Messer-Bluttat in Wien

Ehrenmord: Freund der Toten bricht sein Schweigen

Österreich
07.04.2018 16:55

Jene junge Afghanin, die im September 2017 in Wien-Favoriten von ihrem Bruder getötet wurde, hatte einen geheimen Freund. In der „Krone“ bricht der Mann jetzt sein Schweigen. „Bakhti“, sagt er, „hat oft über die großen Probleme mit ihrer Familie erzählt“.

Eine Hinterhofwohnung in Wien-Simmering. Altbau, zweiter Stock. Küche im Vorraum, dahinter ein Zimmer. Orientteppiche, mit Spannleintüchern überzogene Matratzen, bunte Decken und Pölster, ein Kasten. Das Zuhause von Massiullah K.

Jetzt sitzt der 24-Jährige am Boden, neben sich ein Tablett mit einer Kanne Tee und Süßigkeiten. Vor acht Jahren sei er aus Afghanistan nach Österreich gekommen, erzählt er; dass er in einer Molkerei als Verpacker arbeitet und davon träumt, eine Ausbildung zum Koch zu machen: „Aber mittlerweile weiß ich: Pläne können schnell zerstört werden.“ Während er diesen Satz ausspricht, beginnen Tränen aus seinen Augen zu laufen. „Ich werde Bakhtis Tod nie wirklich verkraften“, sagt er dann leise.

Massiullah K. in seiner Wohnung in Wien. Er lernte das spätere Opfer Anfang 2017 kennen, über Facebook: „Bakhti hat mir damals über ein Fake-Profil eine Freundschaftsanfrage geschickt.“ (Bild: Andi Schiel)
Massiullah K. in seiner Wohnung in Wien. Er lernte das spätere Opfer Anfang 2017 kennen, über Facebook: „Bakhti hat mir damals über ein Fake-Profil eine Freundschaftsanfrage geschickt.“

Massiullah K.: Er war der - geheime - Freund jener jungen Afghanin, die am 18. September 2017 im Innenhof eines Hauses in Wien-Favoriten von ihrem Bruder erstochen wurde. „Weil sie“, wie der Täter, Hikmatullah S., später in Verhören angab, „unsere Familienehre beschmutzt hatte“.

Falscher Name, Profilbild eines Mannes
Herr K., was wissen Sie über die Vorgeschichte des Dramas? „Ich habe lange nicht geahnt, wie unglücklich Bakhti gewesen ist.“ Wann und wie lernten Sie sie kennen? „Anfang 2017, über Facebook. Sie war unter einem falschen afghanischen Frauennamen registriert, mit dem Profilbild eines Mannes.“

Es kam zu einem Chat-Kontakt, „der schnell intensiver wurde.“ Das Mädchen verriet bald, wie es tatsächlich hieß und es berichtete von seinen strengen Eltern, die ihm „jede Freiheit verbaten“. Ein Handy zu besitzen, im Internet zu surfen, Freundschaften zu knüpfen.

(Bild: AFP)

„Wir wollten heiraten und Kinder bekommen“
 „Trotz all dieser Schwierigkeiten vereinbarten wir ein Treffen.“ In einem Park - Bakhti schwänzte die Schule. „Es war Liebe auf den ersten Blick“, weitere Rendezvous folgten. „Manchmal küssten wir uns. Irgendwann begannen wir von Hochzeit zu reden. Wir wünschten uns Kinder, aber nicht sofort, Bakhti wollte zuerst eine Ausbildung zur Verkäuferin machen.“ Die junge Frau habe Massiullah K. erklärt, sie wäre 17, obwohl in ihrem Pass ihr Alter mit 14 angegeben war: „Ich glaubte ihr. Denn sie sah ja schon ziemlich erwachsen aus.“

Im Juni 2017 „der Schock“: „Bakhti rief mich an, sie weinte ins Telefon: ,Ich wurde daheim fürchterlich geschlagen, ich muss sofort weg aus Wien.’“ Und sie berichtete ihrem Freund auch, warum es zu den Misshandlungen gekommen war: „Sie hatte ihrer Mutter von unserer Beziehung erzählt. Und der Vater hatte, unbemerkt von den beiden, mitgehört.“ Daraufhin sei er „extrem wütend“ geworden: „Er prügelte auf Bakhti mit einem Kabel ein.“ Massiullah K. riet ihr zu einer Flucht nach Graz, „denn da wohnte ein guter Freund von mir, der sich um sie kümmern würde.“

„Papa droht mit Zwangsehe - und mit Mord“
In der Steiermark machte das Mädchen dann eine Anzeige - nicht nur gegen den Vater, sondern auch gegen ihren Bruder Hikmatullah. Wegen ständiger körperlicher Gewalt an ihr. Zudem gab sie der Polizei zu Protokoll: „Mein Papa droht mir mit einer Zwangsehe - und mit Mord.“

