Österreich verliert seinen renommiertesten Forscher: Josef Penninger (53) folgt dem Ruf der British Columbia University in Vancouver, Kanada. Im Interview mit Conny Bischofberger spricht der vielfach ausgezeichnete Star-Immunologe über Visionen, Windmühlen und was sein Herz sagt.
Der Weg in sein Büro am IMBA im dritten Wiener Gemeindebezirk führt an prachtvollen Fotos der Galapagos-Inseln vorbei. „Hallo, ich bin Josef!“ begrüßt uns der Leiter des Instituts für Molekulare Biotechnologie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und posiert bereitwillig vor einem Affen-Porträt. „Ich finde, ich sehe ihm ähnlich“, lacht er. Josef Penninger, internationaler Spitzenforscher, trägt Pulli, Jeans und Schlapfen. Mit seinen funkelnden braunen Augen und dem zerzausten Haar sieht er aus wie der junge Einstein. Beseelt und besessen von der Wissenschaft.
Unter Penninger hat sich das IMBA schon nach wenigen Jahren einen Namen in der biomedizinischen Grundlagenforschung gemacht. Dem Wittgenstein-Preisträger gelangen unter anderem durchschlagende Erkenntnisse über den Zusammenhang zwischen Osteoporose und Brustkrebs. In seiner Zeit am IMBA gründete er auch zwei Firmen.
Der Oberösterreicher wurde zum begehrten Stern am Forschungshimmel: Schon im Frühjahr 2015 wäre Penninger fast nach Berlin gegangen – ihm wurde die Leitung des Max Delbrück Centrums angeboten. Damals blieb er – nachdem Österreich die Gelder für die Stammzellforschung um 20 Millionen Euro aufgestockt hatte. Diesmal hat sich die renommierte British Columbia University in Vancouver um ihm bemüht - und Penninger sagte zu. Er wird Leiter des Life Science Institute, dem mit 84 Forschungsgruppen größten Institut seiner Art in Kanada.
„Krone“: Herr Penninger, was war der erste Gedanke, als das Angebot aus Kanada kam?
Josef Penninger: Zuerst dachte ich: Mir geht‘s doch gut in Wien! Ich liebe Österreich, ich bin von da. Aber dann sah ich diesen Karrierezug vor mir, in dem wir alle sitzen und zwischen den einzelnen Waggons hin- und hergehen. Nur selten im Leben haben wir die Chance, aus dem Zug auszusteigen. Mein Gedanke war: Trau ich mich wieder in die Welt hinaus? Jetzt fühle ich mich wie ein Fisch, der zurück in den Ozean springt.
Von einem kleinen Teich ins große Meer?
Wenn man sich ansieht, was sich tut in der Welt, dann müssten wir uns globalisieren, uns international viel mehr anstrengen. Die Chinesen investieren wie verrückt, die Inder investieren wie verrückt, Amerika sowieso.
Ist Österreich too small?
Österreich macht sich klein, weil die wichtigen Akteure in der Politik glauben, wir seien eh nur ein kleines Land. Nehmen wir das Ranking der Universitäten. Da heißt es immer: Ist eh nicht so wichtig. Aber warum schauen die Leute Skifahren? Weil der Marcel Hirscher gewinnt! Österreich hat so viele intelligente Köpfe, die was weiterbringen wollen. Die Aufgabe der Politik sollte es sein, genau das zu ermöglichen.
Hat die Politik versagt?
Ich habe in den letzten 16 Jahren sechs Wissenschaftsminister erlebt, und immer hat man gegen dieselben Windmühlen gekämpft. Bei Podiumsdiskussionen haben alle erklärt, wie wichtig die Wissenschaft für dieses Land ist. Aber passiert ist am Ende …
Nichts?
… nicht nichts, aber viel zu wenig. Wir könnten es wie die Schweizer machen, die auch nicht sehr groß sind, aber wissenschaftlich ganz anders dastehen. Oder wie Belgien oder Dänemark. Ich bin wahnsinnig stolz, was wir am IMBA als Team aufgebaut haben. Das Institut ist Weltklasse geworden und wir haben etwa auch das Vienna Open Lab mitgegründet, dies ging nur gemeinsam mit unseren Partnern an den Universitäten, Boehringer Ingelheim, und natürlich der Akademie, die ich alle wahnsinnig schätze. Das IMBA ist ein Leuchtturm-Projekt, aber wir würden zehn IMBAs brauchen. Jetzt kann ich das ja sagen, weil ich nicht mehr auf dem Schachbrett der Gelder und Machtverteilung stehe.
