Schmäh führen, Schwadronieren, Spritzwein trinken: In seinem Stammwirtshaus „Blauensteiner“ spricht der Wiener Bürgermeister Michael Häupl (68) mit Conny Bischofberger über 8600 Tage Politik, Leberkäse im Büro, Alkohol als Imagepflege und sein neues Leben als Koch und Käfer-Cabrio-Chauffeur.
Eine Budel, an der frisches Bier gezapft wird. Aus der Küche zieht der Duft von gebackenen Herrenpilzen. Als der Wiener Bürgermeister mit seinem Sprecher Martin Ritzmaier das Lokal betritt, nicken ihm die Stammgäste zu. Hierher, ins „Blauli“ am Anfang der Josefstädterstraße, ist Michael Häupl schon in seinen Studententagen auf ein kleines Gulasch gekommen. Es ist halb zwölf Uhr mittags. Der Tisch, an dem er Platz nimmt, hat Patina. Nach zwei Spritzweinen und 37 letzten Fragen geht er wieder hinüber ins Rathaus, ausräumen und packen. Am kommenden Donnerstag, dem 24. Mai, ist Häupl 8600 Tage im Amt. Es wird sein letzter Tag sein.
„Krone“: Ist alles schon gesagt?
Michael Häupl: Ich wüsste jedenfalls nicht, was ich noch sagen könnte.
Beunruhigt Sie das Näherrücken des Endgültigen?
In keiner Weise. Ich habe das entschieden, keiner hat mich gedrängt. Da war genügend Zeit, mich darauf vorzubereiten.
Wird es Tränen geben?
Ausgeschlossen.
So hartgesotten?
Nein. Aber als am 1. Mai hunderttausend Menschen „Da capo!“ gerufen haben, ging mir das schon nahe. So gesehen habe ich das schon hinter mir.
Vom letzten Tag im Rathaus schon geträumt?
Nein, aber es wäre auch kein Alptraum gewesen.
In diesem Moment, worauf sind Sie stolz?
In einem Vierteljahrhundert zweimal die Absolute geholt. Neunmal hintereinander das Städte-Ranking der höchsten Lebensqualität gewonnen. Wien in die europäische Union hineingeführt. Die ökonomische Krise, die 2008 begann, bewältigt. Aus Wien, der Stadt der Kultur, auch eine Stadt des Wissens gemacht. Wir sind noch nicht am Ende der Fahnenstange. Aber der Weg ist unumkehrbar. Das ist schon was.
Ihr größter Fehler?
Milde und Güte.
Er sitzt nicht da, er hat sich zurückgelehnt. Die Hände ruhen verschränkt über dem Bauch, manchmal streicht er sich über den weißen Schnurrbart. Und diese Mimik! Zwischen Charme und Grant, seine Mundwinkel sagen manchmal mehr als Blicke und Worte.
Mit welchem Gefühl werden Sie am 25. Mai aufwachen?
Am kommenden Freitag werde ich aufwachen und mir denken: Upps, ich muss in die Landtagssitzung! Dann wird mir hoffentlich einfallen, dass mich das erste Mal seit 35 Jahren eine Landtagssitzung nichts mehr angeht. Dann drehe ich mich um und schlafe weiter. Das Gefühl wird herrlich sein.
Stichwort 35 Jahre: Warum sind Sie damals ausgerechnet Zoologe geworden?
Mein Vater hatte einen Freund, der war Universitätsprofessor für Entomologie - Insektenkunde. Die beiden Herren sind des Öfteren spazieren gegangen und haben mich als Zwölfjährigen mitgenommen. Der Professor hat sich dann immer mit einer kleinen Lupe auf die Wiese geschmissen. Ich dachte mir: Was kann da so wahnsinnig interessant sein? Mit 14 bekam ich meine eigene Einschlaglupe.
Und haben was gesehen, wenn Sie sich auf die Wiese geschmissen haben?
Winzige Insekten rund um Blüten, die sich von anderen Insekten ernähren oder auch von Fleisch. Da habe ich beschlossen, Naturwissenschaften zu studieren.
Welches biologische Grundgesetz gilt auch in der Politik?
