„Krone“-Analyse
Nichts als offene Fragen nach Salzburger EU-Gipfel
Es ist zum aus der Haut Fahren! In der EU geht kaum noch etwas vorwärts, und wenn ja, dann im Schneckentempo zu dringenden Problemen. Der Flohzirkus der 28 Mitgliedsstaaten ist nicht mehr unter einen Hut zu bringen. Da kann auch „Brückenbauer-Kanzler“ Sebastian Kurz keine Wunder mehr wirken. Die Scheidung mit Großbritannien artet in einen „Rosenkrieg“ aus.
Vom EU-Gipfel in Salzburg bleiben nur offene Fragen zurück. Jedes der Top-Probleme wird auf den nächsten Krisengipfel weitergeschoben.
Zankapfel Brexit: May unter Beschuss
Zum Beispiel: Brexit. Theresa May ist in Salzburg mit Bomben und Granaten gescheitert. Die EU, allen voran Frankreich, schmetterte ihren Vorschlag klar ab.
Aber auch Angela Merkel zeigte ihrer britischen Amtskollegin die rote Karte: „Allen muss klar sein, dass es in Sachen Binnenmarkt keine Kompromisse geben kann. Sicher, man wird aufeinander zugehen müssen, aber es gibt ein paar Maßstäbe. Einer davon ist, dass man nicht zum Binnenmarkt gehören kann, ohne Teil des Binnenmarkts zu sein.“ Das war eine Absage an Mays Wunsch, mit der EU eine Freihandelszone für Waren einzurichten, nicht aber für Dienstleistungen und die Reise- und Niederlassungsfreiheit.
In Heimat mit Spott überschüttet
Jetzt wird die Premierministerin zu Hause einerseits mit Spott und Hohn überschüttet - vor allem von den Hardlinern ihrer eigenen Partei -, andererseits werden die EU und ihre Politiker wüst beschimpft. So tief ist die Brexit-Spaltung in Großbritannien. Jetzt besteht sogar die Gefahr, dass May den Parteitag der Konservativen im Oktober im Aufstand der Hardliner gar nicht mehr „überlebt“. Dann steht aber auch die EU vor einem Scherbenhaufen. Großbritanniens Politik im totalen Chaos - das darf sich niemand wünschen. Es reicht schon die derzeitige innenpolitische Blockade in London, dass nichts mehr vorangeht. Theresa May ist in ihrer eigenen Partei von Feinden umzingelt.
London: Notfallpläne schon in Gang gesetzt
Nicht nur der Zeitplan und die Parteipolitik setzen May unter Druck. Es häufen sich drastische Warnungen aus der Wirtschaft. Laut dem Wirtschaftsnachrichtendienst Bloomberg hat die Bankenbranche ihre Notfallpläne für einen No-Deal-Brexit schon in Gang gesetzt. Ein Banker: „Das Finanzsystem arbeitet bereits unter der Annahme, dass es kein Austrittsabkommen gibt.“ Im Grunde sei es schon egal, ob sich London und Brüssel noch einigen. „Alles, was von jetzt an passiert, wird die Sache nicht mehr billiger machen.“
„Man muss Briten in den Abgrund blicken lassen“
Brexit-Hardliner in der EU sehen in dieser Verhandlungssackgasse nur einen Weg, um von London Zugeständnisse zu erhalten: „Hart bleiben und die Briten in den Abgrund blicken lassen.“
Kanzler Kurz sieht am Ende des Weges drei Optionen: ein Brexit mit Austrittsvertrag, ein Brexit ohne Austrittsvertrag und ein Brexit mit Austrittsvertrag, der aber im Parlament in London durchfällt. Käme dann doch ein zweites Referendum in der hoffenden Annahme, dass die Wähler ihren Fehler eingesehen haben? Falls in der britischen Politik das totale Chaos ausbricht, bliebe kein anderer Weg, als das Volk zu befragen. Auch eine Parlamentswahl könnte als ein verdecktes Referendum herangezogen werden.
EU-Stolperstein Nr. 2: Viktor Orban
Der ungarische Führer ist der Wortführer der Skeptiker bei dem zweiten Top-Thema der EU: die Verstärkung und Mandatsausweitung der EU-Grenzorganisation Frontex. Orban will keine, wörtlich, „EU-Söldner“: „Unsere Grenzen schützen wir am besten alleine.“
Am tollen Rupertikirtag im schönen Salzburg steht zurzeit auch eine kleine Geisterbahn. Sie ist jedenfalls lustiger als ein EU-Gipfel.
Kurt Seinitz, Kronen Zeitung
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