Vor zehn Jahren, am 11. Oktober 2008, raste der frühere FPÖ-Chef und Landeshauptmann von Kärnten, Jörg Haider, in den Tod. Im Interview mit Conny Bischofberger erinnert sich seine Schwester Ursula Haubner (72) an die Nacht des Unfalls, gemeinsame Wanderungen auf die Hütteneck-Alm und einen Kettenhund aus ihrer Kindheit im oberösterreichischen Goisern.
Sie befindet sich gerade auf 1200 Meter Seehöhe, als sie das Mobiltelefon abhebt - und Gott sei Dank ist auch Empfang. „Wir sind gerade beim Jörg Haider-Gedenkwandern“, erzählt Ursula Haubner. Wir, das ist eine 40-köpfige Gruppe, die jetzt hinter ihr auf der Wiese sitzt, im Andenken an den vor 10 Jahren tödlich verunglückten Politiker. Einmal in der Woche auf die Hütteneck-Alm, das sei Teil ihrer Kindheit gewesen, erzählt Haiders einzige Schwester, „der Jörg ist immer der Schnellste gewesen.“
„Krone“: Frau Haubner, am kommenden Donnerstag jährt sich der Unfalltod Ihres Bruders zum zehnten Mal. Welche Erinnerungen tauchen da auf?
Ursula Haubner: In erster Linie schöne an Jörg. Natürlich ist auch noch Schmerz da über den Verlust, aber dieser Schmerz ändert sich mit den Jahren, er ist nicht mehr derselbe wie unmittelbar nach dem Ableben.
Wie haben Sie damals vom Unglück erfahren?
Die ganze Verwandtschaft war ja im Bärental, weil unsere Mutter am Tag darauf ihren 90. Geburtstag gefeiert hätte. Ich war im Hotel, als die Nachricht kam. Jeder Mensch, der schon einmal erleben musste, dass ein lieber Angehöriger plötzlich stirbt, wird das nachvollziehen können. Das sind Sekunden, die man nie mehr vergisst.
Was war Ihr erster Gedanke?
Ich war in einer Schockstarre und hab‘ mir gesagt: „Das gibt es nicht!“ Man kann es auch die nächsten Tage einfach nicht glauben.
Um den Tod Ihres Bruders ranken sich viele Gerüchte und Verschwörungen, wie gehen Sie damit um?
Von Verschwörungstheorien halte ich grundsätzlich nichts. Allerdings gibt es für mich persönlich sehr wohl einige Ungereimtheiten.
Welche denn?
Der Alkoholgehalt in dieser Höhe ist für mich absolut nicht nachvollziehbar. Vor allem, wenn man Jörg gekannt hat. Den Bergsteiger, Sportler, Marathonläufer, einen, der jede freie Minute ausgenützt hat, um sich körperlich fit zu halten und zu trainieren. Das passt einfach nicht zusammen.
Im April 2009 hat die Staatsanwaltschaft Klagenfurt die Ermittlungen zum Unfalltod offiziell abgeschlossen. Ergebnis: Keine technischen Mängel beim Auto, eine Geschwindigkeit von 142 Kilometern pro Stunde und 1,8 Promille Alkohol im Blut.
Ich glaube einfach, dass ihm vielleicht, aus welchen Gründen immer, andere Substanzen in ein Getränk beigemischt wurden. Das sind meine Vermutungen, ich habe dafür keine Beweise. Aber bei 1,8 Promille hätte er in kurzer Zeit nur harte Getränke zu sich nehmen müssen. Das ist etwas, was bis heute offen ist und gerade Ungereimtheiten sind immer ein Nährboden für Verschwörungstheorien.
Aber hätte man das nicht in den Tests sehen müssen?
Die Staatsanwaltschaft hat den Akt relativ schnell geschlossen. Zu schnell.
Jörg Haider hat zwei Jahrzehnte lang die Innenpolitik bestimmt. Wie würden Sie sein Vermächtnis, sein politisches Erbe, beschreiben?
Er hat gegen Proporz und Privilegien gekämpft, das war sein großes demokratiepolitisches Anliegen. Denken wir nur an die hohen AK-Gehälter damals und die Pensionen bei der Nationalbank! Er ist immer für eine offene Gesellschaft und gegen Meinungsdiktatur eingetreten. Er hat es geschafft, dass die Menschen sagen: „Endlich ist da jetzt einmal jemand, der sich traut, das zu sagen, der uns versteht!“
Es fällt aber auch der Niedergang der Hypo-Alpe-Adria in seine Zeit und beschäftigt ja bis heute die Gerichte.
Es ist unfair, jemandem, der nicht mehr Stellung beziehen kann, die ganze Verantwortung umzuhängen. Ich habe manchmal das Gefühl, dass alles, was in der Republik oder auch in Kärnten nicht funktioniert oder funktioniert hat, Haider untergeschoben wird. Er hat die Hypo zu einem richtigen Zeitpunkt an die Bayern verkauft, und zwar mit Gewinn. Das Dilemma hat begonnen, wie der Staat die Bank zurückgekauft hat. Das war unter Finanzminister Josef Pröll, da war Jörg Haider schon tot.
