Mehr als hundert Gespräche hat der Autor Bernhard Salomon mit Estibaliz C. geführt - und jetzt ein Buch über sie geschrieben. Über die dunkle Seelenwelt der Doppelmörderin. Und über ihre Liebe zu einem Häftling. Die beiden haben sich bereits im Gefängnis verlobt. Nun wollen sie heiraten.
„Wir spüren, unsere Seelen sind verwandt. Er und ich. Wir sind aus derselben Welt. Ein Mann von draußen könnte nie mit mir teilen, was wir zu teilen begonnen haben. Es ist, als wären wir aus demselben Ton geformt, von denselben Händen. Als käme das Leben in uns vom gleichen Atemhauch.“
Romantische Worte einer Doppelmörderin. Über ihre „große Liebe“, einen Häftling. Aufgeschrieben von Verleger und Autor Bernhard Salomon. Mehr als hundert Gespräche hat er in den vergangenen vier Jahren mit Estibaliz C. geführt, bei Besuchen in der Justizanstalt Schwarzau und später im Forensischen Zentrum Asten in Oberösterreich, wo die nun 40-Jährige seit Anfang 2017 untergebracht ist.
Tiefe Einblicke in Estis Seeleben
Die Einblicke, die er dabei in Estis Seelenleben bekam, sind jetzt in einem 221 Seiten langen Buch nachzulesen. Titel: „Zelle 14“ - die Nummer ihres Haftraums. Die Geschichte über das „Ich“ dieser Frau, die zwei grauenhafte Verbrechen begangen hat - ein poetischer Kriminalroman.
„Wut verbindet alles und formt es zu einem runden Ganzen. Doch ich bin nicht wütend. Ich habe Angst. Wer oder was bin ich? Ich will es nur wissen. Um es besser verbergen zu können. Etwas gibt es, über das ich nie spreche. Es ist kein Teil von mir, aber es benimmt sich, als wäre es einer. Es folgt meinen Bewegungen und Gedanken.
Berühre ich es mit meiner Aufmerksamkeit, fühlt es sich wie eine Narbe an. Dumpf und schwammig. Wie etwas, bei dem du weißt, sei besser vorsichtig. Vielleicht ist dieses Dumpfe, dieses Schwammige - die Seele des Racheengels. Die mich in das Dunkle zieht.“
„Habe ganz normale Gefühle“
Estibaliz C. sagt damit, dass irgendetwas in ihr „anders“ sei, ohne dass sie „das Andere“ wirklich einordnen könne. Sie sagt aber auch, sie habe „ganz normale Gefühle, wie jeder Mensch. Bloß, keiner will mir das glauben.“ Erzählungen über ihren Alltag hinter Gittern, über ihr Problem, sich an Regeln zu halten. Über ihre Furcht, vielleicht niemals wieder in Freiheit zu kommen. Über ihre Panik vor dem Altern, nicht mehr schön zu sein, ihre „Bekanntheit“ zu verlieren - über ihren Narzissmus. Über ihre Gefühle. Für Martin L., einen 33-jährigen Wiener.
Er stammt aus desolaten Familienverhältnissen, wuchs in Heimen auf, wurde als Kind sexuell missbraucht. Bereits im Hauptschulalter begann er, Drogen zu nehmen - und er verübte seine ersten Straftaten. Diebstähle, Vandalenakte, Körperverletzungen. Mit 17 beging er einen Raubüberfall auf einen Taxifahrer, stach mit einem Messer auf ihn ein. Die Anklage lautete auf versuchten Mord. Urteil: zehn Jahre Haft. Nach seiner Entlassung wurde er rasch rückfällig, er legte in Niederösterreich Brände, einen nach dem anderen. 18 Monate hindurch. 2015 bekam er dafür fünf Jahre Gefängnis. Psychiater diagnostizierten ihn als Psychopathen und Borderliner.
Auch Esti - sie leidet an einer schweren Persönlichkeitsstörung - gilt als geistig abnorm. Estibaliz C. und Martin L.: Beide befinden sich im Maßnahmenvollzug. Im Frühjahr 2017 lernten sie einander in Asten kennen. Im Supermarkt der Anstalt.
„Seine Narbenbeine stecken in langen Hosen. Mit seiner schlanken Gestalt überragt er alle. Ich sage den Verkäufern meinen Namen, obwohl ich weiß, dass sie ihn kennen. Estibaliz C. Ich habe etwas bestellt. Du bist Elisabeth? Ich drehe mich um. Seine Hände sind vernarbt wie seine Beine. Die Finger. Als wären sie mehrmals gebrochen gewesen. Zu verschiedenen Zeiten. Seine Hände sehen aus, als wären sie nicht von ihm. Als gehörten sie früher jemandem, der älter war als er. Als hätte jemand, der sich anschickte zu sterben, gesagt: Hier, nimm meine Hände. Ich brauche sie nicht mehr. Ich halte meinen Blick gesenkt. Ich bin Estibaliz, sage ich. Ach, ruft er. Estibaliz! Die Eislady. Nenn mich weder Elisabeth noch Eislady. Alle nennen mich Esti. Ich bin Martin. Wir sehen uns, Esti.“
Esti und Martin sahen einander tatsächlich bald wieder. In einer Werkstätte der Haftanstalt.
