47 Menschen gerettet

Held von Lampedusa: „Ich hörte ihre Todesschreie“

Ausland
15.07.2018 06:00

Er gilt als der Held von Lampedusa: Vito Fiorino. Als im Oktober 2013 vor der Insel ein Schlepperschiff sank, rettete er 47 Menschen vor dem Ertrinken. Die Tragödie, bei der 390 Afrikaner starben, hat an dem 69-Jährigen tiefe seelische Wunden hinterlassen.

Es war der 3. Oktober 2013, als vor Lampedusa eine Flüchtlingstragödie unfassbaren Ausmaßes geschah. Ein marodes Schlepper-Schiff, gestartet in Libyen, mit 545 Afrikanern - hauptsächlich aus Somalia und Eritrea - an Bord, sank einen halben Kilometer vor der Küste. 390 Menschen, darunter viele Frauen und Kinder, ertranken, 155 überlebten. 47 davon hat ein Inselbewohner gerettet: Vito Fiorino.

Bereits als junger Mann kam er auf Lampedusa, um hier als Fischer zu arbeiten, „später eröffnete ich einen kleinen Eissalon“. Bis zu dem Drama, sagt der 69-Jährige, sei sein Leben „friedlich, ohne besondere Aufregungen“ verlaufen, „meine Frau und ich zogen zwei Söhne und eine Tochter groß, ich verdiente nie viel Geld, aber genug, um meine Familie zu ernähren. Ich bin immer glücklich gewesen.“

Video: Flüchtlingstragödie vor Lampedusa

Sie hatten entsetzliche Schmerzen“
Und dann diese Nacht, der Sommer fast vorbei, doch die Lauft lau und die See ruhig. Deshalb beschloss Vito, mit seinem Boot in eine Bucht zu fahren, um dort auf den Sonnenaufgang zu warten. „Um etwa 5 Uhr morgens, es war noch stockdunkel, hörte ich plötzlich draußen, vom Meer, diese fürchterlichen Schreie: ,Help, help!‘“ Vito alarmierte per Handy die Hafenpolizei, startete den Motor, nach ein paar Minuten Fahrt „sah ich in das Grauen“. Überall Menschen, „junge, alte, sogar Babys“, nackt.

Vito Fiorino: „Ich habe seit dem Drama meine Unbeschwertheit verloren.“ (Bild: Schiel Andreas)
Vito Fiorino: „Ich habe seit dem Drama meine Unbeschwertheit verloren.“

Bevor ihr Kutter gesunken war, soll der Kapitän ein Feuer entzündet und in der Folge der Tank explodiert sein. Die Haut der Flüchtlinge: voll Wunden, verbrannt. “Sie hatten entsetzliche Schmerzen und kaum noch Kraft, sich über Wasser zu halten: ,Take the children‘ - ,Nimm die Kinder‘ - riefen sie mir zu...“, schildert Vito. „Ich warf Schwimmreifen aufs Meer, zog mit Seilen Menschen an Bord, mehr und mehr, doch irgendwann war mein Boot voll und ich musste die Insel ansteuern.“

Nachdem er etwa 25 Flüchtlinge an Land gebracht hatte, fuhr er abermals zu dem Unglücksort - um zu helfen: „Die meisten der Opfer waren bereits untergegangen. Und erst jetzt trudelte die Küstenwache ein."

Dieses Bild ging um die Welt: Es zeigt die Särge der Ertrunkenen. (Bild: EPA)
Dieses Bild ging um die Welt: Es zeigt die Särge der Ertrunkenen.

„Ich wollte noch mehr Menschen retten“ 
Die Beamten hätten ihn bei seiner zweiten Landung im Hafen an einer weiteren Ausfahrt gehindert: „Das werde ich ihnen nie verzeihen, denn ich hätte wahrscheinlich noch ein paar Menschen vor dem Tod retten können.“ Diesen Satz hat Vito schon Hunderte Male gesagt, bei Fernsehauftritten und in Zeitungsinterviews. Zahlreiche Dokus wurden bereits über die Flüchtlingstragödie vom Oktober 2013 gedreht, mit ihm als Protagonisten. Aktuell befindet sich ein Kamerateam aus Südkorea auf der Insel.

