Seit den Nationalratswahlen wird das Land vor allem unter der Oberfläche umgebaut. Ein Hintergrundbericht von Claus Pándi.
So übel wie die politischen Brandmelder auf Twitter, Facebook & Co. tun, dürfte die türkis-blaue Regierung nicht sein. Schließlich könnten ÖVP und FPÖ den beklagenswerten Zustand der Opposition ausnützen, um ganz andere Saiten aufzuziehen. Ein Jahr nach den Nationalratswahlen lassen sich aus einer ersten Regierungsbilanz die erwarteten konservativen Korrekturen ablesen. Der große Umsturz ist ausgeblieben. Bei Mitberechnung des „Chill-Faktors“, also des gefühlten Unterschieds, ist die Lage des Landes heute allerdings eine deutlich andere als jene im Herbst 2017.
Die SPÖ als natürliche Gegenspielerin der Regierung hat sich ohne Zutun von außen einfach selbst demontiert. Und während die neue Parteichefin Pamela Rendi-Wagner mit ihrem Bundesgeschäftsführer Thomas Drozda die Trümmer zusammensetzt, kann Bundeskanzler Sebastian Kurz auf die strahlende Fassade einer nicht mehr wiederzuerkennenden ÖVP zeigen. Einblicke in die Vorgänge dahinter sind rar.
Ein klares Bild hinterlässt am ehesten Bildungsminister Heinz Faßmann. An seiner Rückkehr zu den Methoden der alten Schulmeister zeigt sich die Ausrichtung der türkis-blauen Regierung: Es geht um Ordnung, Tempo und Erfolg.
Faßmann ist aber eine Ausnahmeerscheinung in der Kurz’schen Ministerriege. Der Rest des türkisen Teams wurde von den Profis um den Kanzler bis zur Unkenntlichkeit glattgebürstet. Ein Beispiel ist Justizminister Josef Moser. Der frühere Rechnungshofpräsident versuchte, sich wenige Wochen nach dem Start der Regierung in kurioser Manier zu profilieren. Darauf folgte Tadel, bald danach war Moser krank, seitdem ist es still um ihn geworden.
Norbert Hofers Ruf besonnener Verlässlichkeit
Weniger geordnet läuft es ausgerechnet bei den Freiheitlichen ab. Lediglich Norbert Hofer steht im Ruf besonnener Verlässlichkeit. Der Infrastrukturminister gilt längst nicht mehr nur in seinen Reihen als unentbehrlich für die Regierungsarbeit. Vor allem für die Kanzlerpartei ist der Koalitionskoordinator und ehemalige Präsidentschaftskandidat erster Ansprechpartner bei Krisen im türkis-blauen Alltag.
Dabei sorgt ausgerechnet der Vizekanzler Heinz-Christian Strache immer wieder für Unruhe. Vor allem, wenn der emotionale FPÖ-Chef nachtaktiv wird und auf Facebook seine Gedanken ausbreitet. Den Regierungskollegen beschert das regelmäßig interne Aufräumarbeiten. Straches realpolitisches Schaffen erlaubt noch keine Bewertung. Die von ihm übernommene Reform des kaum durchschaubaren Förderwesens im Sport ist in Arbeitskreise geschoben worden. Ergebnisse von Straches ersten Gehaltsverhandlungen mit den Beamten stehen noch aus.
Mit Sozialministerin Beate Hartinger-Klein verhält es sich ähnlich. Die stets heiter strahlende Steirerin widmet sich neuerdings strengeren Gesetzen für Hundehalter. Der Raucherfalle weicht Hartinger-Klein, nebenbei auch Gesundheitsministerin, weiträumig aus. Mit dem Dauerthema einer landesweit einheitlichen Mindestsicherung steht sie ohnehin vor einem großen Brocken. Dabei hat die Sozialministerin erst unlängst die unter ihrer Regie entglittene Reform der Krankenkassen unter einem Berg von Papieren begraben.
Lebendig bleibt hingegen der von den Kanzlerfreunden aus der Industrie durchgeboxte „12-Stunden-Tag“. Für ÖGB-Präsident Wolfgang Katzian, der kräftig an Einfluss zugelegt hat, ein Kampfauftrag weit über den Herbst hinaus. Durchaus ein gewisses Ärgernis für Kanzler Kurz, der sich nun gegen Jahresende hin gerne mehr von seiner sozialeren Seite zeigen würde.
Die eigentliche Erzählung der Regierung bleibt ohnehin die der Fremdenabschreckung. Grenzschutz, Kopftuch-Verbot, Anti-Migrationsgesetze. Keinem anderen Bereich widmen sich ÖVP und FPÖ mit vergleichbarer Hingabe. Hilfreich vor allem für Innenminister Herbert Kickl, dem trotz seiner Vorliebe für Polizeipferde öfter die Gäule durchgehen.
Der eigentliche Wandel läuft aber mehr unter der Oberfläche. Überall in den Behörden, staatlichen und halbstaatlichen Einrichtungen ziehen neue Manager ein. Leute, die dem Kanzler oder den Freiheitlichen loyal verbunden sind. So wird die Basis für einen dauerhaften Umbau der Republik gelegt.
Claus Pándi, Kronen Zeitung
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