Seit mehr als 50 Jahren begeistern die britischen Hard Rocker Ten Years After ihr Publikum mit bluesdurchtränktem Rock‘n‘Roll. Obwohl die Band schon mehrmals knapp vor dem Exotus stand, hat sie sich immer aufgerappelt und weitergemacht. Drummer Ric Lee erzählt uns im ausführlichen Gespräch nicht nur über Woodstock und sein neues Buch, sondern auch über das fortschreitende Alter und weshalb ihn die Droge Musik nicht loslassen will. Live zu sehen sind Ten Years After am 10. August beim Picture On Festival im burgenländischen Bildein.
Mitte August 2019 wird sich das kultigste Festival der Musikgeschichte zum 50. Mal jähren. Woodstock, ausgetragen nicht dort, sondern in der Kleinstadt Bethel in New York, vereint wie nichts anderes in der Populärmusik Tränen und Tragödien, Triumphe und Erfolge, Drogen und freie Liebe, Kapitalismuskritik und Chaos, Mythen und Legenden. Für Bands und Künstler wie Gitarrengott Jimi Hendrix, Reibeisenstimme Joe Cocker oder die frühfeministische Rock-Ikone Janis Joplin war es der Beginn für mehr oder weniger lang andauernde Weltkarrieren. Für Rocker wie Canned Head oder die Briten von Ten Years After gibt es trotz Teilnehme am wohl wichtigsten Get-Together der Rockgeschichte nur Platz in den Fußnoten des großen Stromgitarrenzirkus.
Sie sind die unbesungenen Helden, die aus verschiedensten Gründen kein Kapital aus ihren Auftritten schlagen konnten. Im Fall von Ten Years After lag es schlichtweg am Pech. Aufgrund der hohen Luftfeuchtigkeit verstimmten sich die Instrumente, die Soundaufnahmen gingen in die Binsen und das Kamerateam hielt nur eine energische Version des letzten Songs „I’m Going Home“ fest - dabei spielten Leo Lyons, Alvin Lee, der nicht mit ihm verwandte Ric Lee und Co. damals den Gig ihres Lebens.
Prägend fürs Leben
„Der Auftritt ist natürlich ein zweischneidiges Schwert“, erklärt uns Drummer Ric Lee bei einem Glas Rotwein mit sanftmütigem Erinnerungsvermögen, „das Event wurde zur Legende und wir sind ein Teil davon. Insofern ist es natürlich das Beste, das uns passieren konnte, auch wenn ich seit 49 Jahren kein Interview ohne dieses Thema geben kann.“ Wie sehr Woodstock das Leben von Lee prägt, wird mitunter in seiner in wenigen Wochen auf Englisch erscheinenden Biografie „From Headstocks To Woodstock“ deutlich - obwohl Ten Years After auf eine mehr als 50-jährige Karriere zurückblicken, endet seine Erzählstrang bereits 1969.
„Es geht von meiner Kindheit in Mansfield bis hin zu Woodstock. Im Buch kommen auch alte Weggefährten von The Who oder Led Zeppelin zu Wort. Bis dorthin passierte eben der wichtigste und auch prägendste Teil meines Lebens. Danach ging die Band in die Brüche, rappelte sich wieder auf und fand zusammen, aber die meiste Zeit geschahen für ein Buch viel zu langweilige Dinge. Es zu lesen soll Spaß machen - ich will weder alte Gräben aufbrechen, noch fadisieren.“ Dabei steckt die Historie von Ten Years After voller Höhen, Tiefen und Dramen, wie sie nur der Rock’n’Roll schreiben kann.
Nachdem die Kernband Anfang der 70er-Jahre mit famosen und immer kommerzieller ausgerichteten Alben wie „Cricklewood Green“, „A Space In Time“ oder „Rock & Roll Music To The World“ Charts, Festivalbühnen und Fanherzen eroberte, zerschellte die nur nach außen hin feine Bandbeziehung 1974. Mit Ausnahme der sensationellen Teilnahme am „Reading Festival“ 1983, ein Aufeinandertreffen alter Woodstock-Ikonen, war 14 Jahre Funkstille - erst 1988 fanden sich die Lees, Lyons und Keyboarder Chick Churchill wieder zusammen. Viel zu spät, um mit Blues-orientiertem Rock noch eine lukrative Karriere hinlegen zu können.
