Mit einstündiger Verspätung ist die türkis-blaue Bundesregierung am Mittwoch zu ihrem informellen Ministerrat in Brüssel eingetroffen. Kanzler Sebastian Kurz betonte, dass Österreich „einen neuen Weg“ bei der EU-Migrationspolitik ohne Flüchtlingsverteilung gehen wolle. Viele hätten sich eine Einigung auf eine Quotenverteilung erwartet, „ich gehe nicht davon aus, dass es eine Lösung geben wird“, sagte Kurz nach dem Ministerrat. Er forderte zudem eine Stärkung der EU-Grenzschutzagentur Frontex. Lobende Worte für die Bundesregierung gab es von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker.
Kurz betonte weiters: „Wir nehmen den österreichischen Ratsvorsitz sehr ernst.“ Man wolle der „Brückenbauer Europas“ sein. Als einen der Schwerpunkte bezeichnete er, „Europa sicherer gegen illegale Migration“ zu machen. So schwebe der Regierung vor, die EU-Grenzschutzagentur Frontex „zu stärken - personell wie finanziell“. Der Kanzler weiter: „Das Flüchtlingsthema hat für zu viel Gräben und Spaltung gesorgt.“
Illegale Migration sollte bereits an der EU-Außengrenze gestoppt werden, Migranten sollten ins Transit- und Herkunftsland zurückgestellt werden „oder in eine sichere Zone außerhalb der Europäischen Union“. Außerdem will Kurz wirkungsvolle Möglichkeiten diskutieren, um das Ablegen von Booten zu verhindern und dabei mit Transitländern kooperieren. Damit werde auch das Ertrinken im Mittelmeer gestoppt. Gleichzeitig sei es wichtig, neue Flüchtlingsrouten etwa durch Albanien zu verhindern. Laut Kurz gebe es „eine Fülle an Maßnahmen“, die verurteilt worden seien, aber „jetzt Gott sei Dank mehrheitsfähig in der Union“ seien. Fortschritte unter dem Ratsvorsitz seien möglich.
Strache: „Flüchtlingsverteilung sicher der falsche Weg“
Vizekanzler Heinz Christian Strache (FPÖ) betonte, die Flüchtlingsverteilung sei „sicher der falsche Weg“, er habe schon in der Vergangenheit nicht gefruchtet. Strache sieht auch „Handlungsbedarf“ angesichts neuer Flüchtlingsrouten am Balkan. Strache plädierte neuerlich für Aufnahmezentren außerhalb der EU, wo Asylanträge vorab gemacht werden sollen und nicht, wenn man illegal in Europa gelandet sei. Er verwies darauf, dass es in der Flüchtlingskrise zu „dramatischen Entwicklungen“ gekommen sei. Es sei „stümperhaft agiert“ worden, weswegen ein großer Vertrauensverlust in der Bevölkerung entstanden sei.
Darauf angesprochen, ob er weiterhin Frontex als Schlepperorganisation bezeichnen würde, sagte Strache, dies müsse er klarstellen: „Ich habe Frontex nicht als Schlepperorganisation bezeichnet oder verurteilt, aber das politische Mandat damals war ein falsches. Wenn man Menschen vor der Küste Afrikas abfängt, um sie nicht zurückzubringen, sondern nach Europa, ist das der falsche Weg. Das hat letztlich der organisierten Kriminalität und der Schleppermafia bis zu einem gewissen Grad geholfen“.
Bei vielen Themen muss Konsens gefunden werden
Für die nächsten sechs Monate der Ratspräsidentschaft - sie beginnt mit 1. Juli - hat sich die Regierung einiges vorgenommen. „Da gibt es viel abzuarbeiten. Es stehen die Brexit-Verhandlungen an. Weiters gibt es die Herausforderung, ein EU-Budget für die nächsten sieben Jahre zu verhandeln“, betonte Kurz in Brüssel. Es sei zwar klar, dass man als Ratsvorsitzender etwas mehr Einfluss habe als nur als ein einfaches Mitglied der EU, aber, betonte Kurz: „Man kann nicht allein entscheiden. Es muss bei den meisten Themen ein Konsens aller 28 Mitgliedsländer gefunden werden.“ Wichtig sei jetzt für Österreichs Ratsvorsitz, die „Feinabstimmung“ mit der EU-Kommission vorzunehmen. Nach dem Treffen in Brüssel wird es in Wien ein weiteres mit der EU-Kommission geben.
Die Ministerratssitzung fand am Vormittag in der Ständigen EU-Vertretung Österreichs statt, danach ging es zum Sitz der Europäischen Kommission ins Berlaymont-Gebäude, wo ein Zusammentreffen von Kurz mit EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker am Programm stand, daneben gab es bilaterale Gespräche zwischen einzelnen Ministern und Kommissaren.
Juncker lobt Bundesregierung: „Deutlich proeuropäisch“
Juncker fand für die die Bundesregierung lobende Worte: „Österreich ist aufgrund seiner geografisch bedingten Lage ein klassisches Brückenland.“ Er sehe der österreichischen Ratspräsidentschaft „mit großen Erwartungen entgegen“. Sein Eindruck nach den Gesprächen mit Kurz und Strache sei, dass „die Kommission und die österreichische Bundesregierung sich Hand in Hand aufeinander zubewegen“. Dies geschehe in gegenseitigem Respekt, „manchmal mit unterschiedlichen Vorstellungen. Aber die Vorstellungen sind nicht so unterschiedlich groß, dass es nicht eine große Schnittmenge“ gebe, was die „deutlich proeuropäische Bundesregierung“ betreffe.
Sowohl Juncker als auch Kurz halten die Sicherung der Außengrenzen im Migrationsbereich für die prioritäre Frage. Juncker erklärte sogar: „Für mich ist das Thema Schutz der Außengrenzen wichtiger als alle anderen untergeordneten Fragen.“ Darauf angesprochen, dass die Quote für die Flüchtlingsverteilung weiterhin umstritten sei und Kurz einen neuen Weg in der Migration gehen wolle, sagte Juncker, wenn der Außengrenzschutz funktioniere, „dann werden sich andere Fragen erübrigen“.
Kern mokiert sich über türkis-blaue „Klassenfahrt“
Kritik am Brüssel-Besuch der Bundesregierung kam von der SPÖ und den Grünen. „Während man sich gerne proeuropäisch gibt, werden alle wirklichen Probleme bei netten Fototerminen weggelächelt“, sagte etwa die SPÖ-Delegationsleiterin im EU-Parlament, Evelyn Regner. SPÖ-Chef Christian Kern kritisierte die hohen Kosten für die „Klassenfahrt“.
Claus Meinert, Kronen Zeitung/krone.at
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