Vermisst seit 1943

„Eltern hofften bis zuletzt, dass Georg noch lebt“

Oberösterreich
21.10.2018 06:00

Jetzt wurde der älteste Vermisstenfall Österreichs geklärt: Seit 1943 lag der Oberösterreicher Georg Koppelstätter tot im Eis. Jahrzehntelang suchten sein Vater und seine Mutter verzweifelt nach ihm. Das Drama des Buben, das Drama seiner Familie.

Es war klirrend kalt, tiefer Winter, als acht Mädchen und Burschen frühmorgens in St. Martin im Innkreis einen Zug bestiegen, um nach Ebensee zu fahren. Die jungen Oberösterreicher hatten ihre Skiausrüstungen dabei, sie trugen warmes Gewand, ihre Rucksäcke waren voll bepackt. Mit Brot, Wurst, Käse, Kuchen und ein paar Flaschen Most. Denn Georg Koppelstätter wollte am Abend mit seinen Freunden seinen 17. Geburtstag feiern. Im Höllengebirge, auf 1800 Metern Höhe. In der Rieder Hütte.

Das Holzhäuschen war von seinen Eltern, Bäckerei-Besitzern, angemietet worden. Oft waren sie schon mit dem Sohn dort gewesen, „Schorschi“ liebte den idyllischen Platz am Berg. Doch, die Mutter hatte Bedenken gehabt, ihr einziges Kind ohne Begleitung eines Erwachsenen verreisen zu lassen, aber der Vater hatte es letztlich geschafft, sie umzustimmen. Der Bub sei ja vernünftig und brav.

Das grauenhafte Ende eines Bergausflugs
 Am späten Vormittag fuhren die Jugendlichen dann mit der Seilbahn los, bald marschierten sie zu ihrer Unterkunft. Bei der Ankunft bemerkte Georg, dass er seine Ziehharmonika in der Bergstation vergessen hatte, er wollte unbedingt bei dem Fest musizieren und beschloss, das Instrument zu holen.

Der Bursch, wenige Monate vor seinem Verschwinden, im Garten seiner Eltern (Bild: Markus Wenzel, krone.at-Grafik)
Der Bursch, wenige Monate vor seinem Verschwinden, im Garten seiner Eltern
Die Felsspalte (Bild: Markus Wenzel)
Die Felsspalte

Die Sonne schien, nur wenige Wolken waren am Himmel. Bis zum Einbruch der Dunkelheit würde er sicherlich zurück sein, meinte „Schorschi“ - und schnallte sich abermals seine Skier an. Damals, am 26. Dezember 1943. Danach galt Georg Koppelstätter als spurlos verschwunden. 75 Jahre lang.

„Menschliches Skelett am Boden“
24. Oktober 2016. Höhlenforscher Christian Roither war mit einem Kollegen im Höllengebirge unterwegs: „Wir stiegen in die Große Quetsche ein, am Boden sahen wir ein menschliches Skelett und Reste von Kleidungsstücken und Holzskiern.“ Die Alpinpolizei Gmunden wurde alarmiert, Bernhard Magritzer übernahm die Ermittlungen: „Immer wieder wollten wir die Gebeine bergen.“

Höhlenforscher Christian Roither entdeckte das Skelett. (Bild: Markus Wenzel)
Höhlenforscher Christian Roither entdeckte das Skelett.
Bei Georgs sterblichen Überresten wurden in der Großen Quetsche auch sein Ski, ein Gürtel und Schuhe gefunden. Die Gegenstände wurden an die einst engste Vertraute seiner Mutter übergeben. (Bild: Markus Wenzel)
Bei Georgs sterblichen Überresten wurden in der Großen Quetsche auch sein Ski, ein Gürtel und Schuhe gefunden. Die Gegenstände wurden an die einst engste Vertraute seiner Mutter übergeben.

„Seine Eltern waren danach gebrochen“
 Doch gleich nach dem Fund setzte starker Schneefall ein, die Spalte im Berg blieb vereist, erst am 13. September 2018 konnten die sterblichen Überreste geborgen werden. Bereits davor war es Magritzer „in Sisyphusarbeit“, wie er sagt, gelungen, die Identität des Verunglückten festzustellen: „Irgendwann, nach Studium Hunderter Akten, war ich mir sicher: Es handelt sich um Georg.“ Um diesen Burschen, dessen Schicksal die Menschen in St. Martin bewegt, bis heute.

„Schorschis Eltern“, erzählen ältere Bewohner der Gemeinde, „hat das Drama psychisch zerstört. Nie wollten sie glauben, dass ihr Bub nicht mehr lebt.“ Hunderte Male ließen sie im Höllengebirge Suchaktionen durchführen, weltweit schalteten sie Zeitungsinserate, in der Hoffnung, eine Nachricht von ihrem Sohn zu bekommen.

Familie wurde Opfer von Betrüger
Einmal wurden sie sogar Opfer eines Betrügers. Ein Unbekannter schrieb ihnen aus Frankreich Briefe, er behauptete, ihr „Schorschi“ zu sein, sie schickten ihm hohe Geldsummen. Danach meldet er sich nicht mehr. Es gab Gerüchte, der Oberösterreicher sei ermordet worden, er habe sich der Fremdenlegion angeschlossen. Er sei geflüchtet, aus Angst, als Soldat im Krieg dienen zu müssen - kurz vor seinem Verschwinden hatte er einen Einberufungsbefehl bekommen.

Der Bub mit seinen Eltern (Bild: Markus Wenzel)
Der Bub mit seinen Eltern
Im Oktober wurde Georg im Grab seiner Eltern bestattet, dabei auch der Grabstein getauscht. (Bild: Markus Wenzel)
Im Oktober wurde Georg im Grab seiner Eltern bestattet, dabei auch der Grabstein getauscht.

Georgs Vater starb 1951 „an gebrochenem Herzen“. Die Selbstvorwürfe - „er hatte ja einst den Ausflug erlaubt“ - sollen ihn krank gemacht haben. Seine Frau „schlief 1984 ein, daheim“ - umgeben von Bildern ihres Kindes. „Ihr größter Wunsch war“, erinnert sich eine frühere Vertraute, „im Tod wieder mit Schorschi zusammen sein zu dürfen.“ Anfang Oktober wurde Georg bestattet, im Grab seiner Eltern. Neben zerfallenen Teddybären von ihm. Die Mutter hatte sie ihrem Mann einst in seine letzte Ruhestätte gelegt.

Martina Prewein, Kronen Zeitung

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