Nach Journalistenmord
Polit-Chaos und Protestwelle in der Slowakei
Der Mord an dem Journalisten Jan Kuciak war wohl der Tropfen, der das Fass in der Slowakei zum Überlaufen gebracht hat. Aus Protestmärschen ist nun die größte Demonstrationswelle seit der Wende im Jahr 1989 entstanden. Am Freitag gingen in rund 50 Städten unseres Nachbarlandes Zehntausende Menschen auf die Straßen, um gegen das korrupte System und die „Hinrichtung“ Kuciaks und seiner Verlobten zu protestieren. Allein in der Hauptstadt Bratislava waren es 50.000 Personen, die lautstark den Rücktritt von Ministerpräsident Robert Fico forderten.
„Genug von Fico!“ und „Es ist uns nicht egal!“ skandierten die Demonstranten. Außerdem forderten sie eine „neue, vertrauenswürdige Regierung“. Unter den Teilnehmern fanden sich auch Journalisten, Lehrer, Studenten, Ärzte, Krankenschwestern, Persönlichkeiten aus Kunst und Kultur, religiöse Würdenträger sowie zahlreiche Vertreter von Nichtregierungsorganisationen. Auf den zuvor geplant gewesenen Marsch zum Regierungssitz in Bratislava haben die Organisatoren schließlich aus Sicherheitsgründen verzichtet.
Zu größeren Ausschreitungen kam es nicht. Nachdem die Kundgebung für abgeschlossen erklärt worden war, versammelte sich aber der harte Kern der Demonstranten vor dem Regierungsamt und forderte lautstark Neuwahlen. Bereits nach dem ersten „Trauermarsch für Jan Kuciak und Martina Kusnirova“ vergangene Woche hatten Dutzende Demonstranten den Eingang des Regierungssitzes belagert und den Rücktritt der Regierung verlangt. An allen öffentlichen und teilweise auch privaten Hochschulen in der Slowakei hatten Rektoren ihren Studenten für Freitag freigegeben, wie es zuvor der Studentenrat des Landes gefordert hatte. Auch Studenten, die bereits im Vorjahr mehrere Massenproteste gegen Korruption im Land veranstalten hatten, schlossen sich den aktuellen Kundgebungen an.
Verbindungen von Mafia-Clans zu Politikern?
Der 27-jährige Enthüllungsjournalist Kuciak und seine Verlobte waren am Abend des 25. Februar in ihrem Haus im westslowakischen Dorf Velka Maca tot aufgefunden worden. Sie waren nach Polizeiangaben etwa drei Tage zuvor durch Schüsse in Kopf und Brust getötet worden. Kuciak hatte über die Verfilzung von Politik und Geschäftemacherei recherchiert. Dabei war er auf mögliche Verbindungen italienischer Mafia-Clans zu slowakischen Politikern und Regierungsmitarbeitern gestoßen. Nach Kuciaks Recherchen soll das kriminelle Netzwerk auch durch den Missbrauch von EU-Förderungen reich geworden sein.
Polit-Granden mahnen Gesellschaft zur Ruhe
Noch kurz vor den Protesten am Freitag versuchten Staatspräsident Andrej Kiska, Parlamentspräsident Andrej Danko und Ministerpräsident Robert Fico die Situation im Land, die seit dem gewaltsamen Tod Kuciaks extrem angespannt ist, zu beruhigen. „Wir wünschen uns, dass die Gesellschaft Ruhe bewahrt und die Ereignisse der letzten Tage nicht politisch missbraucht werden“, verkündete Danko nach den Gesprächen der drei ranghöchsten Staatsmänner am Freitagnachmittag.
Präsident für Neuwahlen, Premier sieht „Umsturzversuche“
Eine von Staatschef Kiska geforderte gemeinsame Deklaration wurde allerdings nicht angenommen - was einmal mehr zeigte, dass bestehende Animositäten zwischen Präsident und Premier nicht beigelegt werden konnten. Kiska hatte zuvor zu Neuwahlen als Ausweg aus der aktuellen politischen Krise aufgerufen, während Fico „Umsturzversuche“, geleitet aus dem Ausland, als Hintergrund der Spannungen im Land vermutete.
Europarat-Delegation findet „tief gespaltenes Land“ vor
Unterdessen hat eine Delegation des Europaparlaments, die in der Slowakei zwei Tage lang zu den Hintergründen des Journalistenmords recherchiert hatte, ihre Aufklärungsreise am Freitagnachmittag abgeschlossen. „Wir haben ein tief gespaltenes Land vorgefunden, dass nahezu traumatisiert ist“, erklärte Ingeborg Gräßle, Co-Leiterin der Delegation, vor versammelten Journalisten in Bratislava. Die Parlamentariergruppe wolle der EU-Kommission eine erneute Prüfung der Förderprogramme für die Landwirtschaft in der Slowakei empfehlen, fügte sie hinzu.
Kommentare
Da dieser Artikel älter als 18 Monate ist, ist zum jetzigen Zeitpunkt kein Kommentieren mehr möglich.
Wir laden Sie ein, bei einer aktuelleren themenrelevanten Story mitzudiskutieren: Themenübersicht.
Bei Fragen können Sie sich gern an das Community-Team per Mail an forum@krone.at wenden.