Die Grabsteine der jüdischen Wiener verfallen, ein neuer Verein will diese Denkmäler retten. Hilfe kommt vom Kanzler - und hoffentlich von vielen Österreichern.
Versteckt, hinter einer hohen Mauer mit im Beton eingelassenen Glasscherben, neben einem Zweckbau der Magistratsabteilung 48 und Hunderten Gemeindewohnungen liegt im Wiener Bezirk Währing ein sehr wertvolles Stück österreichischer Geschichte: der jüdische Friedhof.
Seit 1784 bestattete die jüdische Gemeinde ihre berühmten und weniger berühmten Familienmitglieder in diesem riesigen Geviert. Der Friedhof ist ein einzigartiges Dokument der Kultur, der Kunst, der Wissenschaft und der Gesellschaft in der Zeit des Biedermeier: Berühmte Wirtschaftstreibende wie der Bankier und Mitbegründer der Kaiser-Ferdinands-Nordbahn, Gustav Ritter von Epstein (1827-1879), liegen hier in Währing begraben. Ebenso wie ein anderer Palais-Besitzer: der bekannte Getreide-Großhändler Joachim Ephrussi (1791-1864), dessen von Theophil Hansen geplanter Prachtbau beim Schottentor für immer ein Architektur-Highlight der Ringstraße bleiben wird.
„Erfinderin“ des Weihnachtsbaums ruht in Währing
„Und auch die ,Erfinderin‘ des Weihnachtsbaums wurde einst hier bestattet: Die Unternehmersgattin Fanny von Arnstein importierte den schönen Brauch aus Berlin 1814 nach Wien“, führte jetzt Günther Havranek, der Obmann des Vereins „Rettet den jüdischen Friedhof Währing“, prominente Besucher durch die mit Efeu und Büschen dicht bewachsenen Grabreihen.
Der Wiener Steuerberater, der jahrelang für die Aktion „Rettet den Stephansdom“ erfolgreich tätig war und den Bau des neuen „TierQuartiers“ initiiert hatte, zeigte gemeinsam mit dem Präsidenten der Israelitischen Kultusgemeinde, Oskar Deutsch, und Immobilieninvestor Ariel Muzicant die steinernen Zeugen einer untergegangenen Welt Bundeskanzler Sebastian Kurz und Christoph Dichand, dem Herausgeber und Chefredakteur der „Krone“.
Kanzler Kurz: „Höchste Zeit“
„Natürlich helfe ich hier sehr gerne“, sagte der Kanzler seine Unterstützung dem Verein zu. Jetzt sei es „höchste Zeit“, Verantwortung zu zeigen, diese Grabsteine vor dem weiteren Verfall zu retten und den jüdischen Friedhof als Ganzes für die künftigen Generationen zu erhalten.
„Die Nationalsozialisten hatten versucht, die Gräber zu zerstören, und hatten begonnen, einen Löschteich auf dem Friedhof anzulegen. Zum Glück fehlte ihnen dafür dann die Zeit“, erzählte Ariel Muzicant - er war bis 2012 Präsident der Kultusgemeinde - vom damals hektischen Transport Hunderter Toter im Jahr 1942 von Währing zum Zentralfriedhof. 2000 der 10.000 Grabsteine wurden damals zerstört.
30.000 Menschen fanden letzte Ruhe
Insgesamt mehr als 30.000 Menschen wurden auf diesem Wiener Friedhof begraben, berichtete beim Rundgang Michael Seidinger vom Nationalfonds der Republik für die Opfer des Nationalsozialismus: „Wir arbeiten ständig an der Restaurierung.“ Dabei helfen auch viele Freiwillige: So wurden viele Wege bereits wieder begehbar und die Verabschiedungshalle renoviert.
Jetzt möchte der neue Verein, bei dem sich auch Dutzende Prominente engagieren, mit zusätzlichen Mitteln die Renovierung aller bedeutenden Grabsteine beschleunigen. Günther Havranek: „Manche unserer Freunde übernehmen die Kosten für die Renovierung eines ganzen Grabes, andere helfen nach ihren Möglichkeiten. Wir freuen uns über jede Unterstützung.“
Wer ebenfalls für diese wichtige Aktion eines neuen Österreich, das auch mit seiner jüngeren Geschichte endlich korrekt umgeht, spenden will:
Verein „Rettet den jüdischen Friedhof Währing“, Erste Bank AG
IBAN: AT23 2011 1837 7378 3000
BIC: GIBAATWWXXX
Über den Besuch des jüdischen Friedhofs zeigt auch ORF III am Dienstag, 23.10., einen Beitrag im Rahmen der Sendung „Kultur heute“ ab 19.45 Uhr.
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