Vito, was hat sich in Ihnen durch das Drama verändert? „Meine Unbeschwertheit ist verschwunden, ich bin trauriger geworden. Denn es ist schwierig zu vergessen - die verzweifelten Blicke der Menschen im Wasser, ihr Wimmern, ihre Angst.“

„Ich bin noch mit vielen von ihnen in Kontakt“ 
Mit vielen der von ihm Geretteten ist er bis heute in Kontakt: „Vor Kurzem habe ich einen von ihnen, einen jungen Mann aus Eritrea, in seiner neuen Heimat - Schweden - besucht. Er hat mittlerweile einen Job als Maler und Anstreicher und ein nett eingerichtetes Zimmer in einer Wohngemeinschaft, es geht ihm gut.“ Und die anderen? „Die meisten haben es geschafft, in Europa Fuß zu fassen. Einige leben im Untergrund und gehen unsauberen Geschäften nach.“ Vitos Meinung zur Flüchtlingsproblematik? „Mir ist klar, dass wir nicht unendlich Zuwanderer aufnehmen können. Aber ihnen den Weg zu uns zu verschließen, halte ich auch nicht für richtig.“ Seine Lösung? „Wie soll ich eine wissen, wenn selbst Politiker keine finden?“

Der 69-Jährige mit einem der Geretteten, in seiner neuen Heimat Schweden. (Bild: Privat)
Der 69-Jährige mit einem der Geretteten, in seiner neuen Heimat Schweden.

„In ein paar Jahren wird die Insel nicht wiederzuerkennen sein.“
Während Vito den Morgen des 3. Oktober 2013 verarbeitet, will der neue Bürgermeister von Lampedusa, Salvatore Martello, aus dem ehemaligen Flüchtlings-Hotspot eine Trauminsel machen. Salvatore Martello sitzt an seinem wuchtigen Schreibtisch im Rathaus von Lampedusa, zündet sich eine Zigarre an und sagt dann mit ruhiger Stimme: „In ein paar Jahren wird die Insel nicht wiederzuerkennen sein.“

Salvatore Martello wünscht sich breite Strände, Orangenplantagen, Elektroautos und Solaranlagen. (Bild: Schiel Andreas)
Salvatore Martello wünscht sich breite Strände, Orangenplantagen, Elektroautos und Solaranlagen.
(Bild: Privat)

Im Eiltempo will der ehemalige Fischer verfallene Häuser restaurieren lassen. Die weißsandigen Strände sollen erweitert und aus Sizilien Hunderttausende Tonnen Erde angeliefert werden, „um sie auf dem felsigen Boden zu verschütten und darauf Orangen und Tomaten anzubauen. Bald dürfen nur noch Elektroautos hier fahren, mit Strom aus eigenen Solaranlagen. Ja, ich möchte die Insel zu einem Paradies machen. Für die Bewohner - und für Urlauber.“ Die Umsetzung der Pläne dürfte Milliarden kosten. Martello: „Die italienische Regierung hat Zuschüsse versprochen, und es gibt auch bereits private Investoren.“

Die Insel jetzt: Urlauber bleiben derzeit eher aus. (Bild: Schiel Andreas)
Die Insel jetzt: Urlauber bleiben derzeit eher aus.

Am vergangenen Freitag befand sich abermals ein Kutter aus Libyen mit 450 Menschen an Bord vor Lampedusa. Die italienische Regierung ließ das Boot nicht im Hafen einlaufen. Die Flüchtlinge wurden von Schiffen der Frontex und der Küstenwache aufgenommen.

Noch immer ankern Flüchtlingsboote im Hafen. (Bild: Schiel Andreas)
Noch immer ankern Flüchtlingsboote im Hafen.

 Martina Prewein, Kronen Zeitung

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