Großes Missverständnis
„Das mit dem Blues war eigentlich immer ein großes Missverständnis, vielleicht das größte nach unserem Woodstock-Pech“, lacht Lee, zeigt sich dabei aber keinesfalls wehmütig, „Chick und ich kommen aus dem Jazz, wir haben nicht einfach nur Blues gespielt. Wir waren vielleicht nie so abgedreht wie Robert Fripp mit seinen King Crimson, aber uns Eindimensionalität vorzuwerfen, war schon immer falsch. Ich freue mich jedenfalls, wenn das Leuten heute noch auffällt und sie offensichtlich für uns eintreten und diese Klassifizierung ebenso als nicht richtig abtun.“ Ab den 90er-Jahren konzentrierten sich Ten Years After auf das Verwalten ihrer Legende. Das 1989er-Album „About Time“ war kein großer Erfolg, die Liveshows aber immer noch gut besucht. Die stets gut eingespielte Band zeigte sich auch im fortgeschrittenen Alter in Topform und hatte mit Alvin Lee einen souveränen Frontmann, der sich 2003 in den Bandruhestand begab.
Von 2003 bis 2014 wurde er vom jungen Joe Gooch ersetzt, der aber in besagtem Jahr mit Leo Lyons das Weite suchte und mit Hundred Seventy Split eine eigene, stärker dem traditionellen Blues zugewandte Band ins Leben rief. Ric Lee und Chick Churchill standen kurz vor ihrem 70er vor den Trümmern ihrer Karriere, auch wenn man im alten Freund Colin Hodgkinson schnell einen Bassisten fand - wer sollte die Rolle des Frontmanns übernehmen? Macht es überhaupt noch Sinn, im verdienten Pensionsalter mit Ten Years After durch die Weltgeschichte zu tingeln? Für Ric Lee war das langjährige Karrierekapitel eigentlich schon beschlossen.
„Ich wollte nicht mehr, aber Chick war total motiviert und hat mich überredet, es noch einmal zu versuchen. Er meinte, wir hätten noch ein paar gute Jahre und es wäre schade, so abzutreten.“ Die Sängersuche nahm einiges an Zeit an Anspruch, mit dem nicht einmal halb so alten Marcus Bonfati, einem Vollblutmusiker aus London, wurde man sich schließlich einig. „Ein Bekannter von mir, der beim renommierten ,Blues Matters‘-Magazin schreibt, gab mir eine Liste mit Telefonnummern. Ich ackerte mich durch, aber keiner konnte die von uns gewünschte Mischung aus Sänger, Gitarrist und Bühnenpersönlichkeit erfüllen. Ein Freund aus der PR-Branche gab mir dann den Hinweis zu Marcus.“
Frischzellenkur
Lee sah ihn sich bei einer Show in einem Pub an, ließ sich zwei Demos zusenden und ihn vorspielen - bei der Band machte sich kollektive Begeisterung breit. „Vor der zweiten Probe baten wir ihn, im Stage-Outfit zu kommen, weil wir ein Fotoshooting machen würden. Erst dann fiel mir auf, dass ich ihm bis dorthin eigentlich gar nie sagte, dass er fix in der Band wäre - das habe ich in meiner Euphorie tatsächlich vergessen.“ Mit dem agilen und ungemein charismatischen Bonfati veröffentlichten Ten Years After 2017 ein völlig überraschendes Studioalbum namens „A Sting In The Tale“, das so frisch und aktiv wie kein anderes in den letzten 40 Jahren der Band klang.
