Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) klassifiziert exzessives Computer- oder Videospielen nunmehr als Krankheit. „Gaming Disorder“ wird, wie bereits angekündigt, hinter Glücksspielsucht im neuen Katalog der Krankheiten (ICD-11) gelistet, der am Montag erschienen ist. Die Aufnahme ist unter Wissenschaftlern umstritten.
Der Katalog dient Ärzten als Hilfe bei der Diagnose. Zum anderen nutzen Krankenkassen ihn oft als Grundlage für Kostenübernahmen. Seine 11. Auflage, International Classification of Diseases, muss noch von der Weltgesundheitsversammlung im kommenden Frühjahr abgesegnet werden. Das gilt als Formalität. Der Katalog enthält tausende Krankheiten. Die 10. Auflage stammte aus dem Jahr 1992, ist aber laufend aktualisiert worden.
Es sind schon Leute nach 20, 30 Stunden nonstop Computerspielen tot umgefallen, ein 24-Jähriger in Shanghai 2015 etwa, der 19 Stunden bei „World of Warcraft“ online war, oder 2012 ein Teenager in Taiwan, der 40 Stunden ohne Unterbrechung „Diablo 3“ gespielt hatte. Anfang vergangenen Jahres starb ein 35-Jähriger in den USA bei einem „World of Tanks“-Marathon. Solche Extremfälle sind selten. Aber Ärzte schlagen laut WHO Alarm, weil sie immer öfter spielsüchtige Patienten sehen.
Manche Forscher spotten über die neue Krankheit
Manche Wissenschaftler sind skeptisch - oder auch spöttisch. Wer beim Spielen schon einmal anderes habe schleifen lassen - Hausputz, Aufräumen oder ähnlich mitunter lästige Arbeit - müsse dringend zum Arzt, ätzte der Kommunikationswissenschaftler Thorsten Quandt, als die Pläne der WHO vor einem Jahr bekannt wurden. Viel Online-Spielen als Sucht zu definieren, könne zum Dammbruch werden, warnte er: „Von Handy-Sucht bis Social-Media-Depression wäre vieles als eigenständige ‘Medien‘-Krankheit denkbar. In der Folge wären zahlreiche Kinder, Jugendliche und Erwachsene qua Definition von heute auf morgen therapiebedürftig.“
Der Psychologe Andy Przybylski von der Universität Oxford warnte mit rund 30 Kollegen in einem offenen Brief. „Es besteht das Risiko, dass solche Diagnosen missbraucht werden“, schrieben sie. Es müsse vielmehr geprüft werden, ob bei exzessiv spielenden Patienten nicht eher der Sucht zugrundeliegende Probleme wie Depression oder soziale Angststörungen behandelt werden müssten.
Wo liegen Grenzen zwischen Spiel und Sucht?
Vladimir Poznyak vom WHO-Programm Suchtmittelmissbrauch sieht das ganz anders. „Es gibt klare Grenzen zwischen normalem Spielen und Spielsucht“, betonte er. Im ICD-11 werden drei Kriterien genannt: entgleitende Kontrolle etwa bei Häufigkeit und Dauer des Spielens, wachsende Priorität des Spielens vor anderen Aktivitäten und Weitermachen auch bei negativen Konsequenzen. „Spielsüchtig ist jemand, der Freunde und Familie vernachlässigt, der keinen normalen Schlafrhythmus mehr hat, sich wegen des ständigen Spielens schlecht ernährt oder sportliche Aktivitäten sausen lässt“, erläuterte Poznyak. Dem Spieler mache es auch keinen Spaß mehr, aber er komme nicht davon los. „Ein Teufelskreis. Es betrifft vor allem junge Menschen.“
Sehr wohl ein Problem heranwachsen sehen auch einige österreichische Fachleute, wenngleich - noch - kein zahlenmäßig großes. Valide aktuelle Daten, die das Problem Computerspielsucht fokussieren, fehlen aber noch. Mehr als drei Prozent der österreichischen Jugendlichen sind etwa laut Experten der Innsbrucker Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie generell „internetsüchtig“. Eine diesbezügliche Befragung unter Innsbrucker Schülern, die auf das Bundesgebiet übertragbar sei, ist im Jahr 2016 veröffentlicht worden.
Verfügbarkeit steigt, Betroffene werden immer jünger
„Das Problem (der Internetsucht, Anm.) ist im Steigen, weil die Verfügbarkeit des Internets steigt“, warnte auch Kurosch Yazdi, Leiter der Ambulanz für Spielsucht der pro mente OÖ in Linz, vor einem Jahr. Die Betroffenen würden immer jünger. Als die Ambulanz gegründet wurde, „kamen Studenten, jetzt sind die Jüngsten elf Jahre alt“. Das Angebot wurde um eine Gruppentherapie für Internetsüchtige ab 16 ausgeweitet. „Gefährlich wird es, wenn das Kind aggressiv reagiert, wenn man ihm das Spiel wegnimmt“, sagte die Psychotherapeutin Maria Mittermaier. Mädchen seien häufiger in sozialen Medien unterwegs, Buben würde großteils viel Zeit mit Internet-Spielen verbringen, „das ist weniger kompatibel mit dem normalen Leben“, meinte Yazdi.
„Problematisch, wenn Spieler stigmatisiert werden“
„Wir finden es problematisch, wenn das Spielen pathologisiert und die Spieler stigmatisiert werden“, sagte hingegen der Geschäftsführer des deutschen Verbands Game, Felix Falk. Der Verband deckt nach seinen Angaben mit rund 200 Mitgliedern wie Entwicklern und Grafikern mehr als 90 Prozent der deutschen Games-Branche ab. „Einige wenige Menschen spielen exzessiv, und das ist problematisch“, räumte er aber ein.
Da helfe der Elternratgeber der Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (USK), die unter anderem Altersfreigaben für Spiele macht. „Für Kinder und Jugendliche ist je nach Alter eine Begrenzung von 20 bis 120 Minuten am Tag sicher sinnvoll“, sagte Falk. Es gebe auch Hersteller, die selbst gegen exzessives Spielen vorgehen, indem etwa Figuren nach einer bestimmten Zeit ermüden und Aktionen sich automatisch verlangsamen oder mit fortschreitender Spielzeit immer weniger Belohnungen erspielt werden können.
In Österreich schätzen Experten, dass rund zwei Prozent der Bevölkerung einen problematischen Umgang mit Online-Spielen pflegen. Bei den 15- bis 18-Jährigen liege die Zahl der Betroffenen vermutlich sogar bei vier Prozent.
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