Plagen Sie scheinbar grundlos Beschwerden wie Angstgefühle, Grübeleien und mangelndes Selbstwertgefühl? Stoßen Sie Ihre Umgebung immer wieder vor den Kopf, weil Sie ein großes Bedürfnis danach verspüren, oft und viel allein zu sein? Sind Sie sehr lärmempfindlich, permanent gestresst und schätzen Sie es, „Ihre Ruhe“ zu haben? Dann könnten Sie hochsensibel sein.
Das Phänomen der Hochsensibilität wurde erstmals von Elaine N. Aron beschrieben. Die Psychotherapeutin hat auch einen Hochsensibilitäts-Test entwickelt, der in der Psychologie hinsichtlich der empirischen Erfassung der Hochsensibilität Verwendung findet.
Der Begriff HSP („Highly Sensitive Person“) leitet sich aus dem Englischen ab und bedeutet in etwa „Hochsensible Person“. „Ich bin anders als die anderen“ oder „Ich fühle mich falsch“ sind Sätze, die man oft von Betroffenen hört. Schätzungen gehen davon aus, dass weltweit ca. 15 bis 20 Prozent der Menschen diese besondere Disposition besitzen, sich „anders“ fühlen als der Bevölkerungsdurchschnitt und sich in der Minderheit erleben, so Aron.
„Du bist so ein Sensibelchen!“
Kopfweh, intensive Träume, Augen-, Hals- oder Magenbeschwerden: Wenn Sie immer wieder mit körperlichen Wehwehchen kämpfen, Ihren Leiden aber keine organischen Ursachen zugrunde liegen, kann eine Hochsensibilität vorliegen. Auch Antriebslosigkeit, Schamgefühle, Mutlosigkeit, ein komplexes Innenleben und viele weitere seelische Probleme lassen auf diese Diagnose schließen. Obendrein erleben Betroffene Ihre Umwelt anders als Normalsensible - nämlich sehr viel intensiver.
„Sei doch nicht so empfindlich!“
Alltag im Büro: Der Kollege wippt unablässig mit dem Fuß auf und ab, der Sitznachbar kaut lauthals Kaugummi, das Radio dudelt vor sich hin, ein Windstoß fegt durch den Raum und erzeugt Zugluft: Was andere Menschen gar nicht bemerken oder mit einem Augenzucken abtun, kann Hochsensible sprichwörtlich den letzten Nerv kosten. Verantwortlich dafür sind eine viel feinere Wahrnehmung für die Umwelt, eine höhere Lärmempfindlichkeit und sehr sensible Antennen für emotionale Stimmungen.
Mehr riechen, schmecken und fühlen
Suzann Kirschner-Brouns und Cordula Roemer, Autorinnen des GU-Ratgebers „Hochsensibel“: „Hochsensible Menschen besitzen ein ,durchlässigeres‘ Nervensystem als Normalsensible. Das heißt, dass sie komplexer und tiefgründiger verarbeiten als Normalsensible. Der Alltag eines hochsensiblen Menschen ist davon geprägt, dass er mehr sieht, riecht, hört, schmeckt und fühlt als ein Normalsensibler. Auch Stimmungen und Veränderungen, die sozusagen ,in der Luft liegen‘, in der Umgebung und im Körperinneren, werden rasch und intensiv wahrgenommen.“
Diese mannigfaltigen Empfindungen können es hochsensiblen Menschen lange versagen, ein glückliches, erfülltes Leben zu führen: Sie grenzen sich ab, gehen keine - oder stets nur kurze - Beziehungen ein und fragen sich, was mit ihnen bloß „verkehrt“ ist. Oder aber sie finden ihren Platz im Leben partout nicht, da sie sich von Stimmungen anderer Menschen zu stark beeinflussen lassen - und so den Draht zu sich selbst verlieren.
Hochsensibilität hat viele Gesichter
Hochsensible verfügen oft über eine ausgeprägte sensorische Empfindsamkeit auf allen Sinnesebenen, so Suzann Kirschner-Brouns und Cordula Roemer. Sie hadern mit Lärm, intensiven Gerüchen oder kratzenden Stoffen auf der Haut. Auch scheinen sie Gefühle geradezu zu „erschnuppern“ und verblüffen Mitmenschen oft mit einer erstaunlich genauen „Diagnose“ ihres Gefühlszustandes.
Auch ihren eigenen Körper beobachten sie genau, fühlen Veränderungen intensiver und leiden etwa unter Temperaturschwankungen. Sehr häufig auch sind sie perfektionistisch veranlagt, schreckhaft und etwas naiv, eher Einzelgänger und harmoniebedürftig. Doch trifft dies natürlich nicht auf alle Hochsensible zu.
„Jetzt stell dich nicht so an!“
Da viele Wahrnehmungsprozesse bei Hochsensiblen feiner ablaufen, sie auf Medikamente, Alkohol und Hungergefühle oft stark reagieren und schmerzempfindlicher sind, haben sie oft die Rolle des „Sensibelchens“ inne. Im Gegensatz dazu sind sie als empathische Zuhörer bekannt, streben nach Harmonie, Wahrheit und Gleichberechtigung. Filme, Musik oder Kunst berühren sie sehr.
Die permanente Reizüberflutung kann dazu führen, dass Hochsensible ein stark ausgeprägtes Verlangen nach Rückzug, Regeneration und Ruhe entwickeln, das Außenstehende irritiert. Manche isolieren sich, sagen immer wieder Einladungen ab, verschieben oft Termine und nutzen die Freizeit, um sich zu erholen.
„Ich weiß mir zu helfen!“
Damit Ihnen nicht alles zu viel wird, haben wir einige Tipps für Sie gesammelt, die Sie auch im Akutfall anwenden können.
Hören Sie auf Ihre innere Stimme
Kirschner-Brouns: „Das Wichtigste bei der Entdeckung und Integration der eigenen Hochsensibilität ist, dass Sie immer genauer erkennen und fühlen können, wer Sie sind, was Ihnen guttut und womit Sie sich (wieder) wohlfühlen.“ Denn (nicht nur) in Ausnahmesituationen können „schüchterne und introvertierte Hochsensible mühelos über sich hinauswachsen, etwa wenn sie ihren eruf lieben, von einer Sache überzeugt oder einfach nur glücklich sind. Dann wagen und schaffen sie Dinge, die sie normalerweise nie tun wüden und der Rollenwechsel macht ihnen nicht das Geringste aus“, so Beate Felten-Leidel in „Von wegen Mimose“.
„Sei doch nicht so schüchtern!“
Hochsensibilität ist keine Krankheit. Haben Sie den Verdacht, hochsensibel zu sein, stehen Ärzte, Therapeuten, Coaches, Psychiater und gedruckte Ratgeber bereit, Sie zu unterstützen.
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