52,5% für Präsident
Erdogan kann seine Macht nun weiter ausbauen
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan kann seine Machtfülle nun weiter ausbauen: Der Amtsinhaber hält nach Auszählung von fast allen Stimmen bei den Wahlen in der Türkei - abgesehen jener der Auslandstürken - bei 52,6 Prozent. Sein wichtigster Gegenkandidat, der ehemalige Lehrer Muharrem Ince, der einen beachtlichen Wahlkampf hingelegt hatte, kommt demnach auf 30,7 Prozent. Damit bleibt Erdogan, der sich bereits zum Wahlsieger erklärt hat, eine Stichwahl erspart, denn in die wäre es nur gegangen, wenn keiner der Kandidaten auf über 50 Prozent gekommen wäre.
Erdogan erklärte sich auf Basis von „inoffiziellen Ergebnissen“ bereits bei einem Auszählungsstand von 95 Prozent zum Sieger der Präsidentenwahl. „Demnach hat unser Volk meiner Person den Auftrag der Präsidentschaft und der Regierung gegeben“, sagte Erdogan am Sonntagabend. 60 Millionen Menschen waren wahlbereichtigt, die Wahlbeteiligung lag laut der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu bei gut 87 Prozent.
Neuer Präsident nun Staats- und Regierungschef in einer Person
Mit den Wahlen wurde die Einführung des von Erdogan angestrebten Präsidialsystems - sein wichtigstes politisches Projekt - abgeschlossen. Der neue Präsident wird Staats- und Regierungschef und mit weitreichenden Vollmachten ausgestattet. Einen Ministerpräsidenten gibt es künftig nicht mehr.
Drittplatzierter trat aus dem Gefängnis heraus an
Laut dem fast vollständigen Ergebnis von Anadolu kam Ince von der CHP mit 30,7 Prozent auf den zweiten Platz, gefolgt von Selahattin Demirtas von der prokurdischen HDP mit 8,3 Prozent. Demirtas trat aus dem Gefängnis an, da er seit November 2016 in Haft sitzt. Die Nationalistin Meral Aksener von der IYI-Partei, der anfangs ernsthafte Chancen zugerechnet worden waren, landete mit 7,4 Prozent auf dem vierten Platz.
Proteste gegen Erdogans Wahlsieg
Ince und seine CHP hatten zuvor Zweifel an den Zahlen von Anadolu geäußert. Die von der Opposition betriebene Plattform Adil Secim, die auf der Grundlage eigener Quellen die Wahlergebnisse veröffentlichte, gelangte am frühen Morgen nach Öffnung von 97 Prozent der Wahlurnen aber zu ähnlichen Ergebnissen. Trotzdem versammelten sich vor der Parteizentrale der größten Oppositionspartei in Ankara zahlreiche Anhänger. Die Menge skandierte: „Wir werden gewinnen, indem wir Widerstand leisten!“ und „Recht, Justiz, Gerechtigkeit“. Nach Angaben der Plattform „dokuz8haber“ versammelten sich Oppositionelle auch vor den Bezirkswahlbehörden in den Istanbuler Stadtteilen Besiktas und Kadiköy, in Izmir kam es zu einem Sitzstreik. Ince rief seine Anhänger dazu auf, sich nicht provozieren zu lassen.
Solide Mehrheit für von Erdogans AKP geführtem Parteienbündnis
Bei der gleichzeitig stattfindenden Parlamentswahl kamen die AKP von Erdogan und deren Allianzpartner, die nationalistische MHP, zusammen auf 53,4 Prozent und werden damit eine klare Mehrheit von 342 der 600 Sitze haben. Dabei schnitt die MHP mit 11,2 Prozent überraschend stark ab, obwohl sich 2017 die IYI-Partei abgespalten hatte. Die Allianz der Nation aus CHP, deren Spitzenkandidat Ince war, IYI und der proislamischen Saadet kam auf 34,2 Prozent. Die HDP schaffte es mit 11,5 Prozent erneut über die Zehn-Prozent-Hürde ins Parlament.
Wahlbeobachter zum Bleiben aufgefordert
Ince hatte seine Anhänger nach Schließung der Wahllokale aufgerufen, sich nicht von zunächst oftmals hohen Teilergebnissen von Anadolu für Erdogan „in die Irre führen“ zu lassen. Experten bemängelten, dass dadurch Wahlbeobachter der Opposition bei der Auszählung der Stimmen entmutigt würden und womöglich frühzeitig nach Hause gingen. Ince forderte die Wahlbeobachter dazu auf, unbedingt bis zum Vorliegen der unterschriebenen Ergebnisprotokolle an den Urnen zu bleiben.
Oppositionspartei spricht von „offener Manipulation“
Zunächst veröffentlichte Ergebnisse, wonach Erdogan angeblich bei 60 Prozent gelegen hatte, bezeichnete die CHP als „Manipulation“. Nach den seiner Partei vorliegenden Teilergebnissen habe Erdogan zu keiner Zeit 48 Prozent der Stimmen überschritten, sagte CHP-Sprecher Bülent Tezcan am Sonntag vor Journalisten in Ankara. Das sei eine „ganz offene Manipulation“. Er rief die Bürger dazu auf, sich vor der Wahlkommission in Ankara zu versammeln, und dort bis zum Morgen auszuharren und Wache zu halten, damit es nicht zu weiteren Manipulationen kommen könne.
Der Sprecher gab sich überzeugt, dass es noch zu einer Stichwahl kommen werde: „Niemand soll sich zu früh freuen, niemand soll zu früh feiern“, sagte er am Sonntagabend. „Die Wahlen werden in die zweite Runde gehen.“
Berichte über Schläge, Drohungen und Angriffe
Im Laufe des Tages waren viele Unregelmäßigkeiten gemeldet worden. Laut CHP sollen Wahlbeobachter mit „Schlägen, Drohungen und Angriffen“ von den Urnen ferngehalten worden sein. In sozialen Medien wurden Bilder und Videos gepostet, die zeigen sollen, wie größere Mengen an ausgefüllten Stimmzetteln in Urnen geworfen und ausländische Kämpfer aus Syrien mit Bussen ohne Kennzeichen über die Grenze gebracht werden.
Mehr als 70 Prozent stimmten in Österreich für Erdogan
Die Auslandsstimmen - bei denen Erdogan besonders bei der größten Gruppe in Deutschland generell auf ein besseres Ergebnis als in der Türkei kommt - waren am Abend erst zu einem geringen Teil ausgezählt. Bei unseren Nachbarn lag Erdogan nach Auszählung von mehr als 13 Prozent der Stimmen bei 65,47 Prozent, Ince kam auf 22,26 Prozent. In Österreich kam Erdogan zwischenzeitlich in der Präsidentschaftswahl auf mehr als 72 Prozent.
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