Bluttat in Chemnitz
Mordopfer hinterlässt siebenjährigen Sohn
Seit dem Tod eines 35-Jährigen in der Nacht auf Sonntag herrscht in der sächsischen Stadt Chemnitz Ausnahmezustand. An zwei Tagen hintereinander ist es zu gewaltsamen Ausschreitungen bei Kundgebungen rechtsextremer sowie antifaschistischer Gruppierungen gekommen. Den beiden Tatverdächtigen, einem 23-jährigen Syrer und einem 22-jährigen Iraker, wird „gemeinschaftlicher Totschlag“ vorgeworfen. Sie sitzen in Haft. Noch sind die Hintergründe des Messermordes nicht klar. Schritt der 35-jährige Tischler mit kubanischen Wurzeln gemeinsam mit zwei weiteren Freunden ein, als Frauen von Migranten belästigt wurden? Oder wurde die Gruppe während einer Bankomat-Behebung überfallen? Eines ist aber traurige Gewissheit: Daniel H. hinterlässt eine Frau und einen siebenjährigen Sohn.
Freunde des Opfers beschreiben H. gegenüber der sächsischen „Freien Presse“ als einen Linken, der es sicher nicht gewollt hätte, dass sein Tod von Rechtsradikalen „so augeschlachtet wird“. Ihr Schmerz über den Verlust ist wegen der Instrumentalisierung noch größer. Bekannte, die in der „Bild“ zitiert werden, erinnern sich an einen „hilfsbereiten jungen Mann“, der von 2011 bis 2014 seine Tischlerlehre absolviert habe und dessen Gesellen-Möbelstück von der Handwerkskammer ausgezeichnet worden sei.
Staatsanwaltschaft: „Für die Täter bestand keine Notwehrlage“
Mit Details zum Tathergang geht die Staatsanwaltschaft bisher vorsichtig um. Bekannt gegeben wurde lediglich, dass es zu einem Streit zwischen zwei Männergruppen gekommen sei, im Zuge dessen H. tödlich und seine beiden Begleiter schwer verletzt worden seien. Ein Handeln der beiden Tatverdächtigen zum Selbstschutz wurde ausgeschlossen. „Nach dem bisherigen Erkenntnisstand bestand keine Notwehrlage für die beiden Täter“, teilte eine Sprecherin am Dienstag mit. Die beiden inoffiziellen Versionen zum Tathergang stammen aus sozialen Medien bzw. deutschen Medienberichten, die sich auf Zeugen berufen.
All diese Informationen dienen seit Tagen in einschlägigen Foren und sozialen Medien als Mobilisierungsinstrument für Rechte, um auf die Straße zu gehen und zu zeigen, „wer in Sachsen das Sagen hat“. Dies wird nicht nur mit Protestmärschen, sondern auch mit gezielter Provokation und Gewalt gegen Polizei und Migranten deutlich gemacht. Aber auch linke Gegendemonstranten wollen Chemnitz auf ihre Art und Weise „verteidigen“ und „nazifrei“ machen. Der Kampf der beiden Gruppierungen hat am Montagabend zu 18 Verletzten und zahlreichen Festnahmen geführt. Die Polizei war zeitweise vollkommen überfordert und von der enormen Anzahl an Demo-Teilnehmern überrascht. Nach Ende der Randale am Montag räumte ein Polizeisprecher Personalmangel in den eigenen Reihen ein.
Polizeigewerkschaft warnt vor Risiko zunehmender Selbstjustiz
Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) warnte vor dem Risiko zunehmender Selbstjustiz. „Der Staat ist dafür da, mit Polizei und Justiz seine Bürger zu schützen“, sagte der GdP-Bundesvorsitzende Oliver Malchow der „Neuen Osnabrücker Zeitung“. „Wenn er das in den Augen vieler Bürger aber nicht mehr leisten kann, besteht die Gefahr, dass die Bürger das Recht selbst in die Hand nehmen und auf Bürgerwehren und Selbstjustiz bauen.“ Dies sei ein erschreckender Trend. Über die sozialen Medien könnten viele Menschen schnell mobilisiert werden. „Aus jeder Dorfschlägerei kann eine Hetzjagd werden.“ Nach Ansicht der GdP hat der Staat mit Schuld an dieser Entwicklung. Der jahrelange Abbau von insgesamt 16.000 Stellen bei der Polizei habe dazu geführt, dass alle Einsatzkräfte stets verplant seien. Die GdP fordert 20.000 neue Stellen.
Deutschlands Innenminister Horst Seehofer hat den sächsischen Sicherheitsbehörden nach den Ausschreitungen in Chemnitz Hilfe angeboten. „Sofern von dort angefordert, steht der Bund mit polizeilichen Unterstützungsmaßnahmen zur Verfügung“, erklärte Seehofer am Dienstag in Berlin. Die Betroffenheit der Chemnitzer nach der tödlichen Messerattacke sei verständlich. „Aber ich will auch ganz deutlich sagen, dass dies unter keinen Umständen den Aufruf zu Gewalt oder gewalttätige Ausschreitungen rechtfertigt“, ergänzte der CSU-Chef. Hierfür dürfe es „in unserem Rechtsstaat“ keinen Platz geben.
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