Wollte die SPÖ retten

Kurzzeitkanzler: Arbeiterkind im Slimfit-Anzug

Nachrichten
19.09.2018 06:00

Christian Kern sollte die SPÖ retten und verlor für sie die Kanzlerschaft. Vom Sohn eines Arbeiters aus Simmering zum Bundeskanzler - und trotzdem ist Kerns Lebensgeschichte geprägt von Verlust und Scheitern. Das Porträt eines Mannes, der in die Macht verliebt ist.

In der sozialdemokratischen Version der Geschichte „Vom Tellerwäscher zum Millionär“ steht immer ein Kind aus einfachen Verhältnissen im Mittelpunkt. Die Eltern meist Arbeiter, das Zuhause ein Platten- oder Gemeindebau, dann die ersten politischen Schritte, vom Verband Sozialistischer Studenten zu den höchsten Ämtern.

(Bild: APA/HELMUT FOHRINGER, Tobias Rülke, krone.at-grafik)
(Bild: APA/Hans Klaus Techt)

Wiens Bürgermeister Michael Ludwig kann heute übrigens eine ähnliche Geschichte erzählen, und auch Christian Kern war stolz auf sie: Vom schmucklosen Simmeringer Neubau arbeitete er sich nach oben. Er sollte Sportredakteur werden, schrieb dann über Wirtschaft. Kern studierte Kommunikationswissenschaften, wechselte an die Seite von Klubchef Peter Kostelka und 1997 in den Verbund, wird Vorstandsmitglied und im Juni 2010 ÖBB-Chef.

Christian Kern bei einer ÖBB-Bilanzpräsentation (Bild: APA/Roland Schlager)
Christian Kern bei einer ÖBB-Bilanzpräsentation

Nach Sturz von Faymann an der Parteispitze
 
Stylisches Büro, Empfänge in Slimfit-Anzügen, Top-Gehalt, Eigentumswohnung - Christian Kern lernt den Luxus und die Macht kennen, doch da geht noch mehr: Nach dem Sturz von Bundeskanzler Werner Faymann steht er an der Spitze der Partei und des Staates. In seiner Antrittsrede (siehe Video) am 17. Mai 2016 wettert er gegen die „Machtversessenheit und Zukunftsvergessenheit.“ Aber nicht alle glauben an den ÖBB-Messias. Doris Bures, damals Erste Nationalratspräsidentin, meinte schon vor seiner Bestellung: „Kern selbst weiß auch, dass er ein guter Bahnmanager ist und das andere nicht so gut kann.“

Christian Kern (links) und Werner Faymann (Bild: APA/Herbert Neubauer)
Christian Kern (links) und Werner Faymann

Anfangs sieht es gut für Kern aus, „New Deal“ und „Plan A“, rasch wird er beliebter als Werner Faymann. Doch der aufsteigende Stern wird zur Sternschnuppe. Kern macht kurz hintereinander viele Fehler: Trotz Umfragehoch lässt er die Neuwahl-Chance verstreichen. Der Rest ist Geschichte: Die ÖVP setzt auf Sebastian Kurz, Christian Kern auf Tal Silberstein. Nach einem Wahlkampf voller Pannen ist der Kanzler-Traum für Kern nach 580 Tagen ausgeträumt.

(Bild: APA/Barbara Gindl)

Je öfter Kern in den vergangenen Monaten predigte, der Politik erhalten zu bleiben, desto weniger glaubten es die Genossen. Jetzt hat er aufgegeben. In Erinnerung bleibt diese Passage aus seiner Antrittsrede als SPÖ-Kanzler: „Wenn wir jetzt nicht kapiert haben, dass das unsere letzte Chance ist, dann werden die beiden Großparteien und diese Regierung von der Bildfläche verschwinden. Und wahrscheinlich völlig zu Recht.“ Bei der ÖVP hat er sich geirrt.

Michael Pommer und Philipp Wagner, Kronen Zeitung

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