„Krone“-Interview

Nakhane: Mit futuristischem Pop gegen die Angst

Musik
15.03.2018 07:00

Mit seinem zweiten Album „You Will Not Die“ versucht das südafrikanische Multitalent Nakhane all seine Sorgen und Ängste zu bezwingen. Der 30-Jährige kleidet seine intensiven Songs über das Schwulsein, die Fesseln der Religion und tödliche Träume in ein futurstisches Popkleid voller Electro-, Jazz- und Neo-Soul-Zitate. Im Interview ließ uns der androgyne Popstar der Zukunft einen Blick hinter die Kulissen werfen.

(Bild: kmm)

Südafrika ist gemeinhin nicht das Epizentrum des zukunftsorientierten Pops, doch mit „You Will Not Die“, dem zweiten Studioalbum von Nakhane, könnte sich das ändern. Der 30-Jährige vermischt elektronischen angehauchten Neo-Soul geschickt mit traditionellen Einflüssen aus seiner Heimat, Pop und einer Prise Jazz und erfrischt damit die breite Welt der Unterhaltungsmusik, die sich immer mehr in ein beliebiges Format pressen lässt. Nakhane ist aber nicht nur ein exzellenter Sänger und Musiker, sondern ein konzeptionelles Gesamtkunstwerk. Als Schauspieler reüssierte er im südafrikanischen Film „The Wound“, der es sogar auf die Oscar-Shortlist für den besten fremdsprachigen Film schafften, daneben teilt er seine Gedanken und Erfahrungen mit der Außenwelt auch als Buchautor und Dichter.

Nicht minder spannend ist die Geschichte hinter dem Multitalent. Geboren in der Kleinstadt Alice und aufgewachsen in der Metropole Port Elizabeth wuchs er extrem religiös erzogen auf. Der Weg in die persönliche Freiheit war mühsam erkämpft, schließlich musste er sich in der eher konservativ gepolten Heimat gleich zweifach freistrampeln. Einerseits vom belastenden Christentum, das nicht ohne familiäre Risse einherging, andererseits durch sein Coming-Out, das ihn über die Jahre zu einer Ikone der LGBTQ-Szene machte. Mit seiner androgynen Erscheinung, der Selbstsicherheit eines gestandenen Lebens und einer ganzen Palette an künstlerischem Kreativpotenzial ist Nakhane derzeit auf Welteroberungszug. Mit uns hat er eingehend und detailliert über sein Wesen und sein Tun gesprochen.

„Krone“: Nakhane, auf deinem zweiten Album „You Will Not Die“ hast du es geschafft, unheimlich viele verschiedene Soundstrukturen wie Electro, Soul, Pop und sogar etwas Jazz kongruent zu verbinden. Mit welchem Vorsatz bist du da ans Werk gegangen?
Nakhane: Mein Produzent und ich haben uns vorgenommen das Album nicht so zu machen, wie wir es nicht möchten. (lacht) Ich wollte keinesfalls ein minimalistisches Werk erschaffen, denn das macht derzeit jeder. Ich habe mit meinen Freunden gescherzt, dass ich ein Album machen will, das so klingt wie Bram Stoker’s Dracula aussieht. Es sollte etwas Unheilvolles projizieren. Der Film ist großartig, aber es gibt eine spezielle Szene, wo sein Cape hinter ihm ist und er so geheimnisvoll um die Ecke lugt – das wollte ich klanglich umsetzen. Ich wollte auch keine Akustikgitarren verwenden, weil mein Debüt danach klang und ich nicht in die Folk-Ecke gedrängt werden möchte. Wie macht man also ein Album, das glamourös, aber nicht allzu pompös klingt? Was immer uns missfiel, ließen wir weg. Ich hatte viele verschiedene Einflüsse, wenn es um den Sound geht. Etwa die B-Seite von David Bowies Meisterwerk „Low“ und viel afrikanische Musik mit ihren traditionellen Instrumenten. Es gibt dort eine sehr aktive, virale Musikszene, die sehr anders klingt als alles andere auf der Welt. Die Musik dort basiert auf Rhythmen und nicht auf Technik – das ist mir sehr wichtig.