Vielleicht das, was Darwin mit der Selektion beschrieben hat: Survival of the Fittest. Der Bestangepasste überlebt, nicht der Stärkste. Sonst gäbe es heute noch Dinosaurier. Und wenn ich schrecklich zynisch wäre, was ich aber nicht bin, würde ich sagen: Der größte Opportunist überlebt mitunter am längsten.
Erinnern Sie sich noch an den ersten Tag im Amt?
Da hatte Helmut Zilk kurz vorher eine Entscheidung getroffen, die ich widerrufen habe. Es war wieder mal eine typische Zilk-Entscheidung, mitten aus dem Herzen heraus. Die Taliban hatten in Afghanistan, neben alten Kunstwerken, auch eine Wasserleitung gesprengt, und er gab die Anordnung, dass ein Wiener Technikerteam hinfahren und die Leitung reparieren soll. Also das haben wir nicht gemacht. Weil das Gebiet nicht sicher war.
Nach fast 8600 Tagen: Ist Politik ein brutales Geschäft?
Ja, schon. Vor allem die tägliche 24-stündige Verfügbarkeit. Das ist kräfte- und zeitraubend, familien- und beziehungsfeindlich.
Wie viele Stunden im Durchschnitt geschlafen?
Nie mehr als sechs Stunden, eher weniger.
Altern Politiker schneller?
Wenn sie nicht aufpassen, schon.
Haben Sie aufgepasst?
Nicht genügend. Bis ich meine jetzige Frau kennengelernt habe. Klassische Schulmedizinerin. Mit vernünftigen und nachvollziehbaren Argumenten.
Argumente wofür?
Gesünder und natürlich auch länger zu leben. Beim Essen mehr aufzupassen. Auf dem Ergometer zu sitzen. Das Auseinanderklaffen des realen und des biologischen Alters zu verringern.
Stimmt es, dass Sie im Rathaus oft Leberkäse bestellt haben?
Ja, das ist richtig. Sieht man das nicht? - Lacht.
Helmut Zilk hat gesagt: „Ich trinke Wein, weil ich ein Wiener bin.“ Wie ist das bei Ihnen mit dem Alkohol?
Ziemlich genau so. Ich habe den Wiener Gespritzten auch deshalb kultiviert, weil das ein Getränk ist, bei dem man nicht in Gefahr gerät, betrunken zu werden. Ich habe immer gewusst, was ich tue und rede.
„Man bringe den Spritzwein“, Ihr Sager nach Abschluss der rot-grünen Koalitionsverhandlungen, ist mittlerweile Kult. Hat Ihnen dieses Image geschadet oder geholfen?
Ich finde es schön, wenn ich auf die Uni komme und dort Studentinnen und Studenten mit Leiberln herumrennen, auf denen „Man bringe den Spritzwein“ steht. Das hat mit Wiener Lebensgefühl zu tun. Und zum Image: Ich würde sagen, es war einfach mein Image. Ich habe es ja nicht bewusst aufgebaut.
In Zukunft weniger oder mehr Spritzwein?
Da wird sich nicht viel ändern. Es ist ja - Gott bewahre - nicht so wahnsinnig viel gewesen.
Ihr Lieblingswein?
Leichte, trockene Weiße wie Welschriesling oder Veltliner. Und in Wien natürlich der Gemischte Satz, ist ja gar keine Frage.
Immer wieder kommen Leute an Häupls Tisch, geben ihm die Hand, fragen, wann es soweit ist, und wünschen ihm alles Gute. Und er erzählt Anekdoten von früher. Zum Beispiel über den „Dagmar-Koller-Lift“ im Rathaus. Eines Tages sei „Dagi“ in diesem Lift steckengeblieben. Oben habe der Zilk geschrien, im Lift habe die „Dagi“ geschrien, dazwischen die Feuerwehr.
Sind Sie Helmut Zilk dankbar?
Ja. Ich habe von ihm so vieles, vor allem aber Medienarbeit gelernt. Er ist so etwas wie ein väterlicher Freund.
Sie sagen „ist“, obwohl Zilk schon 10 Jahre tot ist.
In meinem Kopf ist er immer noch da.
Wie sind Sie politisch sozialisiert worden?
