„Krone“ traf Bewohner
Lampedusa: „Wir wollen unser altes Leben zurück!“
Einst war Lampedusa ein Ferienparadies. Mit der Flüchtlingskrise 2011 wurde es zu einem Synonym für Elend und Tod. Jetzt wollen die Inselbewohner ihr altes Leben zurück. Doch der Weg dahin ist schwer.
Paco Mendez sitzt in einem Café im Hafen von Lampedusa, trinkt Cappuccino, raucht eine Zigarette. „Von hier aus“, sagt er, „habe ich den besten Blick.“ Auf das Meer, den Himmel: „Ich sehe, wenn Urlauber ankommen.“ Mit Fähren, mit Flugzeugen: „Und Gott sei gedankt, es werden wieder mehr...“ 59 Jahre ist Paco alt, er stammt aus Palermo, 1987 machte er auf der Insel Ferien: „Ich habe mich damals in dieses Stück Land verliebt.“ Wo jeder jeden kennt und jedem hilft: „Das gefiel mir, darum bin ich geblieben.“ Er jobbte zunächst als Kellner, "bald besaß ich ein Restaurant, später baute ich noch eine kleine Appartementanlage“.
„Viele von uns sind verarmt“
Touristen sind für Paco also sehr wichtig. Für alle Lampedusiani: „Denn der Fremdenverkehr ist, neben der Fischerei, unsere einzige Einnahmequelle.“ Die Insel zwischen Afrika und Sizilien, 20 Quadratkilonmter groß, 6500 Einwohner. Steinig der Boden, kaum Vegetation. Aber das Wasser ist glasklar, und der Sand in den Buchten so weiß wie in der Karibik. Der Spaggia del Conigli - der „Kaninchenstrand“- gilt als der zweitschönste Europas. „In den vergangenen Jahren“, klagt Paco, „sind viele von uns verarmt.“ Ausländische Kutter werfen auf hoher See riesige Netze aus, „sie nehmen sogar Baby-Krabben auf“. Und die Urlauber blieben aus, mit Ausbruch des „Arabischen Frühlings“.
Hunderte Flüchtlinge sind seit 2011 vor der Insel ertrunken, für Zigtausende war sie die erste Station in Europa. Es gab Zeiten, in denen hier mehr Asylwerber als Lampedusiani lebten. „Wir haben“, erzählt Sabina, Inhaberin eines Obstladens, „den Fremden Essen und Kleidung gegeben, wir ließen sie in unseren Wohnungen schlafen, wenn das Aufnahmezentrum wieder einmal überfüllt war.“ Giusi Nicolini, die einstige Bürgermeisterin, „hatte uns gebeten, der Humanität eine Chance zu geben“. Friedenspreise wurden der Politikerin verliehen, der Papst überschüttete sie mit Lob, 2016 war sie bei Ex-US-Präsident Barack Obama eingeladen. „Letztlich“, so Sabina, „führte uns ihr Kurs ins Chaos." In die Anarchie, in die Not.
„Plötzlich herrschten bei uns neue Gesetze“
Die Jungen wanderten ab, Lokale, Hotels, Shops gingen in Konkurs, die Kriminalitätsrate stieg dramatisch an. Auch Paco nahm Asylwerber bei sich auf: „Geschundene, schwer traumatisierte Menschen. Sie taten mir unendlich leid.“ Aber er berichtet auch von „schrecklichen Dingen“, die ihm Flüchtlinge angetan hätten: „Als ich mich mit meiner Familie in Rom befand, weil eines meiner Kinder am Herzen operiert werden musste, brachen sie in mein Haus ein, verwüsteten es und stahlen aus dem Tresor 10.000 Euro.“ Eine Entschädigung bekam er nicht, weder vom Staat noch von seiner Versicherung: „Es hieß, ich hätte meinen Besitz mit Alarmanlagen absichern sollen. Aber wer hat so etwas schon auf Lampedusa?“ Wo lange niemand daran gewöhnt war, seine Türen zu verschließen.
„Plötzlich herrschten bei uns eben neue Gesetze, phasenweise durften meine drei Töchter nur noch in meiner Begleitung nach draußen.“ Pacos Frau ist gebürtige Tunesierin, „sie versteht Arabisch und hörte, wenn Männer sich voreinander mit Straftaten, die sie in ihren Heimatländern begangen hatten, brüsteten“. Dem kollektiven Mitleid folgte schließlich ein Gefühl der Ausweglosigkeit - und der Wut. 2017 wurde Giusi Nicolini abgewählt, der jetzige Bürgermeister gewann sein Amt mit dem Slogan: „Wir zuerst.“
Weiterhin kommen Flüchtlinge nach Lampedusa. Auf neuen Wegen. Sie meiden Libyen, investieren nicht mehr in Schlepper, kaufen selbst Boote. Fahren, bei ruhiger See, vom 140 Kilometer Kilometer entfernten Tunesien los. In der vergangenen Woche waren es etwa 40. Die Hafenpolizei nahm ihre Personalien auf und brachte sie dann in das Auffanglager. Afrikaner sind auf den Straßen kaum noch zu sehen. Wenn doch, gehören sie zu den wenigen, die hier bereits vor Jahren eine neue Heimat gefunden haben. Wie Cura, eine junge Senegalesin. 2013 suchten sie und ihr Mann auf der Insel um Asyl an. Er ist nun Hafenarbeiter, sie bastelt Modeschmuck. Für die vielen Touristen, die - das hat ihr Paco versprochen - bald wieder auf der Insel sein werden.
Martina Prewein, Kronen Zeitung
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