Was entgegnen Sie bösen Zungen, die sagen: Jetzt hat man ihm ein Institut gebaut, dann hat man die Gelder um 20 Millionen aufgestockt und dann kehrt dieser Penninger Österreich den Rücken.
Ich kehre Österreich nicht den Rücken. Mein Herz bleibt diesem Land immer zugewandt. Und nicht nur das Herz, sondern auch Teile meiner Arbeit, weil wir ja in Zukunft einen regen Austausch zwischen Kanada und Österreich pflegen wollen. All dieses neue Geld floss in die Stammzellenforschung, damit haben wir eine der wichtigsten Forschungsrichtungen, die es auf der Welt gibt, in Österreich etabliert und konnten fantastische junge Wissenschaftler zu uns holen. Ich selber hatte nichts davon, außer dass ich mit tollen neuen Forscherkollegen zusammenarbeiten darf. Außerdem habe ich in den letzten fünf Jahren die Hälfe meines Gehalts mit Drittmitteln aus Amerika bezahlt. Ich habe vielleicht nicht alles richtig gemacht, aber immer versucht, dass der Erfolg der Wissenschaft und unsere Mitarbeiter im Mittelpunkt stehen. Dieses Institut ist mein Baby, ich habe es mithilfe vieler Leute auf die Welt gebracht, aber das Baby ist jetzt erwachsen. Ich will auch kein „alter Professor“ werden, der am Sessel klebt und ewig das Gleiche macht. Nach so vielen Jahren ist Zeit für neue Ideen, neuen Schwung, neue Leute. Die Welt hat genug gute Administratoren, unsere Welt braucht Innovatoren.
Haben Sie einen Wunschnachfolger oder noch besser eine Wunschnachfolgerin?
Das habe ich. Aber da halte ich mich raus. Die Akademie der Wissenschaften ist unser Besitzer und hat jedes Recht, die Nachfolge zu bestimmen.
Sie haben vorher das Schachbrett der Gelder und der Machtverteilung erwähnt. Hat das zuletzt Ihre Arbeit beeinflusst?
Am Ende wird bei den ganzen politischen Szenarien an kleinen Schrauben gedreht. Ich hatte immer diese große Vision im Kopf, dass wir das IMBA als Kern einer unabhängigen Max-Planck-Gesellschaft aufstellen. Aber irgendwie hat sich keiner getraut, den Fleckerlteppich der österreichischen Forschung zu bereinigen, was ich sehr schade finde. Davon hätten alle profitiert.
Ist das der Hauptgrund, warum Sie nach Kanada gehen?
Der Hauptgrund ist, dass ich durch die ganze Politik mein Kindseindürfen verloren habe. Diese kindliche Neugierde ist die Essenz eines Forschers, denn am Ende geht es nur darum. Ich hatte einmal diese Leidenschaft, und diese Leidenschaft ist mir verloren gegangen. Die möchte ich wieder zurückgewinnen.
Spielt auch die neue Regierung eine Rolle?
In gewisser Weise ja. In Kanada wurde das Budget für Forschung gerade um 25 Prozent aufgestockt. Und hier wird wochenlang diskutiert, ob ein lange überfälliges Rauchverbot sinnvoll ist. Ja, das ist es, wenn einem die Gesundheit unserer Kinder wirklich ein Anliegen ist! Aber die neue österreichische Regierung kann gerne mit 25 Prozent Forschungsförderung nachziehen. Unser Kapital ist doch zwischen den Ohren der Menschen. Wenn ich was zu sagen hätte, würde ich alles daran setzen, diesen wunderbaren Schatz zu fördern.
Wer waren Ihre Fürsprecher?
Da gab es viele. Werner Welzig und Peter Schuster zum Beispiel, die mich damals nach Wien geholt haben und in oft schweren Zeiten die Hand über mich hielten. Ein Riesenfürsprecher war auch mein Mentor Georg Wick. Wolfgang Schüssel hat mir geholfen, Reinhold Mitterlehner, Erwin Rasinger, Renate Brauner, Josef Ostermayer, Max Liechtenstein, Eric Kandel, mein verstorbener Freund Carl Djerassi und natürlich der Bürgermeister von Wien, Michael Häupl – und viele mehr. Als erster österreichischer Young Global Leader habe ich einmal den Bundeskanzler Kurz getroffen. Und natürlich meine Fußballfreunde – man darf nie vergessen, dass wir alle gewinnen wollen, aber wenn der Schiri abpfeift, dann muss man sich die Hand geben und gemeinsam ein Bier trinken. Wie Golo Mann so schön in seiner Wallenstein-Biografie schrieb: Das Problem der Welt ist es, dass es zu viele Charakterspieler gibt, aber zu wenige Leute mit Charakter. Und wenn damals meine Mutter nicht putzen gegangen wäre und mein Vater nicht am Nebenerwerbs-Bauernhof bei der Straßenmeisterei gearbeitet hätte, wäre ich jetzt nicht, wo ich bin.
