Zehn Jahre befand sich Odysseus auf Irrfahrt. Ganz so lange dürften Gamer zum Durchspielen von „Assassin‘s Creed Odyssey“ zwar nicht brauchen, der mittlerweile elfte Teil der Ubisoft‘schen Assassinen-Serie bietet dennoch ausreichend Stoff und zahlreiche Neuerungen, um über Wochen zu beschäftigen. Eine Sysiphos-Arbeit.
Ihren Anfang nimmt die Odyssee auf der griechischen Insel Kefalonia. Hier starten Gamer wahlweise als Alexios oder Kassandra ins Abenteuer. Was die beiden Geschwister eint, ist eine Familiengeschichte nach bester griechischer Tragödien-Art. Wie sie ausgeht, liegt in den eigenen Händen, bietet „Assassin‘s Creed Odyssey“ doch erstmals ein Dialogsystem, das es erlaubt, entscheidend Einfluss auf den Verlauf der Handlung zu nehmen und mit gütiger oder strenger Hand zu richten.
Griechische Liebe
Dass sich nicht jede Entscheidung im Nachhinein als besonders klug herausstellt, dies gilt insbesondere für jene, die unter Zeitdruck erzwungen werden, macht das Ganze nur umso spannender - und erhöht letztlich, nicht zuletzt dank mehrerer alternativer Enden, den Wiederspielwert. Übrigens: Die Dialogoptionen ermöglichen es auch, mit anderen Charakteren anzubandeln, gleich welchen Geschlechts. Wirkliche spielerische Vorteile scheinen sich daraus nicht zu ergeben, allerdings passierte es im Test, dass ein Schmied, dessen Liebe beim zweiten Mal verschmäht wurde, uns fortan keine Waren mehr verkaufen wollte.
„Wo war doch gleich nochmal ...?“
Glücklicherweise gibt es ausreichend Alternativen - unter Umständen müssen diese allerdings erst gefunden werden. Denn mit Teil elf der Serie bieten die Entwickler erstmals den sogenannten Erforschungsmodus an, in dem Quest-Personen und -Orte nach klassischer Rollenspiel-Manier eigenständig entdeckt werden müssen. Je nach vorangegangener Dialog-Arbeit gibt es demnach mehr oder weniger Hinweise darauf, in welchem Eck der Karte es als nächstes weitergeht. Wer der zusätzlichen Laufarbeit überdrüssig sein sollte, kann jederzeit in den bisher bekannten Modus wechseln, in dem sämtliche Ziele markiert sind, bringt sich dann möglicherweise jedoch um den Spaß am Entdecken.
Mit dem Schiff in die weite Welt
Und zu entdecken gibt reichlich. Mit Abschließen des gut dreistündigen Prologs öffnet sich die gigantische Spielwelt des antiken Griechenlands und lädt mit ihren zahlreichen Inseln zu Ausflugsfahrten mit dem eigenen Schiff ein. Wer „Assassin‘s Creed IV: Black Flag“ gespielt hat, ist mit den Mechaniken des Seekampfes bereits hinlänglich vertraut. Auch damit, wie sich Schiff und Besatzung unter Aufbringung von Rohstoffen und Geld für die Herausforderungen auf dem offenen Meer rüsten lassen.
Crew gesucht
Eine kleine Neuerung gibt es aber auch hier: Um die eigene Crew zu verstärken, können Besatzungsmitglieder angeheuert werden - sei es friedlich im Dialog oder indem sie zunächst bewusstlos geschlagen und anschließend an Deck beordert werden. Dort können im Spielverlauf bis zu vier von ihnen einen Platz einnehmen und dem Schiff mit ihren individuellen Fähigkeiten gewisse Boni verleihen. So verstärkt der Handwerker den Rumpf, der Bogenschütze hingegen die Feuerkraft. Da es die Mitglieder - wie die Waffen auch - in unterschiedlichen „Qualitätsstufen“ gibt, lohnt es sich immer wieder, nach potenziellen Kandidaten Ausschau zu halten.
Sparta gegen Athen
An Land warten indes gleich mehrere Neuerungen - zumindest für die Serie. Da wäre etwa das an „Mittelerde: Schatten des Krieges“ erinnernde Kriegssystem, in dem sich der Spieler wahlweise auf Seiten der Athener oder Spartaner schlagen kann, um den Einfluss der Fraktion im jeweiligen Gebiet zu vergrößern. Dies gelingt durch das Plündern von Kriegskassen, Vernichten von Vorräten oder das Ermorden von Befehlshabern, bis sich am Ende beide Seiten auf dem Schlachtfeld gegenüberstehen. Abhängig davon, für welche der beiden Fraktionen man kämpft, fallen Schwierigkeitsgrad des Scharmützels und anschließende Belohnung unterschiedlich groß aus.
