Nach fünf Jahren kehrte Pink-Floyd-Legende Roger Waters Mittwochabend nach Wien zurück. In einer ausverkauften Wiener Stadthalle spielte er samt opulenten Bühnendesign die größten Hits der Prog-Kultband und einige Songs seines aktuellen Soloalbums. Teilweise harsche Spitzen gegen Politiker und die Lage der Welt blieben dabei nicht aus.
Unbestätigte Gerüchte besagen, dass vor allem Männer im fortschreitenden Alter immer wunderlicher werden. Der Geduldsfaden wird dünner, die künstliche Aufregung erhöht sich exponentiell und der Ärger über jemanden, den man am Wohnungsfenster rauchend dabei ertappt, wie er ohne links und rechts zu schauen neben dem Schutzweg über die Straße pirscht ist ebenso groß wie Jahrzehnte früher über einen Blechschaden beim Spurwechsel am Wiener Gürtel. All das mag hier vielleicht nicht detailgetrau auf Pink-Floyd-Co-Mastermind Roger Waters zutreffen, doch den Altersfrust trägt der geniale Musikus so offensichtlich spazieren, wie sonst vielleicht nur Songverformer Bob Dylan.
Kurz als Neofaschist
Auf seiner opulenten, mehr als 100 Shows starken und weltweit stattfindenden „Us + Them“-Tour zetert der politisch mannigfaltig interessierte Brite sogar für seine Verhältnisse ungewohnt vehement. Während der ausladenden Version des legendären Floyd-Klassikers „Money“ reckt Waters seinem persönlichen Intimfeind Donald Trump die Mittelfinger entgegen, lässt ihn grafisch mit Faschistengruß, Mikropenis und Hitlerbärtchen von den Leinwänden prangen und bedenkt ihn am Ende der mehrminütigen Hasstirade mit einem auf Deutsch geschriebenen „Trump ist ein Schwein“. In der Pause zwischen den beiden gut einstündigen Sets strahlen unmissverständliche Botschaften von der etwa 200 Quadratmeter großen Videowall. Waters fordert Widerstand. Unter anderem gegen Mark Zuckerberg, gegen Propagandamaschinerien, gegen das Abschlachten der Kinder am Gazastreifen oder gegen die Neofaschisten, zu denen neben Viktor Orbán, Marie Le Pen und Vladimir Putin auch Sebastian Kurz zu zählen sei.
Nach dem regulären Set greift der grau melierte Regimekritiker schließlich selbst zum Mikrofon, bedankt sich bei seinen „österreichischen Freunden von der BDS-Bewegung“ und hält eine Brandrede für die Palästinenser im derzeit hochgekochten Gaza-Konflikt. Wie Tiere werden sie geschlachtet, ohne eine Gefahr zu sein und sich zu wehren zu können. Zwei Millionen Einwohner leben wie Gefangene und würden bei einer eventuellen Flucht den Tod durch Erschießen riskieren. Dass die BDS eine seit 2005 bestehende Bewegung ist, die den Staat Israel wirtschaftlich, politisch und kulturell isolieren will, um die Besetzung und Besiedelung allen arabischen Landes zu beenden, steht dann doch etwas diametral im Widerspruch zur zuvor ausgestrahlten Videobotschaft, dass man sich dem Antisemitismus widersetzen möge.
Zuerst einmal eingrooven
In der temporären Wut fehlt eben oft die Reflektion oder das gesunde Austarieren der Fronten, doch Waters einen Bono der Rockwelt zu nennen, würde zu kurz greifen. Wo der U2-Sänger am Ende immer die Kurve zum Miteinander und zum Humanismus kratzt, wirkt der 74-Jährige stärker der Wut ausgeliefert. Eine Wut, die sich aber nicht zwingend auf die zeitlosen Kompositionen der opulenten Show niederschlägt. Vor allem die erste Konzerthälfte wirkt noch regelrecht hüftsteif und der große Zampano samt sechsköpfiger Band und zweier wunderbarer Backgroundsängerinnen muss sich erst in das Set einfinden. Klar, der Bass zu „One Of These Days“, die wohlige Nostalgie, die einen bei „Time“ umschmeichelt und das pittoresk klingende „The Great Gig In The Sky“ sind hochwertige Qualitätsmerkmale, doch erst mit dem kritischen „Welcome To The Machine“ geht ein Ruckeln durch die ausverkaufte Halle.
Zu dieser Zeit hat Waters auch schon Solonummern seines aktuellen Albums „Is This The Life We Really Want?“ gespielt - es sollten die einzigen bleiben, denn auf ältere Songs greift er nicht zurück. Auch wenn Waters draufsteht, steckt - wie immer - Pink Floyd drinnen. Wie schon bei seinem letzten Auftritt vor knapp fünf Jahren bei der „The Wall“-Show im Ernst-Happel-Stadion darf auch heute wieder ein zwölfköpfiger Wiener Kinderchor erste Sporen im Rampenlicht verdienen. Bei „Another Brick In The Wall“ zuerst im verstörenden Guantanamo-Strafanzug mit schwarzem Sack über den Köpfen, entwickelt sich das Kultstück am Ende zu einem Anflug von Hoffnung, dem Entreißen der Mauern, in denen wir uns selbst zu verbauen scheinen.
Nostalgie und Zukunftsdenken
Die Show mäandert vor allem im zweiten Teil zwischen träumerischer Retrospektive und futuristischem Design. Dort Videoinhalte aus vergangenen Tagen mit Gesichtern wie Mao, Berlusconi oder Assad. Hier zwölf Leinwände, die von der Mitte des Saaldachs heruntergelassen werden und von vier Säulen, die die Schornsteine der Battersea Power Station des Flyodschen „Animals“-Covers wiedergeben, flankiert werden.
Auf den Leinwänden propagiert Waters wahlweise seinen Trump-Hass, wettert gegen die „Schweine, die die Welt regieren“ und entführt die altersdurchmischten Fans in die seligen Zeiten der 70er-Jahre, als Progressive in der Musik tatsächlich noch für Fortschritt und Erneuerung galt. Die immerwährende Gültigkeit von Songs wie „Pigs“, „Money“ oder „Dogs“ ist beeindruckend. Der 360-Grad-Sound, der sich durch die Halle schiebt, ist vor allem für die Besucher im mittleren Bereich ein Gewinn. Diese sehen für ihre bis zu 330 ausgegebenen Euro dafür nur sehr wenig von der optischen Opulenz, die sich im zweiten Showteil durch die Halle schlängelt. Diese Ende zum großen Höhepunkt bei „Eclipse“, wo sich eine Laserpyramide formt, die unter frenetischem Jubel von Regenbogenfarben durchzogen „The Dark Side Of The Moon“-Feeling aufkommen lässt. Am Ende ist man versöhnt, denn so schön und atemberaubend strahlt der Grant alter Männer für gewöhnlich nicht. Und außerdem - wenn all die Jungen demütig schweigen, müssen es eben die Etablierten richten.
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