Zehnfacher Mord

NSU-Prozess: Lebenslange Haft für Beate Zschäpe

Ausland
11.07.2018 13:49

Nach mehr als fünf Jahren Verhandlungsdauer hat das Oberlandesgericht München sein Urteil im NSU-Prozess gesprochen. Die Hauptangeklagte Beate Zschäpe wurde als Mittäterin an den zehn fremdenfeindlich motivierten Morden für schuldig befunden und zu lebenslanger Haft verurteilt. Das Gericht stellte auch die besondere Schwere der Schuld fest. Die Urteilsverkündung wurde von Protesten begleitet. Vertreter muslimischer Organisationen forderten eine weitere Aufarbeitung des NSU-Terrors, der in ihren Augen mehr Unterstützer hat als die vor Gericht gestellten.

Das Gericht folgte der Forderung der Staatsanwaltschaft - lediglich von einer Sicherungsverwahrung für die 43-Jährige sah der Richter ab. Obwohl der Hauptangeklagten nicht nachgewiesen werden konnte, dass sie an einem der zahlreichen Tatorte gewesen war, wurde Zschäpe eine maßgebliche Rolle bei der Tarnung des NSU-Trios zugeschrieben. Laut Anklage habe sie „alles gewusst, alles mitgetragen und auf ihre eigene Art mitgesteuert und mit bewirkt“.

Beate Zschäpe vor der Urteilsverkündung (Bild: APA/dpa/Peter Kneffel)
Beate Zschäpe vor der Urteilsverkündung
Beate Zschäpe vor der Urteilsverkündung (Bild: APA/AFP/MICHAELA REHLE)
Beate Zschäpe vor der Urteilsverkündung

Zwischen 2000 und 2007 hatte der Nationalsozialistische Untergrund - bestehend aus Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und eben Zschäpe - eine Blutspur durch Deutschland gezogen. Neun Menschen mit Migrationshintergrund und eine Polizistin wurden ermordet. Um die Taten und das Leben im Untergrund zu finanzieren, wurden mehrere Banken überfallen. Die Verteidiger sahen keine Mittäterschaft Zschäpes an den NSU-Morden. Sie bestritten während des langen und aufwendigen Indizienprozesses auch die Darstellung der Anklage, dass Zschäpe mit Mundlos und Böhnhardt die Terrorzelle gebildet habe.

Nach Auffassung der Verteidiger ist die 43-Jährige im Wesentlichen nur für eine Brandstiftung am letzten Versteck des Trios im November 2011 bestrafbar. Zudem gestand Zschäpe während des Prozesses, dass sie von den Banküberfällen und den Morden erfahren hatte - allerdings erst später. Daher forderten die Verteidiger eine Haftstrafe von maximal zehn Jahren. Da sie Revision einlegten, ist das Urteil noch nicht rechtskräftig.

Beate Zschäpe, Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos (Bild: APA/AFP/FRANK DOEBERT/OSTTHUERINGER ZEIT)
Beate Zschäpe, Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos

Schuldsprüche für alle anderen Mitangeklagten
Für die anderen Mitangeklagten gab es ebenfalls Schuldsprüche: Ralf Wohlleben muss als Waffenbeschaffer zehn Jahre hinter Gitter. Er wurde wegen Beihilfe zum Mord schuldig gesprochen.  Holger G. wurde zu drei Jahren Haft verurteilt. Er hatte zugegeben, dem NSU-Trio einmal eine Waffe übergeben und den Untergetauchten mit falschen Papieren geholfen zu haben. Andre E. muss zweieinhalb Jahre ins Gefängnis. Er wurde nur der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung schuldig gesprochen, nicht aber der Beihilfe zum versuchten Mord.

Beate Zschäpe berät sich mit ihrem Anwalt Mathias Grasel. (Bild: APA/AFP/POOL/MICHAELA REHLE)
Beate Zschäpe berät sich mit ihrem Anwalt Mathias Grasel.

Weitere Aufarbeitung des NSU-Terrors gefordert
Vertreter muslimischer Organisationen hatten unmittelbar vor der Urteilsverkündung eine weitere Aufarbeitung des NSU-Terrors gefordert. „Man spricht nach wie vor von einem Trio, obwohl man aus Zeugenbefragungen weiß, dass es mittelbar oder unmittelbar Unterstützer gegeben hat“, sagte der Generalsekretär des Islamrates für die Bundesrepublik Deutschland, Murat Gümüs. Auch ob und in welcher Weise der deutsche Inlandsgeheimdienst involviert gewesen sein könnte, sei offen geblieben. Hinterbliebene fragten, wieso gerade ihre Angehörigen Opfer wurden. Ähnlich äußerte sich auch der Zentralrat der Muslime in Deutschland. Die mangelnde Aufklärung sei ein „Versäumnis“ und „eine große Belastung für die Familienangehörigen der Opfer und den gesellschaftlichen Frieden in Deutschland“.

„Wie viel Staat steckt im NSU?“ Diese Frage wurde laut diesen Demonstranten während des Prozesses nicht beantwortet. (Bild: APA/AFP/GUENTER SCHIFFMANN)
„Wie viel Staat steckt im NSU?“ Diese Frage wurde laut diesen Demonstranten während des Prozesses nicht beantwortet.
Demonstranten mit Bildern der NSU-Opfer (Bild: APA/dpa/Tobias Hase)
Demonstranten mit Bildern der NSU-Opfer

„Wie viel Staat steckt im NSU?“: Protest in München
Die Urteilsverkündung war von großem Publikumsinteresse und Demonstrationen begleitet. Demonstranten hielten Transparente mit Aufschriften wie „Wie viel Staat steckt im NSU?“ hoch. Rund um das Gericht gab es strenge Sicherheitsvorkehrungen. Vor dem Gericht hatte sich eine lange Zuschauerschlange gebildet. Gegen sieben Uhr am Mittwoch in der Früh warteten bereits rund 150 Menschen auf dem Vorplatz des Gerichts, einige waren bereits seit dem späten Dienstagabend dort. In den Saal durften nur 50 Zuschauer hinein.

Auch Politiker aller Parteien forderten nach dem Urteil eine weitere Aufklärung der Hintergründe der Mordserie. Das Urteil dürfe „kein Schlusspunkt“ sein, sagte Innenminister Horst Seehofer. „Das Engagement und der Aufklärungswille der Behörden dürfen nicht nachlassen“, forderte die SPD-Vizefraktionschefin Eva Högl. Bundestagsvizepräsidentin Petra Paul (Linke) kritisierte, dass das Gericht in seinem Urteil das Umfeld des NSU-Trios „ausgeblendet“ habe. Die Sicherheitsbehörden hätten die parlamentarische Aufklärung der Mordserie „be- und verhindert“. „Die Aufklärung des NSU-Terrors muss auch nach Abschluss des Gerichtsverfahrens unbedingt fortgesetzt werden“, verlangten die Grünen-Politikerinnen Irene Mihalic und Monika Lazar.

Türkische Regierung fordert weitere Ermittlungen
Die türkische Regierung bezeichnete das Urteil als „nicht zufriedenstellend“. Man habe die Strafen „zur Kenntnis genommen“, doch habe das Urteil „bedauerlicherweise“ nicht den gesamten Hintergrund der NSU-Mordserie aufgeklärt, teilte das Außenministerium in Ankara mit. Mögliche Verbindungen der NSU-Täter zu einem „Staat im Staate“ und zum Geheimdienst seien nicht aufgeklärt, die „wahren Schuldigen“ seien nicht gefunden worden. Außenminister Mevlüt Cavusoglu forderte weitere Ermittlungen.

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