Prozess in Wien

Messerattacken: Laut Psychiater „ein Amoklauf“

Wien
13.09.2018 17:12

Wegen fünffachen versuchten Mordes muss sich heute jener 23-jährige afghanische Asylwerber vor Gericht verantworten, der am 7. März in Wien mit Messern auf eine dreiköpfige Familie einstach, einen Zeugen bedrohte und danach auch noch einen Landsmann attackierte. Die Opfer wurden teils erheblich verletzt, überlebten die blutige Attacke jedoch. „Wie in einem Blutrausch“ habe der Angeklagte auf sie eingestochen, schilderte die Staatsanwältin. Für den psychiatrischen Sachverständigen waren die Taten „ein Amoklauf, wie er in der heutigen Zeit leider immer öfter vorkommt“. Mittlerweile haben sich die Geschworenen zur Urteilsberatung zurückgezogen.

Zur ersten Attacke war es, wie mehrfach berichtet, in der Praterstraße gekommen. Als die drei Familienmitglieder - ein Ehepaar und dessen 17 Jahre alte Tochter - gerade ein Lokal verließen, stürzte sich der Afghane mit zwei Messern auf sie und stach auf die Opfer ein. Sie überlebten lediglich dank der gut funktionierenden Rettungskette. Als der Afghane vom Tatort floh, bedrohte er auch noch einen Zeugen. Dieser glaubte, dass der Mann vor einer Schlägerei geflüchtet sei, und stellte sich ihm in den Weg. Nur dank seiner schnellen Reaktion konnte er den darauf folgenden Messerstichen ausweichen. Wenig später endete ein Angriff am Praterstern allerdings ein weiteres Mal blutig: Der Beschuldigte stach auf einen ihm bekannten Landsmann - einen Drogendealer - ein und verletzte ihn schwer.

(Bild: APA/HERBERT NEUBAUER)

Verteidigung: „Drogenindizierte Psychose“
Der 23-Jährige konnte wenig später von der Polizei gestellt und festgenommen werden. Bei seiner Einvernahme machte der nun Angeklagte zunächst wirre Angaben und sprach von inneren Stimmen und „Teufelsmenschen“, von denen er verfolgt werden würde. Sein 
Verteidiger Wolfgang Blaschitz sprach in seinem Eröffnungsplädoyer von einer „drogenindizierten Psychose“, die seinen Mandanten, der in einer Fantasiewelt gelebt habe, zu den Taten verleitet habe. Drei Gramm Kokain sowie mehrere Schlaftabletten habe er konsumiert, so der Beschuldigte.

Nur Cannabiskonsum festgestellt
Dieser Drogenkonsum ist jedoch auszuschließen: Die entsprechenden Blutproben hätten lediglich THC durch Cannabis ergeben, anderes Suchtgift könne er nicht genommen haben, hieß es bei der Verhandlung. Auch bei zwei Einvernahmen bei der Polizei unmittelbar nach der Festnahme hatte der Afghane ausgeschlossen, in den vergangenen zehn Tagen Drogen genommen zu haben. Diese Aussage verneinte der Angeklagte nun: Im Gegenteil, er habe seinen Drogenkonsum angegeben. Auch sonst konnte der Angeklagte nicht begründen, warum er sich nach der Tat noch an viele Dinge erinnern konnte, vor Gericht jedoch an Gedächtnislücken gelitten habe. Es tue ihm leid, warum er die Familie attackiert habe, wisse er jedoch nicht. Töten habe er jedenfalls niemanden wollen.

(Bild: APA/HERBERT NEUBAUER)

Gutachter: „Meiner Meinung nach ein Amoklauf“
Ein Gutachter, der den Geisteszustand des 23-Jährigen untersuchte, konnte im Vorfeld jedenfalls keinen Anhaltspunkt für eine mögliche Zurechnungsunfähigkeit zum Tatzeitpunkt feststellen, ebenso wenig Hinweise auf „schwerwiegende psychische Erkrankungen“. „Meiner Meinung nach war das ein Amoklauf, wie er in der heutigen Zeit leider immer öfter vorkommt“, sagte der psychiatrische Sachverständige Peter Hofmann. Zorn, Wut, Frustration und Kränkung hatten sich über Jahre aufgebaut. „Das hat an ihm genagt und viel Frust bei dieser Tat entladen.“

Auch der Polizist, der den Mann einvernommen hat, sagte aus, dieser habe sehr orientiert gewirkt und sich an die Vorfälle gut erinnern können. Eine später im Otto-Wagner-Spital nach einem Selbstmordversuch erstellte Diagnose „paranoide Schizophrenie“ sei ihm völlig unverständlich, da diese innerhalb eines so kurzen Zeitraums gar nicht zu stellen sei, meinte der Sachverständige. Er erkläre sich dies durch die sogenannte Haftreaktion, die durch die Umstellung auf die Zeit hinter Gittern auftritt. Aus seiner Sicht gebe es keinerlei Anzeichen für eine psychische Störung. Der Angeklagte habe zum Tatzeitpunkt das Unrecht seines Handelns einsehen können.

Tochter: „Da habe ich realisiert, jetzt bin gleich ich dran“
Für die betroffene Familie ist nach der blutigen Attacke im März jedenfalls nichts mehr so, wie es vorher war. Neben körperlichen Folgen bestünden auch psychische Probleme, so die Privatbeteiligtenvertreterin vor Gericht. Von Weinkrämpfen geschüttelt, zeichnete etwa die Frau ein dramatisches Bild der blutigen Angriffe. Sie war das erste Opfer der Attacken des 23-jährigen Beschuldigten. Gefasster wirkte die 17 Jahre alte Tochter im Zuge ihrer Schilderungen. Der 23-Jährige sei ihr im Vorbeigehen „eigenartig“ vorgekommen. Als sie sich nach ihm umdrehte, sah sie noch, dass er ein Messer zog und auf ihre Stiefmutter losging, danach war ihr Vater das zweite Ziel. „Da habe ich realisiert, jetzt bin gleich ich dran, und bin auf die Straße gelaufen.“

Familienvater bereits klinisch tot
Wie dramatisch die Verletzungen der Opfer waren, zeigte auch der medizinische Sachverständige Christian Reiter auf: So sei der Familienvater bereits klinisch tot gewesen und unter Wiederbelebungsmaßnahmen ins Krankenhaus eingeliefert worden. Aufgrund von Sauerstoffmangel hätten die Nieren des Opfers derart gelitten, dass er nun auf eine Dialyse angewiesen ist, die dreimal pro Woche erfolgen muss. Auch die Frau wäre, ebenso wie der Dealer, seiner Meinung nach verblutet, hätte die Rettungskette nicht derart gut funktioniert. Die Verletzung der Tochter war „nur“ potenziell lebensgefährlich, so Reiter. Der Zeuge, der sich dem Afghanen in den Weg gestellt hatte, wäre zumindest schwer verletzt worden.

„Volle Härte des Gesetzes“
Gegen 16.15 Uhr zogen sich die Geschworenen zur Beratung zurück. Zuvor sprach sich die Staatsanwältin in ihrem Plädoyer dafür aus, „die volle Härte des Gesetzes auszuschöpfen“ - nämlich lebenslange Haft. Sein Verteidiger meinte hingegen: „Ein einziger Stich in eine Körperregion muss kein Mordversuch sein.“ Zudem stellte er die Zurechnungsfähigkeit seines Mandanten erneut infrage.

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