Bakhti wurde daraufhin in einem Krisenzentrum untergebracht. Die Eltern erfuhren davon, alarmierten einen Imam, er passte das Mädchen ab, um es zu einer Rückkehr zu seiner Familie zu überreden. Die Afghanin folgte ihm. Und suchte in der Folge dennoch in Einrichtungen des Jugendamts Schutz. „Ich wollte zu Bakhtis Familie gehen, die Situation beruhigen, um ihre Hand anhalten. Aber sie verbat mir das.“

Ein Foto zeigt Bakhti und Hikmatullah kurz vor der Tat in einer Wiener U-Bahn-Station. (Bild: Andi Schiel)
Ein Foto zeigt Bakhti und Hikmatullah kurz vor der Tat in einer Wiener U-Bahn-Station.

Von Tod aus der Zeitung erfahren
Von dem grausamen Ende seiner Freundin erfuhr Massiullah K. aus einer Zeitung: „Als ich die Nachricht las, brach meine Welt zusammen.“ Bis vor Kurzem hatte er ein Bild von dem Opfer und sich auf seinem Handy gespeichert: „Ich sah es dauernd an, mein Herz tat dabei so weh.“ Deshalb hätte er bei einem einsamen Spaziergang im Wald beschlossen, das Foto zu löschen.

„Es war, als würde ich Bakhti begraben. Ich habe mich von ihr verabschiedet, ihr ein letztes Mal gesagt, wie sehr ihr sie liebe - und dass wir irgendwann wieder zusammen sein werden. Bei Gott.“

Das Opfer wurde vom Vater beschattet
 Als Bakhti getötet wurde, war sie - wieder einmal - in einem Krisenzentrum untergebracht. Ihre Betreuer wussten, dass sie eine Racheaktion ihrer Familie befürchtete, trotzdem musste sie unbegleitet mit der U-Bahn zur Schule fahren. Wie nachträgliche Handyortungen belegen, dürfte sie dabei oft von ihrem Vater beschattet worden sein. Nach wie vor wird auch er in dem Kriminalfall als Beschuldigter geführt - die Kripo vermutet, dass er seinen Sohn zu der Tat angestiftet haben könnte.

Fakt ist aber auch, dass Hikmatullah S., genauso wie Bakhti, ein schlechtes Verhältnis zu dem Mann hatte. Seit 2015 wandte sich der Bursch immer wieder an das Jugendamt, bat dort darum, ihn aus den „schrecklichen Zuständen daheim“ zu befreien, berichtete von an ihm begangenen körperlichen und seelischen Misshandlungen. Wiederholt wurde er in staatlichen Einrichtungen aufgenommen, doch stets nur für kurze Zeit.

(Bild: Helmut Horvath, Andi Schiel, krone.at-Grafik)

„Da drehte ich durch und stach zu ...“
Zuletzt lebte er auf der Straße, schlief manchmal bei Freunden. „Ich wollte gemeinsam mit Bakhti in eine Wohnung ziehen“, behauptet der Afghane jetzt, „doch sie ging auf meinen Vorschlag nicht ein und versetzte mir sogar einen Hieb. Und da drehte ich durch und stach zu ...“

Der Tatort im Hinterhof eines Wohnhauses in der Puchsbaumgasse (Bild: Andi Schiel)
Der Tatort im Hinterhof eines Wohnhauses in der Puchsbaumgasse

Die Eltern des Opfers und des Täters haben noch sieben weitere Kinder. Zwei Töchter wurden in Pakistan zwangsverheiratet. Ein Sohn ist längst erwachsen. Ein Mädchen und drei Buben sind minderjährig. Sie wachsen unter katastrophalen Verhältnissen auf. Mit einem als psychisch krank geltenden Vater und einer Mutter, die völlig rechtlos scheint.

Martina Prewein, Kronen Zeitung

Loading...
00:00 / 00:00
Abspielen
Schließen
Aufklappen
Loading...
Vorige 10 Sekunden
Zum Vorigen Wechseln
Abspielen
Zum Nächsten Wechseln
Nächste 10 Sekunden
00:00
00:00
1.0x Geschwindigkeit
Loading
Kommentare

Da dieser Artikel älter als 18 Monate ist, ist zum jetzigen Zeitpunkt kein Kommentieren mehr möglich.

Wir laden Sie ein, bei einer aktuelleren themenrelevanten Story mitzudiskutieren: Themenübersicht.

Bei Fragen können Sie sich gern an das Community-Team per Mail an forum@krone.at wenden.



Kostenlose Spiele
Vorteilswelt