Hast du hier noch Songideen deines Debüts „Brave Confusion“ aus dem Jahr 2013 verwendet, oder sind alle Songs taufrisch?
 Beides. Als ich mit dem Debüt fertig war, hatte ich schon die nächsten Ideen. Ich spiele damals viele Gigs und begann die Folk-Szene in Südafrika zu hassen. (lacht) Sie war einfach nicht authentisch und klanglich sehr limitiert. Als ich also wieder neu schrieb, reagierte ich auf meine Vorstellung von Authentizität. Die Akustikgitarre musste weg, ich hatte aber kein Geld für eine E-Gitarre. So musste ich den Akustiksound mit einem Musikprogramm dreckiger klingen lassen. Die Prä-Produktion für „You Will Not Die“ begann schon im März 2013 – es war wirklich eine lange Reise bis hierher. Es gab viele Songs, die ich dann zurückließ, weil sie nicht passten. Manche sind halbfertig und kommen vielleicht wieder, andere werden verschwinden. Dann schrieb ich ein Buch, drehte einen Film und machte eine EP – und all das floss in dieses Album ein. Ich schrieb viele Lyrics um, weil ich neue Eindrücke hatte und veränderte auch so manche Strukturen der Songs. Die Texte auf meinem Debüt waren eher dadaesk, ich habe dort viel herumgeschnitten und gekürzt. Dieses Mal wollte ich einfach linearer schreiben. Nicht predigend, aber wenn du sie liest, sollen sie einen zusammenhängenden Sinn ergeben. Das dauerte natürlich länger. Ich schrieb Songs am Piano, wechselte dann zu elektronischen Instrumenten und von dort an die Gitarre. Ich habe unheimlich viel experimentiert, bin immer vor- und zurückgegangen und die Demos sind teilweise total anders als das Endergebnis. Manchmal hätte ich mich fast selbst darin verheddert. (lacht)

Das Album klingt sehr zeitgemäß, ohne dass es den Zwang versprüht, bewusst zeitgemäß produziert worden zu sein.
 Ich habe ein Problem mit dem Begriff zeitlos, weil er keinen Sinn ergibt. Leute sagen, Marvin Gayes „What’s Going On“ ist so zeitlos, aber das stimmt nicht. Du hörst der Nummer genau an, dass sie aus den 70er-Jahren stammt. Da besteht gar kein Zweifel daran. Technisch ist es nicht zeitlos, aber durch die hohe Qualität wurde es zu einem zeitlosen Klassiker. „You Will Not Die“ kann also so nur 2018 erscheinen, wird im besten Fall aber zu einem zeitlosen Klassiker. Ich habe wenig Livedrums verwendet, sondern mehr Maschinen. Ich wollte ein elektronisches Singer/Songwriter-Album machen, das nicht bewusst elektronisch klingt. Das ist wohl der Grund, warum es zeitgemäß klingt.

Als Künstler hast du immer den Anspruch, einen Trend zu entwickeln, indem du zum richtigen Zeitpunkt das richtige machst. Nur so kannst du verhindern, Trends zu folgen.
Ja, und das ist verdammt schwer. Als ich noch ein Christ war, wurde mir immer gelehrt, ich solle ein Teil dieser Welt sein, ohne mich außerhalb von ihr zu fühlen. Im Endeffekt kannst du ein Teil der Welt sein, ohne dass sie deine Entscheidungen oder Sichtweisen diktiert. So habe ich den Sound für mein Album gesucht. Ja, ich war von vielen zeitgemäßen Alben beeinflusst, wollte aber wie keines davon klingen. Was es schon gibt, das brauche ich nicht neu aufwärmen. Ein Freund von mir, der auch Autor ist, gab mir einen super Tipp. Er sagte mir immer, du kannst als Songwriter oder Autor nichts anderes machen, als deine Geschichte ehrlich zu erzählen. All das habe ich gemacht und mehr ist nicht möglich. Wir haben nie Entscheidungen um eines Trends willen getroffen, sondern sind immer unseren Gefühlen gefolgt. Es war nicht immer leicht, aber wir haben uns durchgesetzt, auch wenn es manchmal harte Kämpfe waren, die wir ausfechten mussten. Zwischen mir und meinem Produzenten gab es eine besondere Spannung im Studio, weil wir das Album aus verschiedenen Positionen mit demselben Herzblut fertigten.

Du hast mit diesem Album auch deine Abkapselung zur Religion und dem Christentum verarbeitet. Es ist also ein sehr persönliches, aber auch unheimlich verletzliches Album. Fürchtest du nicht den wiederkehrenden Schmerz der Songs, wenn du sie dann auf die Bühne bringst?
Wenn du eine Wunde hast und sie desinfizierst, dann schmerzt das. Es brennt und es wird dir nicht gefallen, aber es ist notwendig, um wieder gesund zu werden und um sie zu heilen. Wenn du das lange genug machst, dann vergeht dieser Schmerz. Ich glaube daran, dass diese Songs irgendwann nicht mehr schmerzen werden, weil ich darüber hinweg bin.