„Er war in dem Raum mit den Maschinen. Ich war angespannt, sobald ich ihn sah. Ich ertrug seinen Blick nicht. Beobachtete ihn heimlich. Sah er nicht zu mir, sah ich hin. Ertappte er mich, wurde ich rot. Das alte Spiel. Bei uns bloß in Endlosschleife. Ich konnte es sehen. Er mag mich und würde gerne mehr mit mir reden. Doch die Zeit verging. Die Zeit vergeht hier so schnell, weil alle Tage gleich sind. In der Haft wäre das ein Vorteil, verginge nicht mit der Zeit dein Leben.“
Im Juli 2017 die erste körperliche Annäherung.
„Martin verhält sich wie ein Profi. Freundlich. Er erklärt mir alle Sägen. Die Kreissäge, die Bandsäge, die Stichsäge. Es ist das Geräusch der Sägen, das mich überfordert. Die Tatsache, dass sie schneiden. Alte Bilder tauchen auf. Ich halte die Stichsäge wie einen Küchenmixer. Er führt meine Hand. Er ist ganz nahe. Bevor er mich berührt, fragt er jedes Mal: Darf ich? Ich muss mich anstrengen. Im Moment bleiben. Auf meine Finger achten.
Ist ein Körperteil einmal abgetrennt, gibt es kein Zurück mehr. Schneidest du einem Toten etwas ab, macht das selbst den Tod erst richtig. Endgültig. Darf ich? Unsere Arme berühren einander noch, als es dafür schon keinen Grund mehr gibt. Es ist, als würde ich mich an ihn lehnen und er sich an mich. Das Lehnen ist wie eine Vereinbarung.“
Es folgten weitere Treffen, im „Zimmer mit den Maschinen“, im Sportraum, im „Klienten-Café“ - einem Lokal in der Anstalt, für die Insassen.
„Martin und ich sind lange genug Häftlinge, um ein Treffen an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit mit einem Blick und einer Geste vereinbaren zu können. Wir handeln mit Plan und Überblick. Obwohl seit unserer Vereinbarung so viel Zeit vergangen ist, stolpern wir in ihre Erfüllung wie unerwartet hinein. Alles geht so schnell. Jetzt hat er mein T-Shirt hochgehoben. Jetzt berührt er Stellen an mir, die seit sieben Jahren niemand mehr berührt hat. Jede Berührung überschwemmt mich. Entschädigt mich für jedes Jahr Enthaltsamkeit. Ich habe nur einen Gedanken dabei. Es geht im Leben doch um nichts Anderes. Wie konnte ich das je vergessen?“
Der Beginn einer Beziehung.
„In meiner Zelle schließe ich die Tür. Ich habe Lust zu malen und trete vor meine Staffelei. Ich liebe derzeit Schwarz. Ich habe eine schwarze Phase. Martin bringt das Dunkle in mir zum Klingen. Das ist gut so. Es ist Zeit für mich, dem zu begegnen. Martin hat mir bestimmt nicht alles über den Inhalt seiner Gutachten erzählt. Das spielt keine Rolle für mich. In einer Welt wie dieser kann ich ohnedies nicht an Akten glauben. Täte ich es, müsste ich mich selbst nach meinen bewerten. Was bliebe dann von mir?“
Verlobung mit schwarzen Ringen
Im Jänner 2018 verlobten sich Esti und Martin, sie tauschten schwarze Ringe aus. Im März fanden Justizwachebeamte bei ihm Liebesbriefe. Die Affäre flog auf.
„Sie haben Martin in die Justizanstalt Garsten gebracht. Mit dem Auto sind es von Asten zwanzig Minuten dorthin. Ich darf ihm nicht schreiben. Schreibt er mir, landen seine Briefe bei meinen Depositen. Bei den Dingen, die sie mir erst am Tag meiner Freilassung geben. Ich vermisse ihn. Ich will ihn heiraten.“
Zwei Leichen im Keller
Im Juni 2011 wurden im Keller von Estibaliz C.s Eissalon in Wien-Meidling zwei zerstückelte Männerleichen gefunden. Ihren Ex-Ehemann Holger H. hatte die Spanierin 2008 getötet, ihren Lebensgefährten Manfred H. 2010. Als sie in U-Haft kam, war sie von ihrem neuen Freund - Roland R. - im dritten Monat schwanger. Im Jänner 2012 brachte sie einen Buben zur Welt, im März heiratete sie den Vater des Kindes. Die Ehe ist mittlerweile gescheitert.
Bei ihrem Prozess bekam die als seelisch krank geltende Täterin lebenslang. Zunächst wurde sie im Frauengefängnis Schwarzau in Niederösterreich untergebracht, im Jänner 2017 erfolgte ihre Verlegung nach Asten in Oberösterreich, in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher. Estis Sohn wächst bei ihren Eltern in Barcelona auf.
Martina Prewein, Kronen Zeitung
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