
Ich glaube, es braucht ein prinzipielles Bekenntnis zu einer teilöffentlichen Finanzierung von Medien in Österreich. Wie das genau aussieht, genau das soll auch Gegenstand von Diskussionen sein. Prinzipiell müssen aber auch die Rundfunkgebühren hinterfragt werden. Grundkonsens ist, dass es eine öffentliche Finanzierung braucht. Wie die genau aussieht, will ich nicht vorwegnehmen. Ich habe aber eine Tendenz.

Verraten Sie uns die?
 
Nein, das wird bei der Medien-Enquete Gegenstand der Beratungen sein.

Kommen wir zur Kultur: Wann waren Sie zuletzt in einem Theater? 
 
Das war im Herbst. Ich habe mir „Nathan der Weise“ im Volkstheater angeschaut. Die letzte Ausstellung, die ich gesehen habe, war Jan Sobieski im Winterpalais. Meinen ersten offiziellen Termin werde ich schon am Freitagabend in der Wiener Staatsoper haben. Ich sehe mir die „Zauberflöte“ an.

Trotzdem: Stimmt der Eindruck, dass Kunst und Kultur nicht ganz oben auf der Prioritätenliste dieser Regierung stehen?
 
Nein, das sehe ich überhaupt nicht. Unser Programm ist sehr tiefgehend und ausgewogen, allein dadurch haben wir viele Befürchtungen schon entkräftet.

Die FPÖ hat ein schwieriges Verhältnis zu den Künstlern in diesem Land. Wie können Sie das Vertrauen von Kunstschaffenden gewinnen, wenn Ihr Partner in der Regierung Bashing gegen Künstler und Literaturpreisträger betreibt?
 
Ich möchte dafür bewertet werden, was ich mache. Mein Grundprinzip ist es, nicht Politik IN der Kunst und Kultur zu machen, sondern FÜR die Kunst und Kultur. Es geht nicht darum, sich in Kunst einzumischen, sondern man muss Rahmenbedingungen für die Kunst schaffen.

Wenn die FPÖ weiterhin Bashing betreiben würde, würden Sie dann versuchen, dem Einhalt zu gebieten?
 
Ich kann nur an alle appellieren, Animositäten abzubauen. Aber vielleicht ist es sogar zu einem Teil die Aufgabe von Kunst und Kultur, zu provozieren, und insofern weiß ich gar nicht, ob das immer nur konsensuell sein darf.

Aber soll man sich auch provozieren lassen?
 
Das muss jeder für sich persönlich entscheiden.

Müssen Theater, Museen und kleinere Kultureinrichtungen fürchten, dass ihnen die Förderungen gestrichen werden?
 
Niemand muss sich fürchten. Es ist mir ein großes Anliegen, den Stellenwert, den Österreich hat in der Welt, weiter zu erhalten. Das geht natürlich nur mit einem Bekenntnis zu entsprechenden finanziellen Förderungen. Da haben meine Vorgänger teilweise sehr gute Arbeit geleistet. Wir wollen nicht alles anders machen, wir wollen auf dem aufbauen, was Thomas Drozda und Josef Ostermayer gemacht haben, und dann evaluieren, was man vielleicht besser machen kann.

Privat ist von Ihnen bekannt, dass Sie zwei Tattoos haben und mit der Society-Journalistin Clivia Treidl zusammen sind. Wie sehr unterscheidet sich denn der Privatmensch vom Politiker?
Das müssen Sie wahrscheinlich meine Freundin fragen oder meine Eltern. Ich bin jedenfalls ein Typ, der eher unspontan ist und Pläne gerne durchzieht. Wenn sie jemand durchkreuzt, dann ist das im Beruf Teil des Jobs, aber im Privatbereich ärgert mich das.

Mögen Sie die Öffentlichkeit?
 
Ich hatte nie den Drang, mich ständig in den Mittelpunkt zu stellen. Wenn mir aber eine Rolle zugedacht wird, fülle ich sie gerne aus. Aber ich war, wenn Sie so wollen, nie der Mittelpunkt der Party.

Wie lange kennen Sie Sebastian Kurz schon?
 
Seit den frühen 2000er-Jahren. Ich bin zum Studieren nach Wien gekommen und dann unmittelbar in die Junge ÖVP eingetreten.

Geilomobil gemeinsam gefahren?
 
Da war ich auch dabei, ja.

Sie haben Philosophie studiert, Ihre Diplomarbeit zum „Personenbegriff in der Christlichen Soziallehre und –philosophie“ gemacht. Was sagen Sie zum Vorwurf, dass die Ärmsten der Armen von Ihrer Steuerreform überhaupt nichts haben?
 
Das ist die Propaganda der Opposition, das muss man einfach einmal sagen. Ich kenne keine Regierung, die am ersten Tag bereits eine so weitreichende sozialpolitische Maßnahme beschlossen hat, nämlich die Entlastung der kleinen Einkommen durch die Senkung der Arbeitslosenversicherung.

Aber es wirkt sich für Hunderttausende nicht aus.
 
Wir wollen, dass jenen mehr bleibt, die arbeiten gehen. Natürlich soll jenen, die es brauchen, geholfen werden. Indem die Mindestsicherung wieder zu dem wird, wofür sie konzipiert wurde, nämlich als Hilfe zum Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt, als Hilfe zur Selbsthilfe. So wie es sich vor allem in Wien entwickelt hat, wo einfach nicht genügend kontrolliert wird - wer braucht es wirklich und wer nimmt es, weil es grad angenehm ist? -, so ist es sozial ungerecht gegenüber jenen, die Steuern zahlen und die arbeiten gehen. Das hat übrigens auch der Rechnungshof in Wien bestätigt.

Haben Sie als gelernter Philosoph ein Lieblingswerk?
 
Das Buch, das ich am häufigsten gelesen habe, obwohl es ziemlich dick ist, ist Kierkegaards „Entweder oder“. Von meiner Grundeinstellung her habe ich aber eine sehr hohe Affinität zur antiken Philosophie, weil sie einen unverstellten Blick zur Wirklichkeit hat. Damals galt noch: Das Wahre, das Gute, das Schöne, das sind objektive Begriffe. Das hat sich mit der Zeit verändert. Diese Veränderung zu beleuchten, halte ich für sehr spannend, weil – und da schließt sich der Kreis zur Kunst – die Entwicklung hin zur Demokratie die gleiche ist wie die Entwicklung hin zur zeitgenössischen Kunst. Das ist einfach mein Steckenpferd, damit habe ich mich immer beschäftigt - und deshalb freue ich mich so sehr, Minister in diesem Bereich zu sein.

Philosoph und Kurz-Freund
 
Geboren am 24. Oktober 1981 in Wien, aufgewachsen in Moosbrunn, Niederösterreich. Studium der Philosophie sowie der Wirtschaft an der Executive Academy der WU. Parlamentarischer Mitarbeiter von 2006 bis 2008, Referent im Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten von 2009 bis 2011. Danach war Blümel zwei Jahre lang im Kabinett von Vizekanzler Michael Spindelegger für Ministerratskoordinierung verantwortlich. Seit 2015 Stadtrat in Wien. Privat ist er seit drei Jahren mit der Society-Journalistin Clivia Treidl liiert.

Conny Bischofberger, Kronen Zeitung

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