In Südafrika ist es gemeinhin nicht so einfach, schwul aufzuwachsen und dann auch noch den christlichen Glauben abzulegen. Musstest du dich nicht jahrelang hinter einer Fassade, einer Rolle verstecken, um keine Probleme zu kriegen?
Es ist sehr kompliziert, denn ich hatte einen intakten Glauben, ihn aber immer hinterfragt. Ich habe nicht wirklich stark dagegen rebelliert, denn der Glaube an sich gefiel mir. Aber ich wurde erwachsen, veränderte mich und glaubte nicht mehr an die Inhalte. Es war zu schmerzvoll für mich, daran festzuhalten. Ich hatte wundervolle Momente als Teil dieser Religion, aber oft auch weniger schöne und sehr gefährliche. Allen organisierten Religionen liegt das anheim, aber hier kann ich es beurteilen. Ich hatte irgendwann das Gefühl, dass mich der Glaube aufhält. Ich fand darin keinen großen Sinn mehr und musste mich abkapseln. Ich war bis zu meinem 25. Geburtstag umgeben davon und ich habe lange versucht, gleichzeitig schwul und gläubig zu sein. Das ging aber nicht lange gut, also musste ich die Religion verlassen.

Hatte der christliche Glaube auf dich als jungen Mann essenziellen Einfluss?
Absolut. Ein Gott wird zum Menschen und stirbt für dich, das ist eine wirklich großartige Geschichte. Es ist unmöglich, nicht davon erfasst zu werden. Die Religion war auch stark verbunden mit meiner Liebe zu meiner Mutter. Sie erzählte und lehrte mir alles über die Musik und sie liebte und unterstützte mich immer – zudem war sie sehr christlich. Weil sie daran glaubte, glaubte auch ich daran. 

Hatte deine Mutter Probleme mit deiner Entscheidung, den Glauben zu verlassen?
Ich kann nicht sagen, dass sie begeistert davon ist, aber sie akzeptiert es. Als ich sie damals verließ, tranken wir ein paar Gläser Wein und ich merkte ihren Schmerz, also haben wir darüber geredet. Ich habe mich dafür bedankt, was für eine gute Mutter sie immer war und wie gut sie mich und meine liberalen, schwulen und verrückten Freunde behandelte. Sie sagte immer, ich müsse nicht aus dem Glauben austreten, aber es gab keine Wahl für mich. Es gibt Dinge, bei denen wir nicht übereinstimmen, aber die Liebe zueinander ist größer.

Dein Leben ist voller interessanter Kleinigkeiten. Du hast in deinen jungen Jahren sogar mal in einem Gospel-Store gearbeitet.
Sogar in zwei. (lacht) Ich liebte immer Bücher und wollte ein guter Christ sein – also machte dieser Job für mich total Sinn. Ich liebte auch immer den Gedanken, der über das physische Buch hinausgeht. Dass du etwas in der Hand hast, das im intellektuellen Sinne über dich hinausargumentiert und dich nachhaltig prägt. Je älter ich wurde, umso depressiver wurden die religiösen Botschaften für mich und ich schrieb auch immer mehr Songs, um meine Gedanken zu verarbeiten. Auch wenn schwule Menschen mit dem Christentum Probleme haben, kämpfen sie oft um die gleichen Begierden und Wünsche. Ehrlich gesagt war mein erstes Album voll von christlicher Schuld. Davon musste ich mich befreien, ich musste eine Lösung für die zwei Welten finden, in denen ich mich befand. Aber zum Ausgangspunkt: mein Traum war es immer, in einem Buchgeschäft zu arbeiten. Ich war dahingehend immer etwas seltsam und nerdig.

Wann hast du die vielen Talente für unterschiedliche Kunstformen an dir entdeckt. Dass du eben musizieren, schreiben und auch schauspielern kannst?
Ich glaube, dass das immer ein Teil meiner DNA war. Ich habe das folgendermaßen von meinem Therapeuten gelernt: Als Kind, das nicht bei seinen leiblichen Eltern, aber bei anderen liebenden Menschen aufwuchs, musste ich immer der Beste sein, damit mich die Menschen lieben würden. Als ich begann, Bücher und Geschichten zu lesen, habe ich alles darin reingeworfen. Ich habe mich total damit identifiziert. Ich wusste schon sehr früh, dass ich mich gut fokussieren kann. Ich war immer vielseitig begabt und hatte stets ein hohes Konzentrationslevel, das manchmal lästig, aber meist sehr hilfreich war. Ich liebte immer Filme, ich war gerne in der Schauspielschule und in vielen Musicals. Ich wusste nicht, dass ich all das zusammen machen würde, aber es war mir immer klar, dass ich fix Musik machen werde. Das stand immer außer Frage. Schon als Kind sang ich in der Band meiner Großmutter. Der Gesang an sich war ein wichtiger Bestandteil in unserer Familie. Als ich anfing im Alter von Neun Kurzgeschichten zu schreiben, verarbeitete ich dort meine kindlichen Ängste und Schmerzen. Es war befreiend und ich merkte, mir liegt es ganz gut. Das Schauspielern war dann logisch. Ich versetzte mich stets gerne in die Lage jemandes anderen, wollte die Welt durch andere Augen sehen. Schon in der High School war ich daran interessiert, möglichst viele Identitäten auszuleben.

