Überdrüber-Tourer

Kompressor-Kawasaki H2 SX SE: Das ist der Gipfel!

Motor
23.08.2018 17:00

Ja, es gibt Seitenkoffer für die Kawasaki H2 SX und nein, die sind nicht dafür da, genügend Windeln einzupacken für den Fall, dass sich der Fahrer ansch**ßt. Aber, ja: Dieser Überdrüber-Tourer reißt mit seinem 200 PS und 137 Nm starken, kompressorbeatmeten Vierzylinder mächtig an und ist sicher nichts für Anfänger. Wir waren damit auf der Rennstrecke von Brünn und auf einer 1001-Kilometer-Runde durch Österreich unterwegs.

Kein Scherz: Die Routenaufzeichnungs-App zeigte am Ende der Ausfahrt tatsächlich den märchenhaften Kilometerstand von 1001 an. Zufall? Bestimmung? Oder ein Zeichen dafür, dass eine höhere Macht über mich gewacht hat. Immerhin habe ich den stärksten Serien-Tourer am Markt unfallfrei und hoffentlich ohne Strafzettel (aber das wird sich erst noch zeigen) „derritten“.

Aber so wild ist das Ganze auch wieder nicht. Im Vergleich zur H2, die einfach nur auf brachiale Längsbeschleunigung ausgelegt ist, hat die H2 SX richtig gute Manieren. Gasannahme statt Gasüberfall, kehrentauglicher Wendekreis statt Manövrierfähigkeit wie ein Supertanker und eine Sitzposition, die man länger als eine Stunde durchhält. Sogar einen ganzen Tag, wenn‘s sein muss. Für die Sozia gilt das allerdings nicht, die hängt da hinten ziemlich verkrampft oben.

Den Gipfel der Sporttourer musste ich natürlich zu Österreichs größtem Gipfel bringen. Anfahrt auf der Autobahn, mit bestem Windschutz; sogar fast Windstille, wenn man sich hinter die Verkleidung legt; keine störenden Verwirbelungen bei aufrechter Fahrt. Natürlich ist das langweilig! Der Kompressor-Kracher will rasen, nicht mit lächerlichen 140 km/h über die Westautobahn tuckern. Und der Motorsound aus dem nicht gerade wohlgeformten Auspuff ist, sagen wir, sozialverträglich. Gut, dass man auch einen Akrapovič mitbestellen kann. Unnachahmlich ist das Zwitschern, wenn das Blow-off-Ventil des Kompressors beim Runterbremsen abbläst.

Der Großglockner hüllte sich zwar in Wolken, die Hochalpenstraße hieß uns dennoch willkommen, mit strahlendem Sonnenschein und herrlichen Ausblicken. Oh wie schön ist Österreich! Die Straßenführung kommt der H2 SX sehr entgegen, keine schnellen Wechselkurven, durch die man die 260 kg wuchten muss. Insgesamt fährt sie sich sehr zivil. Nur der kalte Asphalt war nicht ganz ohne: Bei gerade einmal zwölf Grad Lufttemperatur fühlen sich die Bridgestone Battlax S21 nicht zu Hause. An jedem Kurvenausgang blinkt das Lamperl der fein regelnden Traktionskontrolle, hin und wieder schwänzelt das Hinterrad weg.

Ganz anders auf der Rennstrecke: Da gehört der Reifen hin, kommt gut auf Temperatur und vermittelt ein sicheres Gefühl, wenn man den Luftdruck entsprechend anpasst. Hier kann man auch die Hammer-Beschleunigung ungestraft auskosten. Großartig, wenn der Kompressor voll zulangt und die Kawa ab 6000 Touren auf Warp-Antrieb schaltet, bis sie bei 12.000 in den Begrenzer läuft. Lässt man auf der Landstraße das Gas etwas zu lange offen, werden schnell die Augen groß. Wie gut, dass es Kurven-ABS gibt. In Brünn ist mehr Platz. Die Zeiten sind auch nicht schlecht, allerdings spüre ich nach jedem Turn meine Schultern - das ist mir während der Fahrt gar nicht aufgefallen. Immerhin bringt die H2 SX rund ein Drittel mehr auf die Waage als gleich starke Supersportler und ist auch nicht so handlich aufgebaut.

Einem Supersportler, dem ich in der Mariazeller Gegend begegnet bin, bin ich jedenfalls nicht hinterhergekommen, weil sie in Wechselkurven schlichtweg zu schwerfällig ist. Physik ist Physik.

Touring-mäßig ausgestattet
 Kawasaki weiß, was Tourenfahrer brauchen. So gibt es bei der Special Edition eine 12-Volt-Buchse im Cockpit und ein hervorragend ablesbares Farb-TFT-Display, das jede Menge Infos bereithält, Temperatur, zwei Trip-Zähler, Schräglagenwinkel, Anzeige für den Kompressor-Boost etc. Die Anzeige des Durchschnittsverbrauchs war jedoch eher ein Zufallswert. Dankbar war ich für den Tempomat, auch wenn seine Tasten so angeordnet sind, dass man sie kaum ohne hinzuschauen treffsicher bedienen kann. Serie sind bei der SE auch Hauptständer und Heizgriffe.

Praktisch sind die Haltegriffe hinten, weil man an den Enden problemlos Schlaufen einhängen kann.

Die Beleuchtung besteht komplett aus LEDs, sogar mit Kurvenlicht, das je nach Schräglage (10/20/30 Grad) eine, zwei oder drei Extra-LEDs aktiviert. Dennoch wird man mit Fernlicht fahren.

Der Quickshifter (rauf und runter) arbeitet erst bei höheren Drehzahlen einigermaßen sauber. Was er nicht kann, ist runterschalten, während man Gas gibt, etwa wenn man beim Überholen merkt, dass man in einem zu hohen Gang fährt.

Unterm Strich
 Die Kawasaki Ninja H2 SX ist ein Bike, das es vielen recht machen will, vom Speedfahrer bis zum Tourer. Sie fährt sich relativ komfortabel und verbindlich, das Federbein lässt sich per Handrad auf den Beladungszustand anpassen. Auf Dauer ist sie dennoch anstrengend und besser fürs Autobahnrasen in Deutschland als für Kurventouren geeignet. Der Kompressor ist faszinierend und unauffällig zugleich - wer einen plötzlichen Leistungsüberfall befürchtet, wird angenehm enttäuscht. Und der Verbrauch? Unter 6 Liter.

Die SE ist ab 27.500 Euro zu haben, das Kofferset kostet 1200 Euro extra. Je nach Neigungsgruppe kann man dann noch was für Windeln drauflegen - oder doch eher für den Akrapovič…

Warum?
 - Viel angenehmer zu fahren als die H2
 - Kompressor ist einzigartig

Warum nicht?
 - Fürs schnelle Touren gibt es weniger anstrengende Alternativen

Oder vielleicht …
 … Kawasaki ZZR 1400, KTM 1290 Super Adenture

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(Bild: KMM)
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