Die Kawasaki Ninja ZX-10R gehört zu den dienstältesten Supersportlern am Markt; ein Hersteller nach dem anderen hat modernste Ware herausgebracht, zuletzt Ducati mit der gefeierten V4. Da wäre es fast schwer geworden, Argumente für den giftgrünen Krieger zu finden, abgesehen von Jonathan Reas Titel-Serie in der Superbike-WM. Doch der Schein trügt - und außerdem gibt es aktuell die Special Edition: Ihr elektronisch gesteuertes Fahrwerk macht aus ihr zwei Bikes in einem.
Man sieht der Kawa gar nicht an, wie modern und up to date sie ist, wie wenn sie absichtlich ihr Licht unter den Scheffel stellen würde. Klar schaut sie gut aus, schnittig geschnitten, in diesem Fall nur in Akzenten giftgrün, das noch immer böse G‘schau. Aber allein dieses Mini-Funzel-LCD-Display wie auf 80er-Jahre-Armbanduhren! Und dann die Halogen-Funzeln vorne, wo jeder, der was auf sich hält, LEDs strahlen lässt, was logischerweise auch die Optik gewaltig schärft.
Aber auf den zweiten Blick eröffnet sich für denjenigen, der hinter die leicht angestaubte Fassade blickt, ein mächtiges Vollstreckergerät - und in Sachen semiaktives Fahrwerk stellt die Ninja alles in den Schatten…
Fahr- oder Schwebwerk?
Für den Fahrer ist es ganz einfach: Er schaltet um zwischen Straßen- und Track-Modus, dadurch bekommt er, was er erwartet, bzw. eigentlich sogar mehr, denn der Unterschied zwischen beiden ist phänomenal. So hart und präzise die Kawa durch die Rennstrecke schneidet, so ungewöhnlich komfortabel gleitet sie über schlecht asphaltierte Landstraßen. Dabei eiert sie aber nicht cruisermäßig herum, sondern stellt sich ständig auf Fahrbahngegebenheiten, Beschleunigung, Schräglage etc. ein.
So funktioniert der Spaß:
Das Geheimnis wird KECS genannt, wurde gemeinsam von Showa und Kawasaki entwickelt und steuert elektronisch die Dämpfung von Gabel und Schwinge mit einer nie dagewesenen Messfrequenz und Regelgeschwindigkeit. Die integrierten Sensoren an Gabel und Hinterrad-Stoßdämpfer erfassen in Echtzeit Hubgeschwindigkeit und Druckinformationen und versorgen die KECS-Steuereinheit im Millisekundentakt mit Informationen. Dazu kommen die Daten aus der zentralen Messeinheit (IMU), die das Trägheitsmoment in sechs Achsen misst, sowie die Fahrgeschwindigkeit (alle zehn Millisekunden).
Der wahre Clou ist aber die extrem schnelle Umsetzung in der „Balance Free Front Fork“ und dem „BFRC-Lite-Stoßdämpfer“ von Showa, also das Ansprechverhalten: Die Steuerung erfolgt über ein direkt betätigtes, einstufiges Magnetventil, das innerhalb einer Millisekunde reagiert. Klingt kompliziert, fühlt sich aber einfach gut an. Dass die SE mit 208 kg zwei Kilo mehr auf die Waage bringt, ist akzeptabel.
Wer sich mit den beiden Fahrmodi nicht zufrieden geben will, kann im manuellen Modus die Einstellungen für Druck- und Zugstufendämpfung in jeweils 15 Stufen frei wählen. Das geht theoretisch während der Fahrt, praktisch aber nur im Stand und auch nur dann, wenn die Sonne nicht zu sehr auf das LCD-Display brennt.
Doch egal, was man einstellt: Man verändert nur die Basislinie, von der das System ausgeht. Tatsächlich passt sich die Kawa ständig selbsttätig an die Fahrsituation an.
Auch sonst alles dran
Serienmäßig an der ZX-10R SE ist der Quickshifter mit Blipper, d.h. man benötigt über 2500/min. weder zum Rauf- noch zum Runterschalten die Kupplung. Beides funktioniert tadellos. Außerdem bringt die SE geschmiedete Marchesini-Räder mit, die sonst nur an der für die Rennstrecke entwickelten RR erhältlich sind. 330er-Brembos sowieso.
Auch auf der Höhe der Zeit sind logischerweise Kurven-ABS und Traktionskontrolle dank der Sechs-Achsen-IMU.
Die Geometrie der ZX10-R SE (Lenkkopfwinkel und Schwingendrehpunkt) lässt sich durch Kit-Teile verändern.
Motor mit Delle
Woran das Superfahrwerk leider nichts ändern kann, ist die Kraftentfaltung des 200 PS starken 998-ccm-Reihenvierzylinders. Es bleibt bei der deutlich spürbaren Drehmomentdelle im mittleren Drehzahlbereich. Daher kommt man öfter, als einem lieb ist, in den Genuss der elektronischen Schalterei.
Unterm Strich
28.299 kostet die ZX-10R Special Edition. Kann man in Zeiten, da alles nach Ducati-V4 und Konsorten giert, noch Kawasaki fahren? Ja, man kann. Vor allem wer mit seinem Supersportler auch gerne auf der Landstraße fährt, tut sich etwas Gutes mit der Ninja. Oder sagen wir‘s so: Wer auf Achse zum Trackday anreisen will, für den ist sie erste Wahl.
Warum?
Semiaktives Fahrwerk mit hervorragendem Ansprechverhalten
Weit gespreizte Charakteristik
Warum nicht?
Etwas angegrauter Auftritt
Oder vielleicht …
… BMW S 1000 RR, Honda Fireblade SP, Yamaha R1M etc.
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