Alle Migranten an Land
Diciotti: Jetzt ermittelt Justiz gegen Salvini
Das Drama auf dem Rettungsschiff Diciotti im Hafen von Catania auf Sizilien hat zumindest für die Migranten ein Ende: Samstagabend durften auch die restlichen Flüchtlinge von Bord gehen (siehe Video oben), nachdem sich Albanien, Irland und die katholische Kirche in Italien zur Aufnahme bereit erklärt hatten. Unterdessen wurden Ermittlungen gegen Italiens Innenminister Matteo Salvini aufgenommen. Ein sizilianischer Staatsanwalt geht dem Verdacht des Machtmissbrauchs, der Freiheitsberaubung und der illegalen Festnahme nach.
Die Regierung hatte den überwiegend aus Eritrea stammenden Migranten an Bord des seit Dienstag in Catania liegenden Küstenwachenschiffs tagelang verboten, an Land zu gehen, solange keine Aufnahmezusagen anderer EU-Staaten vorlägen. Nachdem am Freitag in Brüssel ein Treffen von Vertretern mehrerer EU-Staaten ergebnislos geendet hatte, war zunächst keine baldige Lösung für die Geretteten in Sicht gewesen.
Zwar durften 27 Minderjährige von Bord gehen - in der Folge waren aber noch immer 150 Migranten tagelang auf dem Schiff. Zudem hatte Italien der EU auch mit Beitragskürzungen gedroht, sollte keine Lösung gefunden werden. Die Opposition und Bürgerrechtler kritisierten die harte Linie der Regierung scharf. Der für eine strikte Einwanderungspolitik stehende Innenminister Salvini blieb dennoch hart und erklärte, er betrachte die Angriffe gegen sich als „Ehrenauszeichnung“.
Tuberkulose, Lugenentzündung: Lage wurde immer ernster
Als die hygienischen Zustände am Samstag allerdings immer schlechter wurden und erste Fälle von Tuberkulose und Lugenentzündung auftraten, ordnete die Gesundheitsbehörde den sofortigen Ausstieg von 13 Migranten an Bord an. Die 137 übrigen Migranten verließen die Diciotti schließlich in den frühen Morgenstunden am Sonntag. Sie wurden in ein Aufnahmezentrum in der sizilianischen Stadt Messina gebracht. Das Nicht-EU-Mitglied Albanien hat angeboten, 20 Migranten zu übernehmen. Irland ist bereit, 20 bis 25 der Migranten aufzunehmen. Der Rest soll auf Diözesen verteilt werden. „Die Kirche hat ihr Herz und ihren Geldbeutel geöffnet“, sagte Salvini. Auf den Steuerzahler kämen „null Kosten“ zu.
Salvini: „Sie ermitteln gegen einen Minister, der die Grenzen verteidigt“
Unterdessen nahm die Justiz Ermittlungen gegen Salvini auf. Dem Vize-Premierminister und Chef der fremdenfeindlichen Lega wird Amtsmissbrauch und Freiheitsberaubung vorgeworfen, wie die Nachrichtenagenturen ANSA und ADN Kronos am Samstag berichteten. Salvini bestätigte ein Verfahren gegen ihn. „Es ist unglaublich, in einem Land zu leben, in dem vor zehn Tagen eine Brücke eingestürzt ist, unter der 43 Menschen gestorben sind, und es keinen gibt, gegen den ermittelt wird“, sagte er bei einem Auftritt im norditalienischen Pinzolo. „Und sie ermitteln gegen einen Minister, der die Grenzen des Landes verteidigt. Es ist eine Schande.“
Vor der applaudierenden Menge fuhr er fort: „Ihr habt eine Regierung, die die italienischen Bürger bis zum Ende verteidigen wird.“ Salvinis Umfragewerte sind seit dem Amtsantritt der neuen Regierung im Juni stark gestiegen.
Conte droht Brüssel mit Blockade des EU-Haushaltsentwurfs
Ministerpräsident Giuseppe Conte übte seinerseits schwere Kritik an der EU. Diese habe Italien im Fall Diciotti hängenlassen. Es sei gegen das Solidaritätsprinzip verstoßen worden. Conte drohe deshalb, die Verhandlungen um den neuen EU-Haushaltsentwurf zu blockieren. Nachdem es auf EU-Ebene bisher keine Lösung für die Verteilung von Flüchtlingen gegeben habe, prüfe man, ein Veto in den laufenden Verhandlungen einzulegen, erklärte Conte. Der Haushaltsrahmen für die Jahre 2021-27 muss von allen Mitgliedsstaaten gebilligt werden. „Italien nimmt zur Kenntnis, dass sich der ,Geist der Solidarität‘ kaum in konkrete Taten übersetzt“, teilte Conte mit. „Wir können uns nicht mit einem gemeinsamen Wirtschaftsraum zufriedengeben.“
EU fordert langfristige Lösung der Migrationsfrage
Die Europäische Union forderte derweil eine langfristige Lösung der Migrationsfrage. EU-Innenkommissar Dimitris Avramopoulos sagte, er begrüße, dass im Fall der Diciotti eine Lösung gefunden worden sei und die Migranten nun von Bord gehen könnten, um behandelt zu werden. Das sei dank der Solidarität über Grenzen und Länder hinweg möglich gewesen. „Aber wir können nicht immer auf diese Art von Gefälligkeitssolidarität warten. Wir müssen strukturelle Maßnahmen haben.“
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