Ich bin aus zwei katholischen Internaten geflogen. 1969, als ich begonnen habe zu studieren, konnte man Politik fast greifen, es herrschte eine prärevolutionäre Stimmung. In dem Studentenheim, in dem ich gewohnt habe, nicht unweit vom „Blauensteiner“, durfte mich damals meine Mutter nicht vom Zimmer abholen, weil keine Frau hinein durfte. Unvorstellbar heute! Wir haben aber weniger von der Weltrevolution geträumt damals, sondern von der Revolution in unserer eigenen kleinen Welt.
Sie sind in Niederösterreich geboren. Wann haben Sie sich zum ersten Mal wie ein Wiener gefühlt?
Das hat schon gedauert. Das Wien der frühen 70er-Jahre war finster, langweilig und grau. Mit Leopold Gratz hat sich die Stadt langsam verändert, Zilk hat das fortgesetzt. Ich würde sagen, Ende der 70er-Jahre.
Was macht einen echten Wiener aus?
Ein echter Wiener ist ein Mensch, der gleichzeitig freundlich und grantig sein kann, der gleichzeitig Menschenfreund und Menschenfeind ist. Das ist wirklich ein Phänomen.
Ist die Balance zwischen Grant und Schmäh bei Ihnen manchmal gekippt?
Man ist natürlich nicht immer gleich gut drauf. Manchmal geht es im Stakkato mörderstressig dahin, das kann sich keiner vorstellen. Bei Übermüdung kann es schon passieren, dass es kippt.
In genau einer Woche von diesem Moment an beginnt Michael Häupls neues Leben. Büro im 9. Wiener Gemeindebezirk, er bleibt Präsident des Wiener Wissenschafts- und Technologiefonds und Kuratoriumsvorsitzender beim FK Austria Wien, wird vielleicht noch das eine oder andere „Gschaftl“ annehmen. Aber die „tägliche 24-Stunden-Verfügbarkeit“, wie er sie nennt, ist weg.
Wird man Sie künftig in der Badehose an der Alten Donau sehen?
Eher im roten Käfer-Cabrio. Das wartet auf mich im Haus meiner Frau im Burgenland.
Reisepläne?
Ich bin so viel herumgefahren aus beruflichen Gründen, dass mich das nicht wahnsinnig reizt. Vielleicht noch einmal Australien und Neuseeland. Aber das hat Zeit. Bis dahin radel ich im Burgenland herum.
Werden Sie öfter zu Hausarbeiten eingeteilt werden?
Na ja, ich bin ja schon jetzt der Koch. Es kocht meine Frau zwar auch gut, aber sie hat beileibe nichts dagegen, wenn ich das mache.
Was gelingt Ihnen am besten?
Innereien. Ein Bruckfleisch, Nierndln oder ein Rahmherz. Immer öfter auch Wok in allen Variationen.
Wann zuletzt „Asterix und Obelix“ geschaut?
Vor ein paar Wochen, mit meinem zwölfjährigen Enkel. Der andere ist erst ein Jahr alt.
Werden Sie ein Buch schreiben?
Freundliche Angebote gibt es. Aber das, was ich schreiben darf, interessiert die Leser nicht und das, was die Leser interessiert, darf ich nicht schreiben.
Ihr Vorgänger Helmut Zilk hat 1994 gesagt: „Die depperten Frösch‘ kannst später zählen, ich brauch‘ dich jetzt in der Politik!“ Gehen Sie jetzt Frösche zählen?
Die Frösche waren natürlich ein Symbol für die Wissenschaft. Sie sind aber zoologisch höchst interessante Tiere. Nicht nur dass sie so laut schreien und vielen so sehr auf die Nerven gehen, dass sie Frösche fangen gehen. Frösche sind auch die einzigen Wirbeltiere, die als Kaulquappen mit rudimentären Hinterbeinen und Kiemenatmung auf die Welt kommen und dann die Metamorphose zum Frosch mit vier Beinen und Lungenatmung vollziehen. Ich habe mich ein ganzes Semester lang mit diesem Thema beschäftigt.
Was soll man einmal über Michael Häupl sagen?
Er war ein guter Bürgermeister.
Das ist alles?
Das ist alles, was mir wichtig ist.
Häupls legendärste Sprüche:
Conny Bischofberger, Kronen Zeitung
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