Bub (14) als Führer

Skandal an Schule: „Wussten nicht, was wir taten“

Österreich
15.08.2018 06:01

Nach Vorführung des NS-kritischen Films „Die Welle“ spielten Schüler aus dem Burgenland „Juden verfolgen“. Ein 14-Jähriger nahm dabei die Rolle von Adolf Hitler ein. Jetzt spricht seine Mutter in der „Krone“.

„Wir haben ein Spiel gespielt, eine Woche lang. Das Spiel hat meine Klasse gespielt. Wir haben den Film ,Die Welle‘ nachgespielt. Wir haben den Adolf Hitler nachgemacht und das, was früher passiert ist. Wir haben diese Sprüche nachgemacht. Ich war der Führer.“ Diese Worte hat Leonhard - „Lenni“ - G. (Name geändert) auf einen Zettel geschrieben. Im vergangenen Frühjahr, in einer NMS im Burgenland.

Szene aus „Die Welle“ (Bild: Rat Pack Filmproduktion)
Szene aus „Die Welle“

Das Protokoll eines abscheulichen „Spiels“
 Seine Lehrer hatten ihn und weitere 15 Jugendliche angewiesen, schriftliche Geständnisse abzulegen. Nachdem der Skandal - vorerst nur in der Schule - bekannt geworden war; ein Skandal, der nun weltweit für Schlagzeilen sorgt.

In dieser Neuen Mittelschule kam es zu dem Skandal, der mittlerweile weltweit für Schlagzeilen sorgt. (Bild: Martina Prewein)
In dieser Neuen Mittelschule kam es zu dem Skandal, der mittlerweile weltweit für Schlagzeilen sorgt.

Die Geschichte dazu: In einer 4. Klasse wurde nach den Semesterferien im Geschichtsunterricht die NS-Zeit durchgenommen, im Anschluss den Kindern in einer Deutsch-Stunde der Film „Die Welle“ (siehe Kasten) gezeigt. „Unkommentiert“ - wie die Buben und Mädchen behaupten.Fakt ist: Gleich nach der Videovorführung kam es - während einer Pause - zu absurden Geschehnissen. Die Schüler begannen, Szenen aus dem Video nachzuahmen. 

Das „Spiel“ war damit eröffnet und nahm in der Folge, Tag für Tag absurdere Formen an. Schnell, so ist in den Polizeiakten zu dem Fall zu lesen, habe Leonhard G. die Führerrolle übernommen, „Heil Lenni“ lautete fortan die Parole der - letztlich aus 16 Burschen bestehenden - Gruppe. 

Lehrer Rainer Wenger (Jürgen Vogel) im Film „Die Welle“ (Bild: Constantin Film)
Lehrer Rainer Wenger (Jürgen Vogel) im Film „Die Welle“

Sie schrien: „Sperrt die dreckigen Juden ein“
 Ein Mitglied wurde zu Leonhards Stellvertreter auserkoren, es gab „treue Gehilfen“ - und „die Opfer“. Sie wurden in eine Gerätekammer gepfercht, angeblich sogar getreten und geschlagen. Hakenkreuze wurden auf Wände gemalt, es seien Sätze, wie: „Sperrt die dreckigen Juden ein“, „Wir scheißen euch in die Judenfresse“, „Schaltet das Gas ein“ gefallen, immer öfter, immer lauter.

Die Lehrer bemerkten von alledem nichts. Bis sie am 16. März von - an dem „Spiel“ nicht beteiligten - Schülern Handyvideos überreicht bekamen, die den Wahnsinn, der da schon seit einer Woche in der NMS stattfand, dokumentierten. Gegen fünf 14-jährige Buben läuft jetzt ein Ermittlungsverfahren wegen „Wiederbetätigung“ und „Verhetzung“. Was sagen die Beschuldigten jetzt über ihr Handeln?

„Die Lehrer tragen die Verantwortung an dem Geschehenen. Sie haben ihren Erziehungs- und Bildungsauftrag“, sagt Andras Schweitzer, Anwalt mehrerer beschuldigter Schüler. (Bild: Martina Prewein )
„Die Lehrer tragen die Verantwortung an dem Geschehenen. Sie haben ihren Erziehungs- und Bildungsauftrag“, sagt Andras Schweitzer, Anwalt mehrerer beschuldigter Schüler.

„Wir wussten nicht, was wir taten“
 „Die Welle“ hätte sie „einfach mitgerissen“, sie wollen die wahre Intention des Films „nicht verstanden“ haben und über Adolf Hitlers Verbrechen „nicht informiert gewesen“ sein. Was bleibt, ist Fassungslosigkeit - über ihre Ignoranz, ihre Ungebildetheit; ihre Machtfantasien, ihr „Spiel“. Unter welchen Umständen wuchsen die Kinder auf?

„Er war immer ein braves Kind“
 Sabine G., die Mutter des Hauptbeschuldigten - Lenni - sitzt in einer Imbissstube in ihrer Heimatgemeinde und beginnt zu erzählen, über ihren Sohn. „Lieb, brav, ein unproblematisches Kind“, sei er. Die Scheidung seiner Eltern vor sechs Jahren habe er „gut verkraftet“, das Verhältnis zu ihr und seinem älteren Bruder sei gut. „Lenni ist doch ein ganz normaler Bursch“, der gerne Fußball und Playstation spiele: „Er ist nicht aggressiv, sondern warmherzig - und sicherlich kein Mensch, der andere beherrschen will.“ 

Warum wurde dann gerade er zum „Führer“ in dem grauenhaften „Spiel“? „Er musste die zweite Klasse wiederholen, er war der Älteste in der Schule und deshalb in seiner Clique der ,Tonangeber‘.“ Lenni gibt im Polizeiverhör an, dass er sich noch nicht mit den Gräueltaten des NS-Regimes auseinandergesetzt hat. 

Lennies Mutter: „Mein Sohn geht kaum noch aus dem Haus, er gilt als Aussätziger.“ (Bild: Martina Prewein)
Lennies Mutter: „Mein Sohn geht kaum noch aus dem Haus, er gilt als Aussätziger.“

„Lenni ist erschüttert über sich selbst“
 Haben Sie niemals mit ihm darüber gesprochen? 
 „Nein. Ich ging davon aus, dass er in der Schule darüber aufgeklärt würde. Aber das ist leider nicht geschehen.“ 
Worüber wird bei Ihnen daheim geredet? „Darüber, was es zu essen gibt, wer mit dem Hund Gassi geht, wohin wir in Urlaub fahren werden“

Und Politik? „War bei uns nie ein Thema. Jetzt allerdings schon. Ich habe Lenni mittlerweile Dutzende Dokumentarfilme über Hitler gezeigt. Er fing dabei zu weinen an. In der kommenden Woche fahre ich mit ihm in das ehemalige Konzentrationslager Mauthausen “ Und wie beurteilt er nun sein Handeln? „Er ist erschüttert über sich selbst, er schämt sich, verlässt kaum noch das Haus. Er gilt als Aussätziger, viele Freunde haben sich von ihm abgewandt.“

Im Falle einer Verurteilung drohen dem Buben bis zu zehn Jahre Haft. Der Film wird vorerst übrigens nicht mehr gezeigt.

Martina Prewein, Kronen Zeitung

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