Streit geht weiter
Migranten auf Schiff: Rom wirft EU „Heuchelei“ vor
Im Streit über die Aufnahme von Flüchtlingen hat Italiens Regierung den EU-Partnern am Freitag „Heuchelei“ vorgeworfen und mit finanziellen Konsequenzen gedroht. Dass bei einem Treffen von EU-Staaten keine Lösung für die 150 Migranten auf dem italienischen Schiff Diciotti gefunden worden sei, werde Auswirkungen auf Italiens Position bei anderen Themen haben, erklärte Ministerpräsident Giuseppe Conte am Freitag auf Facebook.
Sein Vize Luigi Di Maio drohte mit einem Stopp der Zahlungen an die EU, sollte es keine Einigung auf eine Übernahme der Migranten durch die EU-Partner geben. Die EU-Kommission verwahrte sich gegen Erpressungsversuche.
Di Maio im Video auf Facebook:
EU-Partner lehnen Flüchtlingsaufnahme ab
Bei dem Treffen von Spitzenbeamten aus zwölf EU-Staaten in Brüssel, darunter Österreich, habe es keine Einigung über eine mögliche Verteilung der Flüchtlinge gegeben, verlautete am Freitag aus dem italienischen Innenministerium. Italien verlangt von anderen EU-Staaten, dass diese ebenfalls Flüchtlinge aufnehmen. Die EU-Partner lehnten diese Forderung mit der Begründung ab, dass die Zahl der in diesem Jahr in Italien eingetroffenen Migranten stark gesunken sei. Diplomaten zufolge fanden sie keine Lösung für die Verteilung der Migranten auf der Diciotti, weil sie dies anders als Italien nicht für das vordringliche Thema hielten. Sie hätten vielmehr strukturelle Lösungen für die Schiffe im Mittelmeer finden wollen. Dort werden immer wieder Menschen aufgegriffen, die mit kaum seetüchtigen Booten in die EU gelangen wollen.
Conte: „Europa hat weder Solidarität noch Verantwortung“
Europa habe „weder Solidarität noch Verantwortung“ gezeigt, kritisierte daraufhin Ministerpräsident Conte. Die Lücke zwischen Worten und Taten gleiche manchmal der Heuchelei. Italien werde dies berücksichtigen und sich entsprechend verhalten - „in allen Fragen, bei denen wir es mit Europa zu tun haben“. „Die sanfte Linie funktioniert nicht, die harte Linie wird sein, Finanzmittel zurückzuhalten, wenn sie nicht zuhören“, sagte Di Maio am Donnerstagabend im italienischen Fernsehen. Am Freitag bekräftigte er seine Haltung. Die EU-Kommission wies dies zurück. „Unkonstruktive Kommentare oder Drohungen bringen uns einer Lösung keinen Schritt näher“, sagte Kommissionssprecher Alexander Winterstein.
Di Maio ist Vorsitzender der populistischen Fünf-Sterne-Bewegung, die zusammen mit der ausländerfeindlichen und weit rechts stehenden Lega die Regierung bildet. Innenminister Matteo Salvini, der zugleich Lega-Chef ist, hat zwar 27 minderjährigen Flüchtlingen erlaubt, die im sizilianischen Catania liegende Diciotti zu verlassen. Die übrigen 150 erwachsenen Migranten müssen dagegen so lange an Bord des Schiffs der Küstenwache bleiben, bis andere EU-Länder sich zu ihrer Aufnahme bereit erklären. Die Diciotti hatte die Menschen vor mehr als einer Woche von einem überfüllten Boot im Mittelmeer gerettet.
Salvini will vielleicht „echte Flüchtlinge“ von Bord lassen
Am Freitagabend deutete Salvini an, er könne vielleicht doch Migranten von Bord gehen lassen, wenn sichergestellt sei, dass sie „echte Flüchtlinge“ seien. „Ich prüfe die Möglichkeit von Maßnahmen zur Identifizierung und Anerkennung, um die echten Flüchtlinge, die in der Minderheit sind, von den Fake-Flüchtlingen zu unterscheiden, bevor sie von Bord gehen“, sagte Salvini im Sender RAI. Italien beklagt sich seit Längerem, dass es in der EU die Hauptlast der Migration trage. Seit 2014 erreichten mehr als 650.000 Menschen die italienische Küste.
Migranten setzten Hungerstreik fort
Inzwischen setzten 120 Migranten ihren Hungerstreik fort, um Druck auf die italienischen Behörden für ihre sofortige Landung auszuüben. Zudem ist am Samstagnachmittag eine Solidaritätsdemonstration mit den Migranten an Bord im Hafen von Catania geplant. Der Demonstration wollen sich mehrere Hilfsorganisationen und katholische Verbände beteiligen.
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