Wenn Söldner einen Söldner jagen
Doch Vorsicht: Wer zu viel plündert, brandschatzt und mordet, zieht unweigerlich die Aufmerksamkeit anderer Söldner auf sich. Im Gegensatz zu den Phylakes bzw. Kopfgeldjägern im Vorgänger „Origins“, sind sie wesentlich zahlreicher und können je nach eigener „Fahndungsstufe“ sogar zu viert Jagd auf den Helden bzw. die Heldin machen. Wer sich dem Kampf mit ihnen nicht stellen möchte, kann sie glücklicherweise in barer Münze auslösen - oder den Verwalter des Kopfgeldes um die Ecke bringen.
Item-Pimping
Wer sich der Herausforderung hingegen stellt, wird zumeist mit seltenen bis „legendären“ Waffen oder Rüstungsgegenständen belohnt, die in Schmieden gegen Drachmen und entsprechende Ressourcen sowie mittels sogenannter Gravuren weiter verbessert werden können. Letztere fügen den Items Boni wie zusätzliche Gesundheit, Giftschaden oder Adrenalin hinzu. Dieses braucht es, um im Kampf von aktiven Fertigkeiten Gebrauch zu machen und mächtige Finishing-Moves zu entfesseln.
Jäger, Krieger oder Assassine?
Besagte Fertigkeiten, darunter etwa der spätestens seit dem Film „300“ berühmte „Das ist Sparta“-Tritt, lassen sich über einen entsprechenden Baum im Menü mit jeder zusätzlichen Erfahrungsstufe freischalten und einer Controller-Taste zuweisen. Die Fertigkeiten bestimmen letztlich auch den Spielstil, also ob man als „Jäger“ aus der Ferne mit dem Bogen hantiert, als „Krieger“ im Nahkampf agiert oder als „Assassine“ seine Ziele lautlos und hinterrücks ermordet. Da sich bestimmte Fertigkeiten gleich mehrfach „aufleveln“ lassen, lässt die eigene Heldwerdung deutlich länger auf sich warten als noch im Vorgänger.
Aufgaben en masse
Gelegenheiten, die für den Aufstieg so wichtigen Erfahrungspunkte zu sammeln, gibt es aber überall in der hellenistischen Welt. Neben bereits erwähnten Seeschlachten, Scharmützeln mit Athenern oder Spartanern sowie Auseinandersetzungen mit Söldnern warten die für die Serie typischen Schätze, Höhlen und Gräber, Banditenlager oder auch Jagdprüfungen, in denen mächtige Tiere zur Strecke gebracht werden müssen. Und dann wären da noch die Kultisten - ein Geheimbund, dessen Einfluss sich inzwischen über ganz Griechenland erstreckt. Um seine seine teils prominenten und einflussreichen Mitglieder über den Hades gehen zu lassen, müssen diese jedoch erst enttarnt werden. Alleine diese Aufgabe dürfte Spieler über Wochen beschäftigen.
Fazit: Der mit dem Vorgänger „Origins“ eingeleitete Schwenk in Richtung Rollenspiel tut „Assassin‘s Creed“ erstaunlich gut und bringt frischen Wind in die mittlerweile elf Jahre alte Serie. Mit „Odyssey“ haben die Entwickler viele Elemente nun noch einmal optimiert und das Spiel mit Neuerungen wie dem Dialog-System entscheidend verbessert. Der griechische Humor der Protagonisten („Malaka!“) kommt dadurch erst so richtig zur Geltung. In grafischer Hinsicht ist „Assassin‘s Creed“ ohnehin schon seit Langem eine Klasse für sich. „Odyssey“ steht dem in nichts nach und verzaubert mit einer derart abwechslungsreichen, detaillierten und lebendigen Spielwelt, dass man sich am liebsten in diese hinein wünscht. Die Qualität eines „The Witcher“ erreicht „Odyssey“ aber noch nicht: Abseits der Hauptquests wirken viele Missionen zu generisch und sehr schnell sehr beliebig. Wunsch fürs nächste Mal: eine etwas weniger gigantische Spielwelt, dafür inhaltlich anspruchsvollere Quests.
Plattform: PC, Xbox One, PS4 (getestet)
Publisher: Ubisoft
krone.at-Wertung: 9/10
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