Ist das Kreieren von Kunst für dich ein therapeutischer Prozess, der dir persönlich dienlich ist?
Nicht wirklich. Mit den negativen Dingen in meinem Leben muss ich klarkommen, mit oder ohne Musik. Viele Künstler glauben, sie könnten ihre Probleme einfach wegschreiben, aber so funktioniert die Welt leider nicht. Du bietest den Dingen nur einen anderen Platz, um zu existieren, aber klarkommen musst du mit all deinen Sorgen und Nöten auf anderem Wege. Kein Song kann den Schmerz verschwinden lassen, den du verspürst. Über dieses Thema habe ich mir schon oft den Kopf zerbrochen. Das Schreiben ist hilfreich, aber es ist nicht lösend. Viele sagen, in depressiven Phasen werden sie künstlerisch tätig. Aber wissen die auch, was eine wirkliche Depression ist? Wo man nichts machen kann, geistig und körperlich völlig am Boden ist? Das kannst du nicht mit Kunst therapieren. Man muss über dieses Thema reden, das ist am Hilfreichsten, aber ich habe auch keine komplette Antwort dafür.

Gibt es auch Grenzen, die du textlich nicht überschreiten würdest? Auch wenn du sehr ehrlich und authentisch bist.
Ja, wenn es um meine Familie geht, denn die kann sich nicht wehren. Du kannst schnell jemanden verletzen, ohne dass du es willst. Da ziehe ich eine klare Linie. Ich will nicht über sie singen oder reden, solange sie nicht physisch bei mir sind, um mir zuzustimmen oder zu widersprechen. Es wäre einfach nicht fair.

Der Albumtitel „You Will Not Die“ basiert meines Wissens auf einen Traum, den du hattest, indem dir der Zeitpunkt deines Todes gewahr wurde.
 Habe ich das wirklich in Interviews gesagt? Das ist jedenfalls nicht erschreckend. Ich habe viel Zeit in meinem Leben damit verbracht, mich vor dem Tod zu fürchten. Ich habe mich vor allem gefürchtet. Stürzt das Flugzeug ab, in dem ich sitze? Wird mich ein Auto treffen, wenn ich das Haus verlasse? Falle ich von einer Brücke, wenn ich sie überquere? All das beschäftigte mich über Jahre, immer und immer wieder. Dann hatte ich diesen Traum und plötzlich sah ich die Welt mit anderen Augen. Okay, ich sterbe nicht heute und habe noch viele Jahre Zeit. Machen wir das Beste daraus! Auf der Stelle war das Leben für mich lebenswerter und auch leichter zu bewerkstelligen. Selbst wenn es nicht stimmt und nur ein Aberglaube ist, hilft es mir, mein Leben zu führen – so wie es früher die Religion tat. Die Menschen brauchen immer was, um das Leben erträglicher zu machen. Das ist mein persönlicher Weg.

Hast du wirklich deinen genauen Todestag geträumt?
Ich habe mein Alter geträumt, nicht den Todestag. Ich kann mir gut vorstellen, dass das stimmt. Ich gehe dadurch aber in meiner Zeit im Leben nicht mehr Risiken ein, ich bin eigentlich ein ziemlich langweiliger Typ. Ich bin sehr auf Sicherheit bedacht und niemand, der sich gefährlich wo drüberlehnt. Ich habe einfach nur einen anderen, entspannten Zugang zur Angst. Ich fürchte mich weniger und kann relaxter Leben. Ich werde mir aber aufgrund dieses Traums nicht säckeweise Kokain durch die Nase ziehen, denn früher sterben wäre aufgrund von Dummheit immer möglich.

