Über Nacht zum „Jedermann“! Das war für Philipp Hochmair (44) wie die Notlandung mit einem Airbus. Im Gespräch mit Conny Bischofberger zeigt der neue Star der Salzburger Festspiele Haut, Herz und Haltung.
Freitagnachmittag, Foto-Shooting auf der Festspielterrasse: Das weiße Hemd offen bis zum Bauchnabel, auf der glatt rasierten Brust zwei Kruzifixe. Lustvoll posiert Philipp Hochmair, einen Tag nach seiner umjubelten Premiere als „Ersatz-Jedermann“, im Salzburger Schnürlregen. „Ist doch schön, wenn nach der Hitze das Leben zurückkehrt!“, findet er, blickt hinüber zum Dom, rauft sich für den „Krone“-Fotografen die Haare, wirft die Hände in die Luft und ballt die Hand mit dem Totenkopf-Ring zur Faust. Wenig später sitzt er mir gegenüber, lauscht den Regentropfen und den Fragen, um dann zu philosophieren und zu rezitieren. Weil Tobias Moretti an einer Lungenentzündung erkrankt ist, hat der aus den „Vorstadtweibern“ bekannte Schauspieler innerhalb eines Tages die Rolle des „Jedermann“ übernommen.
„Krone“: Da bereitet sich ein Ensemble wochen-, ja monatelang vor und dann kommen Sie und schlüpfen quasi über Nacht in die Hauptrolle. Wie geht das?
Philipp Hochmair: Das verdanke ich einem eigenartigen Umstand. Ich war mit meiner Band gerade dabei, den „Jedermann“ als Platte einzusprechen, als die Anfrage aus Salzburg kam. Das Glück, in diesem Moment ganz tief in der Materie drin zu sein, gibt es vielleicht nur einmal. Zwischen dem Anruf in Dresden und der Aufführung in Salzburg vergingen gerade einmal 36 Stunden.
Das ist doch Wahnsinn! Kamen da nicht sofort Zweifel?
Natürlich. Niemand kann ohne Vorbereitung Sätze wie die aus dem „Jedermann“ nachsprechen, auch nicht mit einem Microport im Ohr. Unmöglich. Es muss in dir drinnen sein. Deshalb habe ich intuitiv zugesagt, mit großem Leichtsinn ... Und dann musste ich die Konsequenzen tragen.
Sind Sie ein Hasardeur?
Als Mensch würde ich das vielleicht nicht unterschreiben, aber in Bezug auf meine Rollen stimmt es schon. Joachim Schnitzler, Dorfrichter Adam, Mephisto, und auch der „Jedermann“, das sind alles böse, zerstörerische Charaktere mit egomanischen Prinzipien. Ich kann das nur als Kompliment sehen.
Aber Sie lieben das Risiko.
Ohne Risiko ist alles nichts.
Für Ihre Darstellung vom „Sterben des reichen Mannes“ gab es Standing Ovations. Wie haben Sie sich während des Stücks gefühlt?
Wie in einem großen Airbus, der eine Notlandung vor sich hat. Ich wurde als Spezialpilot angeheuert, wir wollten alle sicher und gesund auf die Erde kommen, das war also ein verantwortungsvoller, kein rauschhafter Vorgang. Ich wusste in jedem Moment: Du musst Ruhe bewahren. Die Crew hat ihren neuen Piloten übrigens grandios unterstützt. Naja, die wollten auch nicht abstürzen (lacht).
Wie konnten Sie zwischen dem „Jedermann“ und der Buhlschaft so schnell eine Vertrautheit herstellen?
Ich war mit allen Kollegen erstaunlich vertraut, zwei Drittel von ihnen kannte ich aus anderen Zusammenhängen. Die anderen, die ich nicht kannte, waren sehr offen. Zwischen Schauspielern gibt es eine Art Kodex, man ist liebevoll zueinander, und diese Liebe habe ich am Donnerstag in vollem Ausmaß abbekommen.
Von den „Vorstadtweibern“ in die Arme von Stefanie Reinsperger: Ist das eine eigene Erotik?
Die Erotik habe ich noch nicht analysiert, weil die Sicherheit im Vordergrund stand. Wir wollten den Abend, ohne einander wehzutun, überstehen. Wir müssen erst ordnen, was passiert ist und was in Zukunft passieren wird. Von Genuss ist noch nicht die Rede. Die Erotik ist dann erst der übernächste Schritt.
Das Stück handelt von der Einsamkeit des Todes. Kann die ein 44-jähriger Mensch erahnen?
Die kann auch ein siebenjähriges krebskrankes Kind erahnen. Ich glaube, jedes Lebewesen weiß, was es heißt, zu sterben. Es wird nur ausgeblendet und dieses Stück weist uns schmerzlich darauf hin, dass es jede Sekunde vorbei sein kann, jede Sekunde kann das Herz aufhören zu schlagen oder der Airbus stürzt ab.
