Erdogan in Berlin
Merkel: „Tief greifende Differenzen mit Türkei“
Politisch umstrittener Besuch in Deutschland: Mit „tief greifenden Differenzen“ hat Bundeskanzlerin Angela Merkel am Freitag den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan im Kanzleramt in Berlin empfangen. Das Treffen wurde begleitet von brisanten Berichten, wonach der türkische Präsident von der deutschen Regierung die Auslieferung von 69 türkischen Aktivisten fordere. Bei der gemeinsamen Pressekonferenz von Merkel und Erdogan wurde dann ein Mann vor laufenden Kameras abgeführt, er trug ein T-Shirt mit der Aufschrift „Pressefreiheit für Journalisten in der Türkei“. Mehr als 4000 Polizeibeamte sind wegen Erdogans Besuch in der deutschen Hauptstadt im Einsatz.
Die Pressekonferenz von Merkel und Erdogan begann mit einer halben Stunde Verspätung. Die Kanzlerin betonte dabei eingangs, dass es auch heute noch „tief greifende Differenzen“ zwischen Deutschland und der Türkei gebe. Dies liege vor allem an der Situation der Pressefreiheit in der Türkei. Merkel mahnte zu einer raschen Lösung für die in der Türkei inhaftierten deutschen Staatsbürger. „Ich habe darauf gedrängt, dass auch diese Fälle möglichst schnell gelöst werden können“, sagte sie.
Neues Syrien-Treffen zwischen Merkel, Macron, Putin und Erdogan
Merkel betonte aber auch gemeinsame Interessen mit der Türkei. „Wir haben vieles, was uns eint“, sagte sie. Die Regierungschefin nannte die Partnerschaft in der NATO, Fragen der Migration und den Kampf gegen Terrorismus. Laut Merkel ist ein Treffen zu Syrien mit ihr, dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron, Russlands Staatschef Wladimir Putin und Erdogan in Vorbereitung. Bei dem Treffen im Oktober solle die kritische Situation um die letzte Rebellenhochburg Idlib im Mittelpunkt stehen.
Erdogan wiederum forderte von Deutschland einen entschlosseneren Kampf gegen den Terrorismus - und die Auslieferung von Anhängern des im US-Exil lebenden Predigers Fethullah Gülen von Deutschland. Erdogan macht Gülen für den Putschversuch vom Juli 2016 verantwortlich. In Deutschland hielten sich „Tausende Mitglieder der PKK-Terrororganisation“ auf, sagte der türkische Präsident. Zudem seien „Hunderte“ Anhänger der Gülen-Bewegung in Deutschland.
Kurz vor der Pressekonferenz hatten deutsche und türkische Medien berichtet, dass Erdogan von der deutschen Regierung die Auslieferung von Journalist Can Dündar sowie die von 68 weiteren Aktivisten fordert. Erdogan bestätigte bei der Pressekonferenz, dass sein Land offiziell ein Auslieferungsersuchen für Dündar gestellt hat. Dündar sei „ein Spion, der Staatsgeheimnisse veröffentlicht hat“, sagte er. Daher müsse der ehemalige Chefredakteur der regierungskritischen Zeitung „Cumhuriyet“ an die Türkei ausgeliefert werden.
Exil-Journalist verzichtet auf Pressekonferenz
Der ehemalige Chefredakteur der regierungskritischen Zeitung „Cumhuriyet“, hatte in einem Interview angekündigt, Erdogan bei der für Freitag geplanten Pressekonferenz mit Merkel Fragen zu inhaftierten türkischen Journalisten zu stellen. Doch nachdem die türkische Delegation damit drohte, die gemeinsame Pressekonferenz platzen zu lassen, sollte Dündar dort erscheinen, verzichtete der 57-Jährige auf eine Teilnahme.
„Ich habe entschieden, nicht daran teilzunehmen“, teilte Dündar, der seit zwei Jahren im deutschen Exil lebt, auf seinem eigenen Medienportal mit. Dündar erklärte, er wolle nicht zulassen, dass die Pressekonferenz wegen seiner Person abgesagt und kritische Fragen anderer Journalisten nicht möglich sind. Der 57-jährige Dündar war wegen eines Artikels zu Waffenlieferungen des türkischen Geheimdiensts nach Syrien zu fünf Jahren und zehn Monaten Freiheitsstrafe verurteilt worden und lebt deswegen seit mehr als zwei Jahren in Deutschland im Exil. Die türkische Justiz wirft ihm Spionage, Verrat von Staatsgeheimnissen und Propaganda vor.
Erdogan mit militärischen Ehren empfangen
Erdogan war zum offiziellen Auftakt seines politisch umstrittenen Besuchs in Deutschland mit militärischen Ehren begrüßt worden (siehe Video oben). Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier empfing Erdogan in Berlin vor seinem Amtssitz, dem Schloss Bellevue. Dort trug sich Erdogan in das Gästebuch ein, bevor es ein erstes Gespräch gab.
Die Mienen der Politiker waren betont ernst. In Berlin sind mehrere Demonstrationen angekündigt, die sich vor allem gegen die Inhaftierung von Journalisten und Regimegegnern in der Türkei wenden.
Heftige Kritik an Staatsbesuch und angekündigte Proteste
Der Staatsbesuch Erdogans und das für den Abend im Schloss Bellevue vorgesehene Staatsbankett für den türkischen Präsidenten sorgen wegen der Repressionen gegen Andersdenkende in der Türkei für heftige Kritik und Proteste. Am Nachmittag ist auf dem Potsdamer Platz in Berlin eine Großdemonstration unter dem Titel „Erdogan not welcome“ geplant, zu der die Veranstalter rund 10.000 Teilnehmer erwarten.
Im Regierungsviertel und besonders um das Hotel Adlon am Brandenburger Tor, wo Erdogan wohnt, gab es weiter strenge Sicherheitsvorkehrungen der Stufe eins.
Bis zu 4200 Polizisten waren im Einsatz. Der Bereich war komplett gesperrt, auf dem Adlon waren Scharfschützen postiert. Der Luftraum über Berlin ist für private Sportflugzeuge sowie für Drohnen bis Samstagmittag gesperrt.
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