Gibt es auf dem Album eine bestimmte Botschaft, die du zu den Menschen nach außen tragen willst?
 Nicht direkt. Ich bin weder Lehrer, noch Prediger. Ich bin ein Künstler, der die Themen verarbeitet, die ihn berühren. Ich möchte nicht von Künstlern belehrt werden und will das auch nicht mit anderen machen. Das ist für mich nicht erstrebenswert. Die Menschen sind für mich alle gleich, ich unterschiede niemanden und muss diese Botschaft auch nicht extra herausschreien. Botschaft: nein. Empathie: ja. Als ich 19 war entdeckte ich den Schriftsteller James Baldwin und erstmals in meinem Leben fühlte ich mich verstanden. Er war jemand, der sagte, dass wir hier sind und dass alles okay ist – egal welche Sexualität wir haben und welcher Rasse wir angehören. Er starb bereits 1987 und hatte dafür unheimlich progressive Ansichten. Wir alle sind okay, das war seine Botschaft und es gibt nichts Wichtigeres. 

Gibt es einen direkten Konnex zwischen all den Kunstformen, die du machst: Schreiben, schauspielern, musizieren.
Ich denke schon. Es geht immer um das Geschichtenerzählen und all diese Formen gehen ineinander. Wenn ich schreibe, denke ich in Rhythmen. Stehe ich auf der Bühne, kommen mir Beats in den Sinn und wenn ich an denen schraube, kriege ich Ideen für ein Gedicht. So unterschiedlich all diese Sparten auch sind, hängen sie doch enger zusammen, als man glaubt. Außerdem kann ich irrsinnig viel von all dem für mich herausziehen und lernen. Mein bester Freund ist Fotograf und er verwendet permanent unterschiedliche Formen für Inspirationen. Ich überlege mir dann, wie ich es schaffen kann, dass meine Musik so klingt wie ein bestimmtes Foto von ihm.

Hast du immer eine klare optische Vision, wenn du Songs schreibst?
Ich habe jetzt nicht das Talent, Klänge als Farben zu erkennen, aber ich vertraue meinen Gefühlen blind. Mit diesen Gefühlen gehe ich gerne Risiken ein. Wenn ich mich wohlfühle, dann sollte ich damit aufhören. Bin ich mir unsicher, ist das Magengefühl flau, dann muss ich weitermachen, dann bin ich richtig. Wenn mir drei Leute sagen, der Hut passe mir nicht, muss ich ihn erst recht kaufen. Es geht darum, sich selbst herauszufordern und über die Grenzen zu gehen. Auch in der Performance. Es muss immer etwas Gefährliches mitschwingen, ein kleines bisschen Unwohlsein. Wenn etwas zu einfach geht, ist es meist falsch, das gilt für alle Bereiche.

Spielst du auch als Musiker auf der Bühne eine schauspielerische Rolle oder bist du da ganz du selbst?
Beides. Es ist ein Wechselspiel unterschiedlicher Emotionen und ich changiere gerne hin und her. Das ist wie beim Schreiben. Du kannst nur dann den Kern deiner Gefühle und Gedanken freilegen, wenn du absolut echt und authentisch bist. Wie in einer Beziehung – du wirst nie ganz durchdringen, wenn du nicht mit völliger Offenheit darüber redest. Wenn du in einem Buch einen Charakter erfindest, der nicht du selbst bist, benutzt du dich trotzdem als Referenz oder Anhaltspunkt für die Story. So ist es im Endeffekt auch auf der Bühne. Ich benutze mich selbst als Referenz und laufe dort oben nie vor mir selbst davon – das ist eigentlich das Schlimmste daran. (lacht) Wenn ich wirklich schlecht drauf bin, dann muss ich eine Rolle spielen, um auf der Bühne zu funktionieren. Du musst dir dann Momente in Erinnerung rufen, die deine Laune aufbessern oder dir die Angst nehmen – nur so klappt es dann auch mit dem Schauspiel. Du kannst aber niemals ganz vor dir selbst weglaufen.

Wie ordnest du die Prioritäten bei all diesen Kunstformen?
Priorität ist das falsche Wort, aber mir fällt der richtige Begriff auch gerade nicht ein. Die Musik ist die Kunst, die mir am nächsten steht, weil sie alle anderen Kunstformen in gewisser Weise beeinflusst. Ich schreibe meine Texte, mache Musik und singe selbst – es ist das komplexeste Gesamtpaket. Zudem war Musik meine erste Liebe, das vergisst man nie. Musik evoziert in den Menschen besondere Emotionen. Wenn du weinst, wenn du lachst – du hast immer einen Klang im Kopf. Es kann der schlimmste oder der beste sein, aber er ist immer mit Musik konnotiert. Wenn dir jemand etwas vorsingt, hat das eine andere Bedeutung, als wenn er es sagt. Musik gab es schon lange vor der Sprache.

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