Ist es ein kleines Wunder, dass es keine Bruchlandung wurde?
Nein, das ist ein großes Wunder.
Es ist das erste Mal seit 1932, dass ein „Jedermann“ umbesetzt werden musste. Wie wird es Tobias Moretti damit gehen?
Das ist nur eine abstrakte Zahl und ob es eine historische Dimension hat, ist mir fast egal ... Ich denke, dass es für Tobias Moretti sicher schwierig ist, das abgeben zu müssen. Er soll aber wissen, dass ich das für ihn tue und für die Salzburger Festspiele. Das ist kein Egotrip von mir. Es ist ein großes Glück, dass es geklappt hat, aber es war in keinster Weise mein Ziel.
Ist die Gage eigentlich besonders hoch, wenn man eine Notlandung hinlegen muss?
Ich habe keine Ahnung, weil ich den Vertrag noch gar nicht gelesen habe. Auch nicht unterschrieben. Mein erster Gedanke war nicht: „Was kriege ich da für eine Gage?“, sondern: „Ist das überhaupt möglich?“
Ihre Antwort war „Ja“. Trauen Sie sich alles zu?
Ich habe 2011 gesagt, dass ich mit „Faust“ den Zenit am Theater erreicht habe. Aber die Welt wächst, die Räume wachsen, es dehnt sich das Haus. Nach Faust kam Mephisto und der „Zerbrochene Krug“ und in Hamburg habe ich „Dorfrichter Adam“ gespielt, während Klaus Maria Brandauer gleichzeitig „Dorfrichter Adam“ in Berlin gespielt hat - wir sind 30 Jahre auseinander. Es war nicht abzusehen, dass so etwas möglich ist. Es ist dann möglich, wenn man die Herausforderungen in spielerischer Weise annimmt. Ich hätte mir auch nicht vorstellen können, in Kuba kurzfristig einen Film auf Spanisch zu drehen, trotzdem läuft „Candelaria“ jetzt im Kino. Den Mut und die Leichtigkeit habe ich von Klaus Maria Brandauer gelernt.
Ihre Mutter ist Ärztin, Ihr Vater Ingenieur, auch der Bruder ist Arzt. Wann haben Sie Ihr dramatisches Talent entdeckt?
Mit 17. Da hat die Englischlehrerin den Francis-Ford-Coppola-Film angehalten, in dem der Bandenchef vor der aufgehenden Sonne ein Gedicht aufsagt, und meinte: „Ich wette, dass keiner von euch ein Gedicht auswendig vortragen kann!“ Da bin ich auf den Tisch gesprungen und habe Goethes Totentanz aufgesagt. Auf so einen Tisch bin ich am Donnerstag auch gesprungen. Den „Jedermann“ zu spielen, war genauso ein „Move“ wie damals in der Schule.
Sie haben einmal gesagt, Ihr Traum wäre ein „Jedermann“ für jedermann, bei freiem Eintritt, Party bis in den frühen Morgen. Ist das noch immer ein Traum?
Ja, ich würde wirklich gerne mit meiner Band am Salzburger Domplatz spielen.
Hätten Sie sich aushandeln können, für die Notlandung.
Stimmt. Da muss man vielleicht noch nachverhandeln.
Könnten Sie sich vorstellen, 2019 den „Jedermann“ ganz zu übernehmen?
Ja, klar. Aber vielleicht braucht man dann schon wieder einen neuen Knaller. Und vielleicht lebe ich gar nicht mehr 2019. Weil ich kann theoretisch ja schon bei der nächsten echten Landung abstürzen.
Ein Angebot von Martin Kusej, zurück ans Burgtheater zu kommen, würden Sie das annehmen?
Das ist nicht ausgeschlossen, aber ich strebe das überhaupt nicht an.
Eine indiskrete Frage zum Schluss: Ist der neue Star der Salzburger Festspiele eigentlich noch zu haben?
Zu haben? Wofür denn?
Privat, als Partner.
Nein, leider (grinst). Ich bin seit vier Jahren glücklich mit Jürgen Maurer aus den „Vorstadtweibern“ verheiratet.
Vom Vorstadt- zum Jedermann
Geboren am 16. Oktober 1973 in Wien. Der Vater ist Ingenieur, die Mutter Ärztin. Schauspielstudium am Max-Reinhardt-Seminar und in Paris. Von 2003 bis 2009 ist Hochmair Ensemblemitglied des Burgtheaters, danach des Hamburger Thalia-Theaters. Wichtigste Rollen: Mephisto, Dorfrichter Adam, Jedermann Reloaded und Torquato Tasso. In den „Vorstadtweibern“ wird er als Minister Schnitzler einem größeren Publikum bekannt. Am Donnerstag sprang er bei den Salzburger Festspielen für „Jedermann“ Tobias Moretti ein.
Conny Bischofberger, Kronen Zeitung
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