Was würde er denn heute sagen? Starke ÖVP, eine FPÖ, die im Schatten von Kurz steht, eine SPÖ, in der es drunter und drüber geht.
Das ist eine schwierige Frage. Ich glaube, er würde sich grundsätzlich freuen, dass es jetzt eine Regierung gibt, die Dinge anpackt, die Jahrzehnte vorher nicht möglich waren, wie zum Beispiel die Zusammenlegung der Sozialversicherungsanstalten oder eine geordnete Zuwanderungspolitik. Und wenn er nicht in der Regierung sitzen würde, dann wäre er ein guter, ein scharfer Oppositionspolitiker. Momentan ist die Opposition in diesem Land ja nicht präsent.
Jetzt hat ein bisschen die ehemalige Parteichefin und Sozialministerin aus Ihnen gesprochen, stimmt‘s?
Kann sein, ja. - Lacht.
Sind Sie jemand, der an Jahrestagen eine Kerze anzündet?
Ja, aber ich beschränke mich da nicht auf den Jahrestag, ich mache das immer, wenn mir danach ist. Ich führe auch oft innere Gespräche mit meinem Bruder und frage ihn um Rat. Er ist zwar tot, aber er ist nach wie vor Teil der Familie. Und weil er ein so außergewöhnlicher Mensch war, hat er eine besonders große Lücke hinterlassen.
Wann haben Sie Jörg Haider zuletzt gesehen?
Das war einige Tage vor dem Unfall im damaligen BZÖ-Klub im Parlament. Ich bin mit meiner kleinen Enkelin zurückgekommen, weil ich etwas vergessen hatte. Wir haben kurz geplaudert, da meinte er: „Wir haben dann eh zum Wochenende mehr Zeit, wenn wir beim Geburtstag von der Mutti sind.“ Das waren seine letzten Worte.
Gibt es ein Ritual, mit dem Sie sich an ihn erinnern?
Unsere Mutter, die vor zwei Jahren verstorben ist, hat alle Fotos von ihm in schöne Alben geklebt und beschriftet. In diesen Alben blättere ich sehr oft und dann lasse ich die Zeit mit ihm Revue passieren. Auf vielen Bildern ist Jörg mit Menschen drauf, die ich gar nicht kenne. Aber ich sehe, wie er ihnen zuhört. Er ist immer so positiv auf die Menschen zugegangen, wollte verstehen, welche Probleme, welche Sorgen sie haben und hat dann versucht, ihnen konkret zu helfen. Das alles sind Erinnerungen an den Menschen Jörg Haider, aber auch an den menschlichen Politiker Jörg Haider.
Welches Bild taucht auf, wenn Sie an Ihre Kindheit mit dem jüngeren Bruder denken?
Immer wieder die Feuerwehrgeschichte. Er hat ja in unserer Straße, als er noch ganz klein war, eine Feuerwehr gegründet und er war natürlich der Feuerwehrhauptmann, das ist eh klar. Aber da ist noch ein Bild. Jörg hatte schon als Kind immer ein sehr starkes Gerechtigkeitsempfinden. Er hat Tiere sehr geliebt und wollte einen Nachbarn, der einen angeketteten Wachhund in einer Hütte gehalten hat, anzeigen. Da ist er von Haus zu Haus gegangen, um Unterschriften zu sammeln. Schon bald sind erzürnte Mütter vor unserer Haustüre gestanden und haben gesagt: „Das geht doch nicht, dass der Jörg alle beschuldigt, dass wir die Tiere nicht richtig halten!“ Aber das war ihm egal. Für ihn war es ein Unrecht, und deshalb hat er gehandelt, auch wenn das manchen nicht gepasst hat.
Im Jänner 2019 wäre er 69 geworden. Stellen Sie sich das manchmal vor?
Ja. Und ich sehe ihn vor mir, wie er zuletzt ausgesehen hat. Sportlich, schlank, mit seinem verschmitzten Lächeln, mit neuen Ideen im Kopf. Immer noch der Bruder, auf den ich mich jede Sekunde verlassen konnte. Er fehlt mir jeden Tag.
Sie folgte ihrem Bruder in die Politik
Geboren am 22. 12. 1945 in Goisern, Oberösterreich. Jörg Haider kam vier Jahre später auf die Welt. Die Mutter war gelernte Säuglingsschwester und unterrichtete später an einer Hauptschule, der Vater war Schuhmacher und später Bezirksgeschäftsführer bei den Freiheitlichen. Ab 1994 ist Ursula Haubner, von Beruf Lehrerin, in der Politik, ab 2004 FPÖ-Chefin, 2005 Sozialministerin, danach gründet sie das BZÖ (Bündnis Zukunft Österreich) mit. Bis heute ist sie im Gemeinderat von Bad Hall. Verheiratet, zwei Töchter, sechs Enkelkinder.
Conny Bischofberger, Kronen Zeitung
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