Bei der Behandlung von Querschnittgelähmten ist US-Medizinern möglicherweise ein entscheidender Durchbruch gelungen: Nach Jahren im Rollstuhl konnten sie einem Patienten mit Hilfe von im Rückenmark implantierten Elektroden seine Gehfähigkeit teilweise zurückgeben. Wie die Ärzte im Fachblatt „Nature Medicine“ schilderten, kann der 29-Jährige bereits kurze Stecken auf einem Laufband zurücklegen.
Ärzte der Mayo-Klinik im US-Bundesstaat Minnesota schrieben in ihrem Artikel, der Patient sei seit einem Unfall mit einem Schneemobil im Jahr 2013 querschnittgelähmt. Von der Hüfte abwärts könne er sich nicht eigenständig bewegen. 2016 setzten die Ärzte ihm unterhalb der Rückenmarksverletzung ein kleines, kabelloses Gerät in der Wirbelsäule ein, das etwa die Größe einer Mignon-Batterie hat.
Mit diesem Gerät können Nerven stimuliert werden, die seit dem Schneemobil-Unfall nicht mehr vom Gehirn des Patienten gesteuert werden können. Auf diese Weise konnte der Patient Befehle für die Bewegungsabläufe und das Gleichgewicht an seine Beine übertragen - was den Studienautoren zufolge bisher als undenkbar gegolten hatte.
Erste Schritte schon nach wenigen Wochen
Schon wenige Wochen nach dem Einsetzen des Gerätes machte der Patient seine ersten Schritte seit seinem folgenschweren Unfall. Zu seiner Stabilisierung trug er allerdings eine Art Korsett. Nach weiteren Übungen und Physiotherapie habe der Mann schließlich sein eigenes Körpergewicht tragen und auf einem Laufband gehen können. Der Patient sei „mit seinem eigenen Verstand in der Lage gewesen, die Bewegungen der Beine zu steuern“, sagte die Leiterin des Labors der Mayo-Klinik für Reha-Technologie, Kristin Zhao.
Anfangs hatte der Patient allerdings Probleme beim Gehen, weil er seine Schritte nicht spüren und daher nicht einfach unbewusst seine Bewegungen ausbalancieren konnte. Zhao und ihre Kollegen überwanden dieses Problem, indem sie Spiegel auf der Höhe der Knie des Patienten befestigten, mit denen er die Position seiner Beine beim Laufen überprüfen konnte. Dadurch war er mit gelegentlichen Blicken auf seine Beine in der Lage, auf dem Laufband zu laufen.
Mittlerweile 102 Meter im Jahr zurückgelegt
Auf Aufnahmen ist zu sehen, wie der Mann auf dem Laufband mit ruckartigen Schritten langsam geht. Dabei hält er sich an einem Handlauf fest. Den Forschern zufolge legte er auf diese Weise innerhalb eines Jahres 102 Meter zurück. In vorherigen Versuchen hatten Querschnittsgelähmte dank Elektrodenimplantaten stehen oder ihre Beine bewegen können, nach Angaben der Studienautoren jedoch nicht gehen.
Das Experiment zeige, „dass diese Nervennetzwerke unter einer Rückenmarksverletzung nach einer Lähmung noch funktionieren können“, erklärte der Hauptautor der Studie, Kendall Lee, der an der Mayo-Klinik als Neurochirurg arbeitet. Die Elektroden gaben dem Patienten allerdings weder Empfindungsvermögen in seinen Beinen zurück, noch befreiten sie ihn vom Rollstuhl. Der Patient verrichte nach wie vor seine alltäglichen Aktivitäten vom Rollstuhl aus, sagte Lee. Die Elektroden darf der Patient aus Sicherheitsgründen nur unter Aufsicht einsetzen.
Moderne Technologie könnte weitere Erfolge bringen
Lee und seine Kollegen werten die Ergebnisse ihrer Studie dennoch so, dass Lähmungen nach Rückenmarksverletzungen nicht zwangsläufig endgültig sind. Vielmehr sei es eine Ermutigung, moderne Technologien für die funktionale Wiederherstellung gelähmter Körperteile zu nutzen, erklärte Lee. So könnte die Therapie mit Elektrodenimplantaten ein Durchbruch in der Behandlung von Wirbelsäulenverletzungen sein.
An der Studie war auch die University of California Los Angeles (UCLA) beteiligt. Finanziell unterstützt wurde sie von der Stiftung von Christopher und Dana Reeve. Der durch seine Rolle als „Superman“ bekannt gewordene Schauspieler Reeve war seit 1995 infolge eines Reitunfalls vom Hals abwärts gelähmt, er starb 2004.
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