Hat man versucht, Sie zu halten?
Nein. Das wäre, nachdem ich mich entschieden hatte, auch nicht möglich gewesen.
Hat Österreich ein Problem mit „Braindrain“? Also mit der Abwanderung von Wissenschaftlern ins Ausland?
Ich finde es gut, wenn Wissenschaftler aufgrund ihrer guten Ausbildung aus Österreich weggehen und in anderen Ländern erfolgreich sein können. Wichtig ist, dass Österreich auf der anderen Seite auch junge, begabte Forscher zu uns holt. Es muss einen Austausch der klügsten Köpfe geben. Und die dazugehörige Willkommenskultur.
Wie würden Sie die beschreiben?
Wenn in Kanada ein Immigrant zur Einwanderungsbehörde kommt, dann bekommt er Folgendes zu hören: „Welcome to Canada! Make us better!“ Das ist meine Vision für Österreich. Dass wir Zuwanderung als Bereicherung sehen. Uns die Leute aussuchen und ihnen sagen: „Willkommen in Österreich! Machen Sie uns noch besser und erfolgreicher!“
Herr Penninger, Sie haben in der Krebsforschung große Erfolge gefeiert. Was ist Ihre Vision von dieser Krankheit?
Wenn dieses Interview erscheint, bin ich bei einem Brustkrebs-Thinktank in den USA, und dann fliege ich runter nach Melbourne zu einem Meeting unter dem Titel „Eradicate Cancer“ – „Krebs ausradieren“. Dort entwickeln wir völlig neue Szenarien. Wir gehen der Frage nach, ob man sich gegen Krebs einmal wie gegen Masern impfen kann. Ich bin persönlich zwar skeptisch, aber nur weil ich skeptisch bin, heißt das noch lange nicht, dass es unmöglich sein muss. Wenn man sich anschaut, was in den letzten Jahren durch Wissenschaft erreicht wurde, obwohl es immer zu langsam vorangeht, dann leben wir in der Renaissance der biomedizinischen Forschung.
Träumt man als Spitzenforscher eigentlich insgeheim immer vom Nobelpreis?
Träumen darf man ja. Aber man sollte sich nicht darüber definieren. Das Wichtigste ist, dass man viel Sport betreibt.
Warum?
Damit man 80 wird (lacht). Also älter als die anderen, die das Gleiche entdeckt haben.
Was ist dann der Antrieb?
Eigentlich ein romantisches Prinzip. Uns Forscher treibt die Neugierde, wir steigen in den Nebel hinein, wie in Dantes „Göttlicher Komödie“, um im Nebel die Lichtstrahlen des Verstehens zu finden. Ich bin auch im Innviertler Herbstnebel aufgewachsen. Wenn dieses Prinzip Menschen hilft, dann ist das wunderbar. Preise sind nett, aber am Ende geht es darum, das Leben von Millionen von Menschen besser zu machen, was wir etwa mit unserer Forschung an Knochenschwund und den Prinzipien der Krebsimmuntherapien gemacht haben.
Letzte Frage: Was werden Sie von Österreich am meisten vermissen?
Seit ich weiß, dass ich nach Kanada gehe, wird mir jeden Tag bewusst, was für ein fantastisches Land Österreich ist. Jahrelang bin ich jetzt mit dem Auto durch Wien gefahren, an Häusern einfach vorbeigefahren, aber jetzt erst schaue ich genau hin. Oder der Schnee auf den Feldern – James Joyce drückt es viel besser aus als ich: „His soul swooned slowly as he heard the snow falling faintly through the universe and faintly falling, like the descent of their last end, upon all the living and the dead.“ Was ich vermissen werde, weiß ich ganz genau: das gute Brot. Schon der Duft haut mich um. Und in das Scherzel mit Butter drauf zu beißen, grenzt an Glückseligkeit.
Genetiker und dreifacher Vater
Geboren am 5. 9.1964 in Gurten, Oberösterreich. Nach seinem Studium (Medizin, Kunstgeschichte und Spanisch) in Innsbruck geht Penninger an das Ontario Cancer Institut in Kanada. Dort lehrt und forscht er am Department of Immunology and Medical Biophysics. 2002 kehrt er nach Österreich zurück und baut das IMBA (Institut für Molekulare Biotechnologie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften) auf. Neben der wissenschaftlichen Leitung ist er auch Professor für Genetik an der Uni Wien. Vater von drei Kindern.
Conny Bischofberger, Kronen Zeitung
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