„Wir haben 2008 bekanntlich das Album ,Evolution‘ veröffentlicht, das nicht nur unsere Fans nicht mögen, sondern auch für mich ein Fauxpas war. Es war mir einfach wichtig, das wieder gutzumachen. Die Booker sagten mir teilweise, wir würden wegen ,Evolution‘ keine Konzertangebote mehr kriegen, weil viele entsetzt darüber gewesen wären. Da es ohnehin kaum mehr Rockradios gibt, sind Liveauftritte für uns das Allerwichtigste. Das ist nun Gottseidank wieder im Lot.“ Mit Bonfanti funktioniert auch das Zwischenmenschliche. „Das Alter spielt keine Rolle. Am Wichtigsten ist, dass er nicht wie Joe Gooch klingt. Keiner will eine Kopie sehen, weder Fan, noch Bandmitglieder. Dadurch, dass Marcus so auf Muddy Waters, John Lee Hooker oder Led Zeppelin steht, ist er Alvin Lee auf natürliche Weise sehr nahe, ohne ihn nachzuahmen.“
Den Sänger weggerechnet, bringt das Trio insgesamt 222 Lebensjahre auf die Bühne. Da verwundert es nicht, wenn es nicht mehr immer so rund läuft. Churchill musste sich schon im Herbst 2017 einer Herz-Operation unterziehen und erlitt diesen Mai einen leichten Rückfall. Nach einigen Konzerten als Trio steht die Band mittlerweile aber wieder in Vollbesetzung auf der Bühne. „Ein Ersatzmann war nie ein Thema, dafür müsste zu viel eingeprobt werden. Außerdem sind wir ein gutes Team.“ Lee hält sich mit High-Intensity-Training fit und versucht die Rock-typischen Backstage-Exzesse mittlerweile auf ein Minimum zu senken - was ihm oft nur mäßig gelingt, wie er launisch anmerkt. „Wir trinken viel zu viel Bier und Rotwein und könnten definitiv gesünder leben. Aber uns geht es gut, das ist das Wichtigste.“
Gesundheitsfördernd
Vollblutmusiker Lee setzt zudem auf lebenslanges Lernen - bei ihm mehr wollen als müssen. „Sieh mal, das einzige, das ich wirklich bereue ist, dass ich als Teenager von meinem Schlagzeuglehrer nicht den Rat angenommen habe, Piano zu lernen. Das hätte mir im Musik- und Rhythmusverständnis geholfen, aber ich hatte keine Lust. Heute habe ich Lust und mühe mich damit ab“, lacht der 72-Jährige, „zudem habe ich mit 65 begonnen, Gitarre zu spielen. Ich leide an Arthritis und das ist die beste Fingerübung, um fit und gelenkig zu bleiben. Neben dem Spaß ist nicht außer Acht zu lassen, dass man sich als Musiker ungemein weiterentwickelt, wenn man über den Tellerrand blickt.“
Stillstand ist für Lee ein Fremdwort. „Ich wollte nie der Typ sein, der den ganzen Tag in einem Sessel mit Armlehnen sitzt und dämlich auf den Fernseher glotzt, nur weil er seinen 70er überschritten hat. Ich gebe zweimal die Woche jungen Leuten Schlagzeugstunden und lerne dabei selber viel dazu. Unlängst hat mir ein Typ in einem Musikgeschäft in Kanada etwas Elektronisches vorgespielt und ich bin spontan dazu eingestiegen, habe das aber nicht gut hingekriegt. So etwas macht mich fertig. Das muss ich dann gleich noch einmal probieren.“ Ein Ehrgeiz, der Ric Lee und Ten Years After auch noch weitere Jahre um die Welt führen wird - solange es die Gesundheit zulässt.
Live beim Picture On
Ein Wiedersehen gibt es am 10. August beim kultigen Picture On Festival im burgenländischen Bildein, wo die Oldies die Bühne mit u.a. Sepultura, Lagwagon und Voodoo Jürgens teilen werden. Eine Mischung, die ganz nach dem Geschmack des vielseitigen und juvenilen Schlagzeugers sein dürfte. Das Festival ist allerdings bereits restlos ausverkauft.
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